„Atme.Theater“

Die dritte Auflage des Hermannstädter Theatermarathons

Marcel Iureş alias Soldat Ivan telefoniert mit dem Tod. Foto: Andrey Kolobov

Bereits zum dritten Mal atmete Hermannstadt/Sibiu am Ende des ersten Frühlingsmonats Theater tief ein. Die Organisatoren der diesjährigen Veranstaltung hatten das Motto „25 Stunden Theater non-stop“ beibehalten, der Marathon dauerte heuer aber ganze 29 Stunden an. Den Startschuss für das bis dato jüngste Theaterfestival der Stadt wurde am Samstagabend im Thaliasaal gegeben. Die zahlreich erschienenen Zuschauer wurden vom Initiator des Festivals „Atme. Theater“ (Respiră. Teatru.), Bogdan Sărătean, begrüßt. In seine Ansprache ließ dieser die Botschaft des internationalen Theatertages einfließen, der seit 1961 am 27. März begangen wird. In der Botschaft fordert der italienische Theaterautor, Regisseur und Nobelpreisträger Dario Fo politische Verfolgung von Theatermachern ein.

„Die einzige Lösung für die Krise ist deshalb die Hoffnung, dass auf uns, vor allem aber auf die Jungen, die die Kunst des Theaters erst noch erlernen wollen, eine große Jagd eröffnet wird“, schlussfolgerte Fo, nachdem er das Fehlen von Aufführungsorten und von Publikum „aufgrund der Krise“ bemängelt hatte.

Die Ehre der ersten Vorstellung des diesjährigen Theatermarathons kam den Schauspielern des Bukarester Kunsttheaters zu. Ion Bechet, George Constantinescu, Marin Grigore und Liviu Cheloiu präsentierten eine Tragikomödie unter dem Titel „Imigreişăn Drim“ nach dem Stück „Tot ce se dă“ von Ioan Peter.

Mit einem minimalistisch gestalteten Bühnenbild, das aus vier großen Holzkoffern bestand, versetzten sie die Zuschauer an die rumänische Grenze, in einen Zug, in einen Fluss, nach London oder nach Dänemark. Das Stück zeigt einerseits den rumänischen Traum, ohne besondere Anstrengung Geld zu verdienen, andererseits erzählt es von zahlreichen Abenteuern, die den drei Freunden auf ihrem Weg zum besseren Leben im Ausland widerfahren sind. Die mit viel Spaß gestaltete Vorstellung ist amüsant, solange das, was darin beschrieben wird, jemandem anderen passiert. Am Ende vergeht das Lachen: Die Protagonisten erfahren aus einer Zeitung, dass alle ihre Schwierigkeiten sowie das angebliche Geschäftsangebot von einem unbekannten Antiquitätenhändler eigentlich nur dazu gedient haben, um reiche Westler zu unterhalten, die das Ganze versteckt beobachteten.

Ebenfalls mit wenig Requisiten und tragikomisch ging es etwas später im Cavas-Saal zu. Die Vorstellung „Der goldene Drache“ nach dem gleichnamigen Stück von Roland Schimmelpfennig verwirrte ein wenig durch die vielen Erzählstränge. Und je weiter es ging, desto komplizierter wurde es, diese auseinanderzuhalten. Dabei entpuppten sich die anfangs lustigen Geschichten als Tragödien: sei es der Wunsch des Alten, seine Jugend wieder zu erlangen, oder die Beziehungsdramen, die unerwünschte Schwangerschaft oder die Suche nach einem verschollenen Familienmitglied.

Auch die bekannte Mär von der fleißigen Ameise und der spaßfreudigen Heuschrecke erlebte hier ein anderes, unerwartetes Ende: die Letztere muss sich für das Essen prostituieren. Alle diese Stränge ziehen sich zu einem Hauptfaden zusammen, dessen Hauptfigur der kleine chinesische Kochgehilfe mit Zahnschmerzen ist. Sein Tod und die anschließende geisterhafte Rückkehr ins Heimatland überschatten das Ende der Vorstellung.

Auch das Stück „Colibri“, bei dem Florin Persic jr. Regie führte, beginnt heiter, um sich am Ende in eine Tragödie zu verwandeln. Der Originaltext stammte von Garret Jon Groenveld, einem in San Francisco wirkenden Dichter. Darin setzt sich der Autor mit dem Problem der Arbeitslosigkeit in einer nicht so weit entfernten Zukunft auseinander: „Wer gehen kann, kann auch arbeiten“ wird das Motto der staatlichen Arbeitsagentur heißen, meint Groenveld. Die Zuschauer betrachten zwei Beamte der Arbeitsagentur bei ihrer alltäglichen Aufgabe, mit einem Lächeln die Jobs an die Langzeitarbeitslosen zu verteilen.

Dabei spielen weder die Fähigkeiten noch die Meinung der Letzteren eine Rolle. Der Staat entscheidet, wo er seine Bürger gebrauchen kann. Am Anfang des Stückes interagieren die Schauspieler mit dem Publikum, nabeln sich aber von diesem immer mehr ab und tauchen in ihre eigene, den anderen unvorstellbare Welt der Straßengewalt, der ständigen Beobachtung seitens des Staates und der angriffslustigen Kolibris. Das geregelte Leben der beiden Beamten nimmt ein abruptes Ende, nachdem die Frau des einen bei einem Bombenanschlag auf ein Lokal, wo diese als Stripperin arbeitete, ums Leben kommt. Sein Kollege bezichtigt ihn, diesen Anschlag geplant und ausgeübt zu haben. Er wird festgenommen, verhört und letztlich als Soldat an die Front versetzt. Während seines Verhörs, hält er ein flammendes Plädoyer gegen den Eingriff des Staates in das Privatleben, inklusive die Jobwahl. Die beiden Beamten wurden von Laurenţiu Bănescu und Daniel Popa interpretiert.

Nach einer Nacht voller Theater versammelten sich alle freiwilligen Helfer des Festivals sowie zahlreiche Interessierte um 10 Uhr am Großen Ring/Piaţa Mare zum Turnen. Das bereits zur Tradition gewordene gemeinsame Zähneputzen verlegte man heuer auf den Schillerplatz. Die Organisatoren hoffen, dass dieses Event bald in das Guinness Buch der Rekorde als das größte öffentliche Zähneputzen der Welt aufgenommen wird.

Das Angebot an Veranstaltungen war reich, den eindeutigen Höhepunkt aber stellte der offizielle Abschluss des Festivals dar. Marcel Iureş, der bereits am frühen Nachmittag während einer Konferenz über die Jugend und das unabhängige Theater gesprochen hatte, interpretierte im Gong-Theater „Absolut“ nach dem Märchen von Ion Creangă „Ivan Turbincă“.

Der große Saal des Gong-Theaters war auch am Boden und entlang der Wände mit Fans besetzt. Iureş wechselte mit unglaublicher Leichtigkeit vom unsterblich gewordenen Soldaten Ivan zum Herrgott höchstpersönlich, vom Heiligen Peter zum Sensenmann. Mit einem Wort kann man die Schau als großartig bezeichnen. Der Saal erzitterte von Lachsalven, als Ivan die Teufel bestrafte, danach in der Hölle eine Sünderin zu verführen versuchte oder den Tod daran hinderte, den Herrgott persönlich zu besuchen. Wer es an jenem Abend geschafft hat, ein Plätzchen im Saal zu erhaschen, kann sich wirklich glücklich schätzen. Der Beifall nach der Vorstellung wollte nicht aufhören.

Der offizielle Abschluss des Theatermarathons bedeutete nicht, dass auch die Vorstellungen zu Ende waren. Für die hartgesottenen Theaterfans gab es noch eine Einmannschau „Pam-Pam“ mit den immer noch aktuellen Pamphleten von Constantin T²nase im „Oldies Pub“. Diese Show, die von George Constantinescu interpretiert wird, gehört seit der ersten Auflage des Festivals zum unverzichtbaren Bestandteil des Programms. Den letzten künstlerischen Programmpunkt bot die Hermannstädter Theatergruppe „Lipicioşi“. Andrada Grosu, Claudiu Fălămaş, Dan Ţilea und Bogdan Sărătean gestalteten musikalisch zahlreiche Wortspiele auf der Bühne. Wer danach noch Kraft hatte, konnte es bei der After-Party richtig krachen lassen.

Der Theatermarathon „Atme. Theater“ steckt noch in den Kinderschuhen, steht aber fest auf den Beinen. Vieles, besonders Organisatorisches, hat sich im Vergleich zu den ersten beiden Auflagen verbessert. Neue Austragungsorte kamen hinzu. Es gibt immer mehr freiwillige Helfer. Namhafte Künstler scheuen sich nicht, ihre Vorstellungen nach Hermannstadt zu bringen oder gar selbst aufzutreten. Das beste Beispiel für die Popularität des Festivals stellen die ständig vollen Säle und die Schlange der Wartenden dar, die weiterhin hoffen, eine Eintrittskarte kaufen zu können. Die Organisatoren sollten über weitere, größere Aufführungsorte nachdenken: Der Name Marcel Iureş hätte zweifelsohne den Saal im Gewerkschaftskulturhaus füllen können. Man darf tief einatmen und darauf warten, was das nächste Jahr bringt.