„Äußerst missgestaltet, doch von Liebe erfüllt“

Mitreißende „Rigoletto“-Neuinszenierung in Bukarest

Eine dunkle, korrupte Welt voller Gangster, Prostituierter und Mörder, eine verkommene Hofgesellschaft, alles überschattet von Machtgier und Fluch, trotzdem ein liebender Vater und eine unschuldige Tochter – in der neuen „Rigoletto“-Inszenierung auf der Bühne der Nationaloper Bukarest kommen all diese Gegensätze theaterwirksam zur Geltung.

Die Vorgänger-Regie von Jean Rânzescu war bereits sechs Jahrzehnte lang zu sehen. Einem jungen Team, bestehend aus dem australischen Regisseur Stephen Barlow, dem griechischen Bühnenbildner Yannis Thavoris, dem Dirigenten Cristian Sandu sowie Solisten aus den USA, Italien, Australien und Rumänien ist es nun gelungen, das Meisterwerk von Verdi so dynamisch, packend und voller filmischem Suspense darzustellen, dass das Publikum atemlos-fasziniert miteifert und man überhaupt nicht merkt, wann zweieinhalb Stunden vergangen sind.

Die Handlung spielt nicht im 16. Jahrhundert in Mantua, sondern in Chicago zu Zeiten der Prohibition. Das Orchester tönt die düsteren Akkorde des Vorspiels an, der Vorhang hebt sich langsam und die Zuschauer befinden sich plötzlich vor dem Eingang zu Rigolettos Bestattungsunternehmen. In schwarz gekleidete Männer tragen einen Sarg hinein. Hinter der makabren Tür versteckt sich aber eine Kneipe, in der eine bunte Gesellschaft Silvester 1929 feiert. Im Sarg wird illegal Whisky transportiert, hübsche Damen sorgen für gute Laune.

Kein Wunder, dass sich der Name des Tenors, Paul Tabone, so gut auf Al Capone reimt: Der Herzog ist hier Mafiachef, seine Höflinge sind Schmeichler und Partner in schmutzigen Geschäften. Der „Duce“ unterhält sich mit anderen Herren über seine zahlreichen weiblichen Eroberungen – die Arie „Questa o quella“ klang bei Tabone hell und kräftig, die Aussprache war deutlich, nuanciert, jedes Wort mit Sinn gefüllt. Der bucklige Rigoletto (am 16. März dargestellt von Lucian Petrean) ist auf den ersten Blick ein völlig skrupelloser Privatentertainer des „Duce“. Er zeigt sich erst dann menschlich und erschüttert, wenn es zu spät ist und Monterone (Marius Boloş) seinen Fluch bereits ausgesprochen hat.

Wenige Momente später – dank der Drehbühne schreitet die Handlung schnell voran – bekommt Rigoletto in einer dunklen Sackgasse eine Visitenkarte von dem Mörder Sparafucile (Petre Burcă) und dessen attraktiver Schwester Maddalena (Polina Garaeva). Die Unruhe, die der „Hofnarr“ empfindet, verbreitet sich über die gesamte Handlung, selbst wenn Rigolettos Tochter Gilda (Romina Cassuci) ihn zart zu trösten versucht. Die Szene „Figlia! … – Mio padre!“ war sehr überzeugend, und die italienische Sopranistin, deren Stimme hin und wieder etwas ungleichmäßig wirkte, sang auch die grazile Arie „Caro nome“ mit großer Expressivität und Wahrhaftigkeit.

Der zweite Akt beginnt im Arbeitszimmer des „Duce“, die Wände sind mit schwarz-weißen Fotos von Sportteams tapeziert. Der Mafiachef zeigt sich von seiner empfindsamen, beinah verletzlichen Seite und ärgert sich über die Entführung Gildas, hält aber gleichzeitig einen bedrohlichen  Baseballschläger in der Hand. Auch Tabone war am Sonntagabend technisch nicht durchgehend ausgewogen, es gelang ihm aber, seine sonore Stimme im Griff zu halten und von zärtlichem Piano bis hin zu wütendem Aufbrausen eine Vielfalt von Gefühlen auszudrücken. Die Szene „Ella mi fu rapita!... Parmi veder le lagrime“ war ergreifend und sensibel.

Der restliche zweite Akt gehörte Rigoletto. Lucian Petrean gab in der großen Arie „Cortigiani, vil razza dannata“ eine Kostprobe seines Könnens. Er war die von Verdi erwünschte „äußerst missgestaltete und lächerliche Person, die innerlich leidenschaftlich und von Liebe erfüllt ist.“ Sehr authentisch war das Wechselbad seiner Emotionen – Hass, Zorn, Ohnmacht, Hoffnung und Flehen. Die Gefühle des verzweifelten Vaters wirkten auch deshalb verschärft, weil sie bei den Höflingen gegen eine Wand von Gleichgültigkeit und Demütigungen stießen. Die Leistung des Chors (Dirigent: Stelian Olariu) war einwandfrei, nicht nur was den raffiniert, homogen und präzis gelungenen Gesang angeht, sondern auch szenisch: Viele kleine, passende Gesten brachten bemerkenswerte Dynamik ins Bühnengeschehen.

Der dritte Akt spielt in Sparafuciles Spelunke, die in der Vision von Stephen Barlow und Yannis Thavoris draußen als „ Riverside Hotel“ präsentiert wird, drinnen aber ein Bordell ist. Das Gebäude ist zweistöckig dargestellt, sodass man das Handeln der Figuren gleichzeitig in zwei Zimmern, auf dem Flur, auf der Treppe und auf der Straße verfolgen kann. Das bekannte Quartett „Bella figlia dell’amore“ beispielsweise bekommt dadurch viel visuelle Energie. Rigoletto singt in elegantem, braunem Anzug, Gilda in türkisfarbenem Mantel und orangem Hut im Stil von Coco Chanel, der „Duce“ diesmal als US-Marinesoldat verkleidet und Maddalena in feuerrotem Samtkleid und mit platinblonden Haaren, inspiriert aus der Marilyn-Monroe-Ästhetik. Einzig an dieser Stelle war das Orchester etwas laut – sonst bot es eine hervorragende, variierte und spannende Interpretation der schwierigen Partitur und begleitete die Sänger meisterhaft.

Die nächsten Vorführungen von Verdis „Rigoletto“ in der laufenden Spielzeit: 2. April und 7. Mai, 19 Uhr.