Arbeitsmigration einmal andersherum: aus Bari ins Banat

Adriano Valerios Spielfilm „Banat (Il Viaggio)“ in den rumänischen Kinos

Elena Radonicich und Edoardo Gabbriellini in dem Film „Banat“

Zwei Fakten der gegenwärtigen Wirtschaftslage in der Europäischen Union werden in dem soeben in die rumänischen Kinos gekommenen Spielfilm „Banat (Il Viaggio)“ von Adriano Valerio zueinander in Beziehung gesetzt: die Migration rumänischer Arbeitskräfte in die Südländer der EU und die Arbeitslosigkeit gerade der jüngeren Generation in EU-Südstaaten wie Italien. Die Kombination dieser beiden ökonomischen Tatsachen führt jedoch im Plot des besagten Films, dessen ins Deutsche übersetzter Titel „Banat (Die Reise)“ lautet, zu einem verblüffenden, geradezu paradox wirkenden Resultat. Denn es sind hier nicht Rumänen, die auf Arbeitssuche ihr Land verlassen, sondern ein arbeitsloser Agronom aus dem süditalienischen Bari entschließt sich, ins rumänische Banat zu reisen, weil er dort auf einer Obstfarm Arbeit gefunden hat.

Der Beginn des Films zeigt den jungen Ivo (Edoardo Gabbriellini) beim Verpacken seiner Habseligkeiten. Während er noch, italienische Opernmusik hörend, die letzten Umzugskartons verschließt, betritt Clara (Elena Radonicich) die erst halb geräumte Wohnung. Sie ist die Nachmieterin Ivos, die ihn, der nicht rechtzeitig mit dem Kistenpacken fertig geworden ist, noch eine Nacht auf der Couch der möblierten Mietwohnung schlafen lässt. Am nächsten Morgen führt Clara, während Ivo noch schläft, die Hündin Berarda aus, die der Vermieterin Signora Nitti (Piera Degli Esposti) gehört. In einem Moment der Unachtsamkeit entläuft die Hündin und ist spurlos verschwunden.

Die Wege der beiden Eintagsbekannten trennen sich nun. Ivo begibt sich im Auto auf die weite Reise nach Rumänien, Clara, die am Beginn einer Schwangerschaft ist und obendrein soeben ihren Partner verlassen hat, geht weiter ihrer Arbeit als Schiffbauerin im Hafen von Bari nach, bevor auch sie ihren Arbeitsplatz verliert, weil die Werft, auf der sie beschäftigt ist, stillgelegt wird. Das Schicksal der entlaufenen Hündin Berarda und die Erinnerung an die kurze, aber intensive Begegnung der beiden bei der Wohnungsübergabe bringen dann einen Briefwechsel zwischen Clara und Ivo in Gang, der in Claras Entschluss gipfelt, Ivo nach Rumänien nachzureisen.

Dort, in einer ländlichen Gegend des Banats, am Fuße schneebedeckter Berge, umgeben von Apfelplantagen, im kalten Vorfrühling, findet Clara Unterschlupf bei Ivo, der sich inzwischen auf der Obstfarm häuslich eingerichtet hat. Man sieht Ivo als eifrigen Landwirt bei der Arbeit, im Gespräch mit seinem Chef Ion (Ştefan Velniciuc), beim Sex mit Clara, bei Festen mit Arbeitskollegen, wo viel Wein und Schnaps fließt. Doch bald stellt sich heraus, dass die Obstfarm ökonomisch am Rande des Abgrunds steht. Einige von Ivos Arbeitskollegen spielen sogar bereits mit dem Gedanken, nach Italien auszuwandern. Auch Clara will wieder nach Hause, um dort ihr Kind zur Welt zu bringen.

Am Ende des Films bringt Ivo seine Freundin zum Flughafen. Auf dem Parkplatz des baufälligen, menschenleeren, gottverlassenen Airports angekommen, möchte Ivo Clara vor dem Abflug, der in diesem Ambiente freilich undenkbar erscheint, noch etwas zeigen. Sie besteigen erneut den Wagen und fahren durch ödes Gelände, bis der Weg vor einer lang gestreckten hügelartigen Bodenerhebung endet. Sie gehen die letzten Schritte zu Fuß nach oben, der Untergrund wird sandig, Wind beginnt zu wehen, und die beiden Geliebten blicken, auf dem Kamm einer Düne stehend, hinaus aufs Meer.

Banat liegt am Meer, so könnte man diese Schlussszene des Films in Abwandlung eines Shakespeare-Zitates sowie eines Gedichttitels von Ingeborg Bachmann kommentieren. Das Meer, das den beiden Geliebten in Bari täglich ans Ohr drang und vor Augen trat, wird im Banat zur Sehnsuchtsmetapher, zur Utopie eines erhofften Lebens, das durch den Abgrund der Gegenwart hindurchgegangen ist. Oder mit den poetischen Worten Ingeborg Bachmanns: „Liegt Böhmen noch am Meer, glaub ich den Meeren wieder. / Und glaub ich noch ans Meer, so hoffe ich auf Land. / Bin ich’s, so ist’s ein jeder, der ist soviel wie ich. / Ich will nichts mehr für mich. Ich will zugrunde gehn. / Zugrund – das heißt zum Meer, dort find ich Böhmen wieder. / Zugrund gerichtet, wach ich ruhig auf. / Von Grund auf weiß ich jetzt, und ich bin unverloren.“
Für rumänienkundige Zuschauer ist natürlich die Frage interessant, inwieweit dieser in Italien, Bulgarien, Makedonien und Rumänien gedrehte Film auch tatsächlich rumänische Verhältnisse widerspiegelt. Was im italienischen Bari durchaus plausibel wirkt, dass Clara etwa mit ihrer Vermieterin in deren Wohnung Tai Chi (Schattenboxen) praktiziert, wirkt, wenn Clara dies im rumänischen Banat im Freien vor karger Obstbaumkulisse gemeinsam mit Plantagenarbeiterinnnen tut, nachgerade surreal.

Desgleichen ist es ein absolutes No-Go, dem rumänischen Publikum den Schauspieler Ştefan Velniciuc als den ‚Helden von Sevilla’ vorzuführen: den Fußballtorwart Helmuth Duckadam, der in Valerios Film zudem mit von Duckadam selbst nie bestätigten Presselegenden zitiert wird, Nicu Ceauşescu habe ihm die Hand gebrochen, weil Duckadam sich geweigert habe, dem Diktatorensohn den Mercedes abzutreten, den er vom Präsidenten des Fußballklubs Real Madrid als Geschenk erhalten habe. Abgesehen davon wird in diesem Film westliche Rumänienfolklore sattsam bedient: Rumänischer Schnaps fließt in Strömen, Rotwein schmeckt aus Plastikbechern, die rumänische Mafia fordert Schutzgeld und brennt Häuser nieder, alles verfällt und verrottet, Schiffswracks werden zur Quelle für Brennholz.

Gleichwohl bietet der Film „Banat (Il Viaggio)“ auch Genüsse optischer wie akustischer Art: die wunderbaren Landschaftsbilder, die eindrücklichen Reiseimpressionen, die filmische Typenschilderung, die eingestreuten Liebesszenen und überhaupt die schauspielerischen Leistungen der Protagonisten werden durch die Musik des bulgarischen Komponisten Assen Avramov noch überboten, der seinen Soundtrack mit vielen Songs und Schlagern garniert, wie etwa mit dem herrlichen Hit „Se t’amo t’amo“ von Rosanna Fratello aus dem Jahre 1982, der im Film von Clara in bäuerlichem Ambiente gesungen wird. Als Alternativtitel für diesen ungewöhnlichen, fremdartigen und eigentümlichen Film könnte man, um auch dessen fragwürdigem Realitätsgehalt Rechnung zu tragen, vorschlagen: Fantasia sopra il Banato e Italia.