Aktuell und doch unzeitgemäß

Das Kronstädter Festival für Zeitgenössische Dramatik an seinem 25. Geburtstag

Andi Vasluianu und Diana Roman in „Ein bisschen zu intim“ von Rajiv Joseph, Regie Cristi Juncu, „Nottara“-Theater Bukarest Foto: Cosmin Ardeleanu

Szene aus „August in Osage Country“, die Produktion, die den diesjährigen Wettbewerb gewonnen hat. Foto: Nationaltheater Jassy

Fast jedes Jahr im November findet im Kronstädter Schauspieltheater „Sică Alexandrescu“ das Festival für Zeitgenössische Dramatik statt. Die beliebte Veranstaltung wurde 1978 zum ersten Mal organisiert. In einigen Jahren musste das Festival ausfallen – auch 2013 gab es wegen Sanierungsarbeiten am großen Saal des Theaters eine Pause. Die diesjährige 25. Auflage war wie immer ein großer Publikumserfolg und schaffte es, gute Produktionen nach Kronstadt zu bringen. Trotzdem fehlt dem Festival „das gewisse Etwas“.

„Bei fast allen eingeladenen Produktionen handelt es sich um Komödien“, sagte Claudiu Goga, der Intendant des Kronstädter Theaters, bei der Eröffnung am 24. November. Ob unterhaltende Familiendramen mit tragikomischen Personen, kaltblütige schwarze Komödien über brutale Killer oder leichte Boulevard-Stücke über Beziehungskrisen – bei dieser Ausgabe des Festivals wurde viel gelacht, obwohl einem manchmal das Lachen im Hals stecken blieb. In allen Geschichten, die auf der Bühne gezeigt wurden, ging es um den Menschen von heute, um seine Einsamkeit, seine Ängste und Träume, seine unerfüllten Wünsche und großen Hoffnungen. Ob es ein bezahlter Mörder aus Amerika, ein Bauer aus dem Süden Rumäniens, ein Literatur-Professor aus New York, ein russischer Student, der in einem Trambahn-Depot wohnt, ein Selbstmörder, ein aus Bukarest heimkehrender Sohn oder eine von Antidepressiva vollgeschüttete Mutter war – der Mensch von heute stand im Mittelpunkt des diesjährigen Festivals.

Das Publikum will Stars

„Zu einem Festival in einer Stadt wie Kronstadt nimmt sich niemand vor, die besten Produktionen aus dem Land zu bringen. Es zählen auch andere Kriterien bei der Auswahl. Das Publikum sucht auf einem Theaterplakat nach bekannten Namen, meist nach Stars der Theaterbühne. Immer werden die Produktionen mit Stars am besten verkauft. Es gibt dann noch manche, für die der Regisseur wichtig ist, oder vielleicht der Autor. Aber nur sehr wenige. Beim Festival für Zeitgenössische Dramatik sind die Namen der Autoren eher nichtssagend für das Publikum, und dann sind die Star-Schauspieler am wichtigsten“, meint Claudiu Goga. Trotzdem sollte man das Publikum nie unterschätzen. Das Publikum kann man „erziehen“, man kann ihm zeigen, dass es gutes Theater gibt, das auch ohne „Stars“ funktioniert und dass die Stars oft in mittelmäßigen Produktionen spielen. Trotzdem wollte man auch bei dieser Auflage des Festivals nichts riskieren und verwendete das gleiche Rezept, das sich in den Vorjahren als erfolgreich erwiesen hat: große Namen, große Produktionen, große Theater.
 
Was gefehlt hat

Ein voller Saal – das war schon immer das Ziel des Festivals in Kronstadt. Leute, die Namen wie Marcel Iureş, Ion Caramitru oder Florin Piersic auf dem Plakat sehen, greifen tief in den Geldbeutel, um ihre Lieblingsschauspieler hautnah zu erleben. Dabei wird oft vergessen, dass es viele teilweise unbekannte, aber sehr gute Schauspieler gibt, die die Stars von morgen sein könnten. Auch für das „Publikum von morgen“ wurde nicht sehr viel getan. An den sieben Abenden des Festivals konnte man kaum junge Leute im Theater sehen. Eine Erklärung dafür ist der hohe Preis der Eintrittskarten für die Gastaufführungen, der bei 40 Lei anfing. Ermäßigte Karten für Schüler und Studenten gab es nicht. Laut einer Umfrage ist das Festival für Zeitgenössische Dramatik das wichtigste Kulturevent Kronstadts.

Es scheint keine Werbung zu brauchen – jedes Jahr im Monat November klingelt das Telefon wie verrückt an der Theaterkasse und die Leute wollen wissen, wann das Festival anfängt. Die Karten sind  innerhalb von wenigen Tagen ausverkauft. Das alles geschah an einem Theater, das bis vor zwei Jahren nicht einmal eine funktionierende Webseite hatte, geschweige denn eine Facebook-Seite. Seit 2012 ist das Theater endlich auch online präsent, macht aber keine aggressive Werbung, alles nach dem Motto „es geht auch so“. Außer einigen Plakaten, auf denen ein Mann im schwarzem Anzug zu sehen war, der einen Joker-Hut auf dem Kopf trägt, gab es auch in diesem Jahr keine Werbematerialien. Man vermisste auch ein gut gemachtes Programmheft. Das Rahmenprogramm bestand aus einigen Buchvorstellungen im Foyer. Auf die traditionelle szenische Lesung eines zeitgenössischen Textes hat man dieses Jahr aus unbekannten Gründen verzichtet.

Ein Rezept wird angewandt

Auch die Auswahl der Aufführungen scheint einem Rezept zu folgen. Fast jedes Jahr sind dieselben Theater eingeladen. Laut Tradition ist das Festival kompetitiv, das heißt, es gibt einen Wettbewerb. Dieses Jahr nahmen drei Produktionen aus Kronstadt, eine aus Jassy/Iaşi und fünf aus Bukarest am Wettbewerb teil. Bei den Gastaufführungen handelte es sich um „August in Osage County“ von Tracy Letts in der Regie von Claudiu Goga (Nationaltheater Jassy), „Ein bisschen zu intim“ von Rajiv Joseph in der Regie von Cristi Juncu (Nottara-Theater Bukarest), „Gerüchte... Gerüchte“ von Neil Simon in der Regie von Ion Caramitru (Nationaltheater Bukarest), „Păi despre ce vorbim noi aici, domnule“, eine Dramatisierung nach Marin Preda von Cătălin Ştefănescu in der Regie von Alexandru Dabija (Act-Theater Bukarest), „Bei Vater zu Hause“ von Mimi Brănescu in der Regie von Vlad Massaci (Komödientheater Bukarest) und „Tom und Jerry“ von Rick Cleveland in der Regie von Florin Piersic Jr, (Metropolis Theater Bukarest). Die drei Produktionen des Gast-Theaters waren „Olenka“ von Vassilij Sigarev (Regie Sânziana Stoican), „Gesammelte Erzählungen“ von Donald Margulies (Regie Florin Zamfirescu) und „American Buffalo“ von David Mamet, Regie Vlad Massaci. Nach derselben Tradition gehen viele Preise entweder an die Gastgeber oder an eine Aufführung in der Regie des Kronstädter Intendanten. Dieses Jahr wurde der große Preis zu Recht dem Nationaltheater Jassy mit „August in Osage County“ in der Regie von Claudiu Goga verliehen. Auch für die Kronstädter Aufführungen gab es Preise (beste Darstellerin, beste Regie, Spezialpreis der Jury).

Es fehlte nicht an Preisen, aber es fehlten das Experiment, das Risiko, die Festival-Atmosphäre. Meistens wird zeitgenössische Dramatik auf kleinen Bühnen und mit noch unbekannten Schauspielern gespielt. Vielleicht würde eine OFF-Sektion im kleinen Saal, die sich an das jüngere Publikum richtet, dem Festival etwas mehr Persönlichkeit verleihen. Es ist ein Event für das Kronstädter Publikum, das sich nie vorgenommen hat, auch Touristen aus anderen Städten anzuziehen. Die wichtigen Theaterzeitschriften erwähnen es nicht oder nur selten. Es bleibt nach wie vor brav, risikofrei und ein wenig altmodisch. Nach den ersten 25 Auflagen wäre es vielleicht an der Zeit, sich neu zu erfinden.