Alexander Rubel zu Integration und Romanisierung

Gespräch mit dem Direktor des Archäologischen Instituts in Jassy

Prof. Rubel anlässlich einer Konferenz in Jassy
Foto: Angelika Marks

Bekannt ist Alexander Rubel unseren Lesern in seiner Eigenschaft als Leiter des Deutschen Kulturzentrums in Jassy/Iaşi, eine Funktion, die er seit einigen Jahren ehrenamtlich ausfüllt. Hauptberuflich ist er DAAD-Lektor am Lehrstuhl für Germanistik der Alexandru-Ioan-Cuza-Universität. Zusammen mit dem Lehrstuhlinhaber Prof. Dr. Dr. h. c. Andrei Corbea-Hoişie hat er eine Reihe von Publikationen herausgebracht, u. a. über das Kulturleben von Czernowitz. Aber auch zu anderen Themenschwerpunkten, speziell zur Literatur Ernst Jüngers oder mehr allgemein zur Geschichte der Griechen oder jüngst zu „Religion und Kult der Germanen“ sind Bücher von ihm erschienen. Persönlich getroffen hat unsere ADZ-Mitarbeiterin Angelika Marks Prof. Dr. Rubel jedoch anlässlich einer internationalen Konferenz, die er als Direktor des Archäologischen Instituts der Rumänischen Akademie in Jassy veranstaltete. In einem Gespräch erläuterte er ausführlich diesen Teil seiner umfänglichen Aktivitäten.

Herr Prof. Rubel, zunächst: Was brachte Sie dazu, sich in Jassy zu bewerben, und wie kam es dazu, dass Sie als Deutscher Leiter des Archäologischen Instituts hier wurden?

Bereits als Assistent an der Universität Konstanz – an der ich auch promoviert habe und mit der bereits seit längerem eine Beziehung zu den archäologischen Institutionen in Jassy bestand – habe ich 2000 im Rahmen einer Exkursion zusammen mit unseren Konstanzer Studenten an einer Ausgrabung in Argamum, der griechisch-römischen Siedlung in der Nähe von Babadag, teilgenommen. Die Ausgrabung, auf der wir damals meinem langjährigen Freund und Kollegen Lucreţiu Mihăilescu-Bîrliba unterstellt waren, habe ich auch in den folgenden Jahren, bereits als Leiter des damaligen Goethe-Instituts in Jassy, immer wieder besucht. Am Anfang stand also mein Interesse für die Archäologie dieses Landes im Vordergrund. Auch später als DAAD-Lektor habe ich dieses Interesse nie verloren. Im Gegenteil, später habe ich mich ganz normal auf eine Forschungsprofessur am Archäologischen Institut beworben, wobei mir nach dem Beitritt Rumäniens zur EU auch ein verstärktes Interesse an meiner Person signalisiert wurde. Das heißt, 2010 war ich bereits Mitarbeiter des Instituts, als mich der scheidende Direktor zunächst als Interimsdirektor kooptiert hat. Anschließend habe ich mich zur Wahl gestellt, denn während die Professur auf Lebenszeit gilt, wird das Amt des Direktors alle vier Jahre durch eine Wahl vergeben. Man hat mich seitdem bereits einmal in dieser Funktion bestätigt.

Und wie kommt es, dass hier so ein starkes Interesse an Wissenschaftlern aus Deutschland besteht?

Die deutsch-rumänische Zusammenarbeit auf dem Felde der Archäo-logie hat eine lange Tradition, die bis in das 19. Jahrhundert reicht. Diesem Thema haben wir 2012 zusammen mit der Eurasien-Abteilung des Deutschen Archäologischen Instituts ein Kolloquium gewidmet, das zu Ehren des Prähistorikers Hubert Schmidt, dem Ausgräber von Cucuteni, veranstaltet wurde. Umgekehrt haben zahlreiche rumänische Archäologen in Deutschland studiert, wie der berühmte Archäologe Ion Nestor. Das heißt, selbst in den Zeiten des Kommunismus ist die Verbindung nie ganz abgerissen. In Jassy und auch an meinem Institut habe ich eine Reihe ehemaliger Humboldt-Stipendiaten – so Prof. Victor Spinei, den Vizepräsidenten der Akademie, der bei Prof. Hachmann in Saarbrücken studiert hat –, die ihre Verbindungen auch heute pflegen. In Bukarest gibt es den inzwischen emeritierten Prof. Mircea Babeş, der von dort aus die Verbindungen zu den Humboldtianern aufrechterhält. Insgesamt waren die deutschen Wissenschaftler von Anfang an besonders an der kupferzeitlichen Epoche interessiert, weil von hier für die Menschheitsgeschichte bedeutende Veränderungen ausgingen und weil die Funde, insbesondere die Keramik, einen so hohen ästhetischen Stellenwert besitzen.

Aber auch die klassisch griechisch-römischen Fundorte in der Dobrudscha oder der Limes, d. h. der römische Verteidigungswall gegen die Barbaren, haben schon immer im Fokus sowohl der rumänischen wie der anderen europäischen Forscher gestanden. Die Dobrudscha gilt bereits in der Antike nachweislich als ein Schmelztiegel unterschiedlichster Kulturen und in der Spätantike treffen hier Bevölkerungsgruppen aus den Steppen, aber auch aus dem Norden auf die Ausläufer der antiken Zivilisationen. An den bedeutenden Ausgrabungen in Histria, der griechischen Kolonie, war bereits in den 80-er Jahren der Rostocker Archäologe Konrad Zimmermann maßgeblich beteiligt. Seit den 90-er Jahren konnten dann die internationalen Kooperationen intensiviert werden, natürlich nicht nur mit Deutschland. Auch fanden immer wieder internationale Tagungen in Jassy statt. Ich selbst habe zusammen mit der Universität Konstanz 2009 zur Romanisierung – also meinem persönlichen Leib- und Magenthema – eine Konferenz organisiert, und jetzt für September planen wir zusammen mit der Römisch-Germanischen Kommission ein Round-Table Gespräch, das in Frankfurt stattfinden soll. Direkte Förderung aus Deutschland erfuhr unser Institut z. B. 2009, als uns der deutsche Botschafter persönlich eine Bücherspende überreichte, die durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft finanziert wurde. Rumänien, d. h. zum Teil Siebenbürgen, aber insbesondere die Dobrudscha, war ja als Teil des Römischen Reiches für Archäologen immer relevant, anders als manche Kapitel der neueren Geschichte, die nicht so im Fokus der internationalen Historiker standen.

Damit kommen wir zu Ihrem persönlichen Forschungsschwerpunkt hier in Rumänien. Seit etlichen Jahren gehören Sie zum Team, das die spätantike Festung Ibida in der Nähe von Babadag bei Slava Rus² ausgräbt. Eine Stadt, die vom 4. bis 6. Jahrhundert – also zur größten Ausdehnung des spätantiken Byzantinischen Reiches unter Kaiser Justinian – ihre Blütephase hatte. Zwar gibt es auch Funde, die bis in die Steinzeit zurückreichen, und mit Sicherheit haben wir mit einer römischen Besiedlung vor dem Zerstörungshorizont im 4. Jahrhundert durch die Goten zu rechnen. Darauf weist auch der Fund einer Besitzermarke eines römischen Soldaten aus der Kaiserzeit hin, zu der Sie einen Aufsatz verfasst haben. Ansonsten wird diese immerhin beachtliche Stadt vom Geschichtsschreiber des Kaisers Justinian Prokop eben als Ibida und später von Theophylaktos Simokates, der zur Zeit ihrer Zerstörung Anfang des 7. Jahrhunderts lebte, als Libida nur kurz erwähnt. Wie wurden Sie auf diese kaum bekannte Ausgrabung aufmerksam?

Eigentlich war ich von Anfang an dabei, denn bereits während meines Aufenthaltes in Argamum lernte ich das Team kennen, das ab 2001 die neueren Ausgrabungen begann. Seit 2007 gehöre ich selbst fest zum Kollektiv. Ich arbeite an einem bestimmten Grabungsabschnitt in der Nähe eines Turmes der Befestigungsmauer, die ab der konstantinischen Zeit errichtet wurde, zusammen mit Lucre]iu Mih²ilescu-Bîrliba. Daneben gibt es auch einen ausgedehnten Friedhof, wo bisher bereits über 150 Bestattungen aufgedeckt werden konnten. Hier sind vor allem zwei Phänomene von Interesse: Zunächst die erstaunlich häufig angetroffenen Kindergräber. Nicht nur auf dem Friedhof, sondern auch in der Siedlung als Bestattung in Amphoren innerhalb der Häuser, aber auch in Grabkammern, die offensichtlich von einer ganzen Familie belegt waren. Es ist durchaus nicht selbstverständlich, wie eine englische Studie es einmal formulierte: „Where are all the children gone?“ Erstens werden Kinderbestattungen häufig wegen des schlechten Erhaltungszustandes übersehen.

Bis in die Neuzeit wurden Kinder, die noch nicht getauft waren, nicht auf dem normalen Friedhof bestattet. Von den Römern gibt es schriftliche Quellen, z. B. bei Plinius, die auf das andere Verhältnis der Römer zum Tod von Kindern hinweisen. So sollte man um kleine Kinder nicht trauern, weil sie noch kein Teil der Gesellschaft wären. Dagegen gibt es sowohl schriftliche als auch archäologische Befunde, die eine ganz andere Sprache sprechen. Auf etlichen Grabsteinen wird der Trauer um ein geliebtes Kind durchaus Ausdruck verliehen. Allerdings gibt es hier auch eine soziale Dimension, da z. B. ein armer Bergarbeiter kaum Zeit oder Geld hatte, sich einen teuren Grabstein zu leisten, und auch der Stellenwert eines einzelnen Kindes mag für Reiche sich anders darstellen als für Arme. Wie genau diese Bestattungen von kleinen Kindern in Keramiktöpfen meist innerhalb der Häuser zu interpretieren sind, als „Entsorgung“ oder „besondere Fürsorge“, kann noch nicht abschließend beantwortet werden.

Ebenso interessant wird man den Befund werten, dass es einige Bestattungen von Frauen gab, bei denen Turmschädel festgestellt werden konnten, die generell bei den Steppenvölkern im 4. Jahrhundert, z. B. bei den Sarmaten und später bei den Hunnen, vorkamen. Bei dieser Sitte handelt es sich um eine künstliche Deformation des Schädels. Den Mädchen wurde in jungen Jahren der Kopf so bandagiert, dass sich ein turmartig verlängerter Hinterkopf ergab. Ansonsten weicht die Anlage der Gräber als auch ihrer Ausstattung absolut nicht von den übrigen bisher gefundenen Gräbern ab. In christlicher Zeit fielen die Beigaben aus religiösen Gründen nicht sehr üppig aus, aber bereits schon vorher gab es nur wenige Trachten- und Gebrauchsgegenstände in den Gräbern. Das lässt bei aller Vorsicht darauf schließen, dass diese Frauen nicht anders als andere behandelt wurden, man könnte von einer Akkulturation sprechen. Dass das Byzantinische Reich ein christlicher Vielvölkerstaat war, ist bekannt, aber unter diesem Vorzeichen wurden Menschen mit anderen Sitten somit durchaus akzeptiert, wie diese Funde belegen.

Welches Verhältnis bestand denn dann zu anderen Siedlungen, wie dem Hafenort Argamum oder dem Limes-Kastell Troesmis?

Generell haben wir die Schwierigkeit, dass wir über die kaiserzeitliche römische Besiedlung wegen der umfangreichen durch die Goten verursachten Zerstörungshorizonte kaum Aussagen treffen können, da es hier nur Schutt aus Abfallgruben oder Streufunde gibt. Uns fehlen die Strukturen. Dennoch wissen wir, dass Ibida auch in dieser Zeit eine Bedeutung hatte, u. a. weil es den Beleg eines römischen Militärdiploms gibt. Da ist zum einen die geografische Lage entlang der Handelsrouten Richtung Konstantinopel im Hinterland der bedeutenden Militärlager. Dass Troesmis das Stadtrecht erhielt, wurde durch ein Bronzefragment einer solchen Urkunde, die aus dem illegalen Antikenhandel stammt, bekannt. Ibida war wahrscheinlich hierzu so eine Art Aufmarschgebiet, ein Stationierungsort für die berittenen Truppen, die für eine Kampagne benötigt wurden. Hier wurden die Pferde versorgt. Denn die brauchten eine gute Wasserversorgung, und die Slava führt sehr viel Wasser, sodass sich dies anbietet.

In welchem Zusammenhang zu den Ausgrabungen in Ibida steht dann das Projekt „Barbarisierung Roms – Romanisierung der Welt“?

Das Projekt basiert auf einem europaweiten Ansatz, der die verschiedenen Grenzregionen von Spanien über Deutschland und eben bis nach Rumänien des Römischen Reiches untersucht. Wie sah das Verhältnis der unterschiedlichen Völker außerhalb des Römischen Reiches zum Imperium aus? Wie funktionierte die gegenseitige Beeinflussung? In diesem Rahmen sind unsere Forschungen ein Teilaspekt. Aber besonders wichtig ist hier eben auch der Vergleich: Wie flexibel reagierte das Imperium auf die verschiedenen Herausforderungen, und natürlich auch welche Einflüsse aus diesen andern Kulturen setzten sich durch? Urrömisch im Sinne Catos des Älteren ist später nicht mehr viel, sondern die Römer übernehmen auch etliches von den Barbaren. Gerade die Germanen waren ja im spätrömischen Reich, z. B. in Trier, als Soldatenkaiser bestimmend. Interessantes Gegenbeispiel für den Einfluss Roms außerhalb des Imperiums ist auch das Gebiet der Moldau, wo es dakische Siedlungen gibt, die voll sind mit römischen Importen. Da könnte zusammen mit den Kollegen aus Frankfurt ein zukünftiges Projekt in Angriff genommen werden. Weiter südlich gibt es ein bekannteres Beispiel mit der dako-getischen Siedlung Piroboridava /Poiana, die bereits von Radu Vulpe ausgegraben wurde. Allerdings bleibt für mich Slava Rusă bzw. Ibida im Zentrum meiner archäologischen Tätigkeit, das ist eine Lebensaufgabe und wird uns von daher auch noch lange beschäftigen.

Professor Rubel, wir danken Ihnen für das Gespräch und wünschen Ihnen viel Erfolg für Ihre Unternehmungen.