Aufbruch in die rumänische Moderne

Pastelle, Aquarelle und Zeichnungen von Ștefan Luchian in Bukarest

Plakat der Luchian-Ausstellung im Nationalen Kunstmuseum

In den von der Bukarester Știrbei-Vodă-Straße aus zugänglichen Erdgeschossräumen des Nationalen Kunstmuseums Rumäniens ist derzeit und noch bis zum 23. September 2018 eine Ausstellung zu sehen, die Pastellen, Aquarellen und Zeichnungen des rumänischen Malers Ștefan Luchian gewidmet ist. Die über 90 Exponate aus eigenen Beständen des Nationalen Kunstmuseums, hauptsächlich aus dem Kabinett für Zeichnungen und Druckgrafik der Galerie moderner rumänischer Kunst sowie aus dem Museum der Kunstsammlungen, geben einen umfassenden Überblick über das Werk des großen Meisters der rumänischen Pastell- und Aquarellmalerei, der auch mit Kohle, Tusche und Bleistift Unnachahmliches zu schaffen wusste.

Ștefan Luchian wurde im Jahre 1868 in der moldauischen Ortschaft Ștefănești geboren. Seine künstlerische Ausbildung erhielt der junge Luchian zunächst an der Bukarester „Școala Națională de Belle-Arte“ (Nationale Schule der Schönen Künste), wo Theodor Aman und Gheorghe Tattarescu zu seinen Lehrern zählten. Nach seinem rumänischen Hochschulabschluss im Jahre 1889 ging er zunächst nach München, wo er zwei Semester an der dortigen Akademie der Bildenden Künste weiterstudierte, und danach an die Académie Julian in Paris, wo er mit dem französischen Impressionismus, insbesondere mit dem malerischen Werk von Édouard Manet und Edgar Degas, intensiv in Kontakt kam. Nach Rumänien zurückgekehrt, gründete er 1896 zusammen mit anderen Künstlern den „Salon der Unabhängigen“ und zwei Jahre später den Künstlerbund „Ileana“, in dem modernistische Tendenzen wie Symbolismus oder Jugendstil propagiert wurden. Stark beeinflusst war Ștefan Luchian auch von der Kunst Nicolae Grigorescus, als dessen Nachfolger auf dem Weg der rumänischen Kunst in die Moderne er gelten kann.

Betritt man den einen großen und mehrfach unterteilten Ausstellungsraum, so wird man rechter Hand programmatisch gleich mit zwei für Luchian typischen Bildgattungen konfrontiert. Ein mit Kohle auf Karton gezeichnetes Selbstporträt aus dem Jahre 1907 und ein aus den Jahren 1894 bis 1900 stammendes Pastell mit Feldblumen, das die von ihm oft gemalten Zyanen in herrlichem Licht erstrahlen lässt, stimmen den Betrachter auf Luchians Porträtkunst sowie seine Blumenmalerei ein.

Mit zweisprachigen Beschriftungen auf Rumänisch und Englisch sowie mit ausführlichen Informationstafeln zur Biografie des Künstlers und zu den von ihm verwendeten künstlerischen Techniken ist die von Elena Olariu kuratierte Ausstellung museografisch exzellent aufbereitet. Es empfiehlt sich ein Rundgang gegen den Uhrzeigersinn, weil man dann den Übergang vom Monochromen zum Polychromen, vom Kleinformatigen zum Großformatigen umso mehr genießen kann, wobei man bereits in den in Braun- und Grautönen gehaltenen Zeichnungen des Meisters die stupende Farbgebung seiner koloristisch reichen Bildkompositionen erahnen und vorwegnehmend genießen kann. So sieht man etwa in seine „Lichtung“ betitelte Landschaft mit Bäumen aus den Jahren 1908-1909 (Sepia, Bleistift, Kratztechnik) förmlich die Farben Nicolae Grigorescus hinein, desjenigen Lehrmeisters von Ștefan Luchian, von dem dieser auch zahlreiche ildsujets übernahm, angefangen von der Landschafts- und Aktmalerei über Motive des bäuerlichen Lebens bis hin zur Ausmalung von Kirchenräumen.
Wie lebendig monochrome Werke sein können, zeigt in der Ausstellung etwa die Kohlezeichnung einer Frau, die Wäsche auf einer durch gegabelte Aststöcke gehaltenen Leine zum Trocknen aufhängt. Das Weiß der Wäsche auf der Leine und im Korb, der Schürze und des Kopftuchs der Bäuerin wie der Tünche des Landhauses tritt in lebendigen Kontrast zu den verschiedenen Grautönen der Aststöcke, der Leine, des Hausdachs, der Sitzbank, des Grases und der Hügel im Hinden zwei monochrome Bilder (Kohle und Tusche bzw. Gouache auf Karton), die eine Schafherde mit einem Schäfer (1893-1894) und einer Schäferin (1902-1905) als deren Hüter zeigen, einen interessanten Kontrast. Während die frühere Zeichnung durch die malerische Darstellung der Wolken Ruhe, Frieden, Schutz und Geborgenheit ausstrahlt, vermittelt die spätere, ebenfalls durch ihre spezifische Wolkenbildung, das Gefühl der Gefährdung, Bedrohung und Beklommenheit, das mittels der im Sturmwind durch die Luft wirbelnden Blätter noch unterstrichen wird.

Interessant sind auch Luchians Zeichnungen auf einem speziellen, mit Kreide beschichteten, kratz- und radierfähigen Papier, das nach seinen Erfindern Gillot-Papier genannt wurde. Ein Selbstporträt aus den Jahre 1898 bis 1900 (Bleistift und Tusche auf Gillot-Papier) erzeugt durch das feine Spiel der Linien gleichsam fotografische Effekte, insbesondere in der Wiedergabe der Mantelaufschläge, der Weste und der Krawatte des sich selbst porträtierenden Künstlers. Auch die Porträtzeichnung eines alten Mannes mit Satteltaschen aus den Jahren 1898 bis 1903 besticht durch ihr wunderbares Spiel von Licht und Schatten. Desgleichen begeistert das Porträt des rumänischen Dramatikers Ion C. Bacalbașa (blauer Stift auf Karton) aus den Jahren 1897 bis 1901 durch die geniale Linienführung, die vor allem im Kontrast zwischen Haupthaar und Schnurrbart des Theatermannes herrliche ästhetische Effekte erzeugt.

Ein „Wagen mit Ochsen“ (Kohle auf Karton, 1902-1905) evoziert ein beliebtes Grigorescu-Motiv, wie auch das Bild „Beim Pferderennen“ (1899), das drei von Jockeys gerittene Pferde im Wettstreit zeigt, an Pferdebilder von Edgar Degas oder Max Liebermann gemahnt. Aquarellen mit Landmädchen, Bauern oder einem Hirsetrankverkäufer eignet über ihren künstlerischen Wert hinaus auch eine ethnografische Dimension, wobei den Gesichtsporträts von Landmädchen zuweilen eine fast städtisch mondäne Qualität zukommt, insbesondere wenn sie ihr Kopftuch nach der Art von Filmdivas tragen.

Die großformatigen und farbenreichen Aquarelle und Pastelle, die in der Bukarester Ausstellung zu sehen sind, waren teilweise bereits in der Luchian-Ausstellung des Nationalen Kunstmuseums aus dem Jahre 2015 zu bewundern. Dazu zählt etwa das grandiose Porträt von Safta, dem Blumenmädchen, aus dem Jahre 1901 (Aquarell und Stifte auf Karton), das den Betrachter immer wieder in seinen Bann zieht und zu dem es auch eine Version in Öl auf Leinwand aus demselben Zeitraum gibt, die in der ständigen Ausstellung der Galerie moderner rumänischer Kunst im selben Museum bewundert werden kann.

Hatte das Porträt des Blumenmädchens Safta das Plakat der Luchian-Ausstellung vor drei Jahren geschmückt, so ziert das Plakat der gegenwärtigen Luchian-Ausstellung das Porträt der Madame Olivier mit Halsband und modisch geschwungenem Hut (Pastell auf Leinwand, 1907-1909). Hier sieht man auch zahlreiche Meisterpastelle und -aquarelle von Ștefan Luchian wieder (Porträt des Lautenspielers Moș Nicolae, „Die Wasserträgerin“, „Ophelia“, Selbstporträt auf einer Veranda, „Lokal ohne Kundschaft“, „Der Schriftsteller Beldiceanu und der Dichter Ștefan Octavian Iosif bei einer Lesung“ etc.), von denen jedes einzelne für sich genommen bereits den Besuch dieser überaus sehenswerten Ausstellung lohnt.