Aufgeweckt aus dem Tiefschlaf

Das Puppentheater „Merlin“ erlebt seit zwei Jahren durch neue Intendanz eine Renaissance

Sie spielt, leitet und erfindet: Éva Lábadi-Megyes beschränkt sich nicht bloß auf ihre Rolle als Intendantin, sondern ist auch aktiv an den Produktionen beteiligt.
Foto: Robert Tari

Es war ein langer und tiefer Dornröschenschlaf für das Puppentheater „Merlin“ aus Temeswar/Timişoara. Noch vor drei Jahren hatten viele die geschichtsträchtige Einrichtung aufgegeben, denn es bewegte sich rein gar nichts. Es herrschte eine gefährliche Gleichgültigkeit sowohl bei den Puppenspielern, bei den Technikern sowie bei der Leitung. Auf neue Ideen wartete man vergeblich. Stattdessen wurden die Klassiker gespielt, unabhängig davon, ob das Publikum sie nun sehen wollte oder nicht. Doch die Zeiten, in denen man Kinder allein mit Grimm- und Andersen-Inszenierungen ins Theater locken konnte, sind längst vorbei. Heute machen das Fernsehen und das Internet dem Puppentheater Konkurrenz. Zeichentrickfilme wie „Die Legende von Korra“ oder „Star Wars Rebels“ klingen heutzutage spannender als „Die Schöne und das Biest“ oder „Die kleine Meerjungfrau“. Selbst ein Medienkonzern wie „The Walt Disney Company“ denkt inzwischen zweimal darüber nach, ob er einen Animationsfilm wie „Schneewittchen“ produzieren oder lieber auf eine moderne Neuinterpreation eines Klassikers setzen soll.

Das weiß auch Éva Lábadi-Megyes, Intendantin des Puppentheaters. Als sie vor zwei Jahren das sinkende Schiff übernahm, musste sie als aller erstes die Kursrichtung wechseln. Wenn man sich das heutige Repertoire auf der offiziellen Seite des Theaters anschaut, würde man allerdings nicht darauf kommen. Denn es sind weiterhin vorwiegend populäre Märchen, die am Theater gespielt werden. Solche Stücke, die schon die Oma und der Opa kannten. Erst wenn man in die Vorstellungen reingeht, merkt man den Unterschied. Und das fängt dann bei den Puppen an und hört bei dem Slapstick auf, die Kinder inzwischen aus modernen Zeichentrickserien kennen.

Zwei harte Jahre

Für Lábadi-Megyes waren es zwei harte Jahre gewesen. Denn als Intendantin hatte sie keine geringere Aufgabe, als das Puppentheater zu retten. Und dafür musste sie auf vielen Fronten gleichzeitig schwere Kämpfe ausfechten und immer wieder Niederlagen einstecken. Bevor sie überhaupt neue Produktionen auf die Beine stellen konnte, musste sie neue Puppenspieler anheuern und sich gleichzeitig darum bemühen, Gelder zu beantragen, um das alte Gebäude zu renovieren. Inzwischen besteht das Ensemble vorwiegend aus jungen Menschen. „Es findet ein Generationswechsel am Theater statt“, so die Intendantin. „Der dauert inzwischen seit zwei Jahren.“ Der dringende Bedarf an neuen Talenten zwingt Lábadi-Megyes, flexibel zu sein. Die Voraussetzungen, um als Puppenspieler anzufangen, sind niedrig. „Erfahrung ist erwünscht, aber nicht ausschlaggebend“, meint sie. „ Was man wirklich mitbringen muss, ist Bereitschaft, Allgemeinwissen und Zeit. Den Rest kriegen wir irgendwie hin.“

Improvisieren muss sie ständig. Das gilt auch für die Produktionen. Sie setzt lieber auf praktische Puppen und Bühnenbilder statt auf ganz teure. Das hat mehrere Gründe. Zum einen sollten die Stücke auf Temeswarer Straßen sowie in anderen Einrichtungen gespielt werden können. Zum anderen verfügt das Puppentheater nicht über das Budget eines Nationaltheaters.

Der Großteil der neuen Produktionen können leicht transportiert und auf verschiedenen Bühnen aufgebaut werden. Ohnehin kann das Theater nicht mit den Spezialeffekten heutiger Kinderfilme oder Videospiele mithalten.

Premiere für das Merlin-Puppentheater

Inzwischen kann die erfolgreiche Intendantin von einem Erfolgsrezept sprechen. Und da kann sie nicht nur Worte sprechen lassen, sondern auch mit Preisen überzeugen: Im September nahm das Merlin-Puppentheater erstmals an dem Wayang Puppenkarneval in Indonesien teil. Es war eine Premiere für das traditionsreiche Kindertheater und nicht die einzige erfreuliche Überraschung: Die Kinderinszenierung „La,la,la Dracula“ wurde auch in der Kategorie „Beste Kinderkomödie“ von den Veranstaltern ausgezeichnet. Ein Triumph für Lábadi-Megyes und ihr Team. Immerhin nahmen 70 Gruppen aus der ganzen Welt teil. Fast 800 Puppenspieler reisten in Jakarta an, der Großteil ging mit leeren Händen nach Hause.

Und die Vorstellung widerspiegelt Lábadi-Megyes’ Schaffensphilosophie: Es ist eine aus dem Stegreif entstandene Inszenierung, die aufgrund fehlender finanzieller Mittel mit ausgeliehenen Puppen aus anderen Produktionen zurechtkommen musste und deren Geschichte ständig Bezug auf die moderne Popkultur nimmt. Der bekannte, westlich geprägte Dracula-Mythos wird hier auf die Schippe genommen. Gleichzeitig macht sich das Stück aber auch über Filme wie „Titanic“ oder „Krieg der Sterne“ lustig. Dadurch bietet „La,la, la Dracula“ einen Humor an, der weltweit verstanden wird.

Die Vorstellung soll so gut bei den Zuschauern angekommen sein, dass sie gleich zweimal innerhalb des Festivals gezeigt wurde – das zweite Mal an einem größeren Ort mit mehreren Zuschauern. Der Preis selbst hat dem Merlin-Puppentheater bereits neue Türen geöffnet, zahlreiche Partnerschaften und Tourneen sind für das nächste Jahr geplant. In diesem Herbst tourt das Theater vorwiegend durch Rumänien. Es geht nach Klausenburg/Cluj und später nach Galaţi.

Renaissance eines Puppentheaters

Auch in der öffentlichen Verwaltung hat sich was bewegt: Im Sommer wurde der alte Vorstellungsraum des Theaters nach Jahren des Verfalls endlich renoviert. „Es war ein ungeschliffener Diamant, der jetzt erst so richtig strahlen kann“, schwärmt die Intendantin. Die Arbeiten wurden vom Kreisrat finanziert. „Sie waren immer sehr offen.“

Nur noch die Fassade des barocken Gebäudes muss saniert werden. Dieses Projekt werde allerdings schwieriger zu bewältigen sein, so Lábadi-Megyes, weil in dem alten Haus über dem Theater noch Privatpersonen wohnen.
Doch das sind inzwischen Probleme, für die sich eine Lösung finden wird. Es sei nur eine Frage der Zeit. Immerhin hat das Theater schlimmere Zeiten erlebt, findet sie.

Diese Zeiten hat sie auch persönlich miterlebt. Seit über dreißig Jahren ist sie inzwischen in diesem Gewerbe tätig. Es war in den 1980er Jahren, als sie noch eine Jugendliche war, dass sie die damalige Hausregisseurin Ioona Rauschan entdeckte. In „Mowgli – Das Dschungelkind“ durfte sie das erste Mal mitspielen. Genau wie viele junge Talente heute, besaß auch sie in den Anfangsjahren keine Erfahrung. Zu Ehren Ioona Rauschans, die vor drei Jahren in Düsseldorf an Lungenkrebs gestorben ist, hat Lábadi-Megyes im Puppentheater eine kleine Ecke eingerichtet, wo man die Lebenswerke Rauschans sehen kann. Auch zu Rauschans Zeiten erlebte das Puppentheater eine Renaissance. Allein durch ihre Auswanderung nach Deutschland fiel das Theater einige Jahre später in seinen Dornröschenschlaf. Es bedarf der richtigen Menschen zur richtigen Zeit am richtigen Ort. Das hat damals Ioona Rauschan bewiesen und das beweist heute Éva Lábadi-Megyes, die in zwei Jahren mehr erreicht hat, als ihre Vorgänger in zehn oder zwanzig Jahren.