Bach-Motetten und Brahms-Liebeslieder

Der Chor der Philharmonie „George Enescu“ im Bukarester Athenäum

Der Chor der Philharmonie „George Enescu“ mit seinem Dirigenten Iosif Ion Prunner im prachtvollen Foyer des Athenäums
Foto: Philharmonie „George Enescu“

Vergangene Woche konnte man im Bukarester Athenäum ein Konzert der besonderen Art hören, denn der Chor der Philharmonie „George Enescu“ unter seinem Dirigenten Iosif Ion Prunner bestritt einen ganzen Konzertabend ohne jede Orchesterbegleitung. Auf dem Programm standen zwei Motetten von Johann Sebastian Bach, die a cappella vorgetragen wurden, sowie Liebeslieder von Johannes Brahms, die am Klavier von Raluca Ouatu und Andrei Licareț vierhändig begleitet wurden.

Der Chor der Philharmonie „George Enescu“ wurde zu diesem Zwecke geteilt, nicht zuletzt um den stilistischen Besonderheiten der Vokalmusik von Bach und Brahms aus zwei ganz verschiedenen musikgeschichtlichen Epochen Rechnung zu tragen: die Bach-Motetten wurden von einem Teil des Chores interpretiert, während der andere größere Teil die Brahmsschen Liebeslieder auf der Bühne des Bukarester Athenäums zu Gehör brachte. Ganz am Ende des Konzertes wurden die beiden Teilchöre dann bei der Intonation der letzten Brahmsschen Liebeslieder wieder zusammengeführt.

Gegründet wurde der Chor der Philharmonie „George Enescu“ im Jahre 1950, also erst lange Jahrzehnte nach dem heute mehr als doppelt so alten Orchester der Philharmonie „George Enescu“. Zu den Höhepunkten der mittlerweile fast sieben Dezennien währenden Geschichte des Philharmonischen Chores zählen in den neunziger Jahren des vorigen Jahrhunderts etwa die Aufführung des Monumentalwerkes „Die sieben Tore von Jerusalem“ von Krzysztow Penderecki unter der Leitung des Komponisten oder die Aufführung der Oper „Oedipe“ von George Enescu im Rahmen des nach dem rumänischen Komponisten benannten Internationalen Musikfestivals, das 1958 gegründet wurde und im vergangenen Jahr seine 23. Folge feiern konnte.

Der Dirigent des Chores der Philharmonie „George Enescu“, Iosif Ion Prunner, der den Philharmonischen Chor seit 1997 leitet und zugleich als stellvertretender Generaldirektor der Philharmonie „George Enescu“ fungiert, entstammt einer Musikerfamilie, die seit über 100 Jahren auf der Bühne des Bukarester Athenäums präsent ist. Als Siebenjähriger trat Iosif Ion Prunner als Pianist erstmals öffentlich auf und als Vierzehnjähriger gab er sein pianistisches Debüt im Athenäum. Im Laufe seiner Karriere arbeitete er mit Musikern wie Sergiu Celibidache, Maria Fotino, Sergiu Comissiona oder Daniel Barenboim zusammen. Zu seinen größten Erfolgen gemeinsam mit dem Chor der Philharmonie „George Enescu“ zählt Iosif Ion Prunner die Aufführung der „Psalmensinfonie“ von Igor Strawinsky und die Aufführung der 3. Sinfonie „Kaddisch“ von Leonard Bernstein.

Das Konzert am Dienstag vergangener Woche, mit dem der Chor der Philharmonie „George Enescu“ die neue Konzertsaison eröffnete, war auch ein Augenschmaus. Zunächst auf der noch leeren Bühne ein Wald von goldgelben Notenständern, und dann, nach dem Aufmarsch der Vokalisten, die mehrfach gestaffelte Erscheinung des Chores ganz in Schwarz, wobei die durch gelbe ornamentale Elemente aufgelockerten schwarzen Kostüme der Frauen einen farblichen Bezug zur im hellen Licht erstrahlenden Athenäumsbühne herstellten.

Beeindruckend war bereits der Beginn des ersten Stückes des Konzertabends, der von Johann Sebastian Bach für einen Doppelchor komponierten Motette „Komm, Jesu, komm“ (BWV 229). Das eingangs in den acht Singstimmen ostinato wiederholte „Komm“ erweckte den Eindruck eines vielfach angeschlagenen Glockenspiels, dessen Wohlklang sich wunderbar unter der Kuppel des Athenäums ausbreitete. Die hervorragende Diktion des Chores ermöglichte es, den auf Deutsch gesungenen Motettentext nach einem Gedicht von Paul Thymich gut zu verstehen, vom anfänglichen „Komm, Jesu, komm, mein Leib ist müde, die Kraft verschwindt je mehr und mehr“ bis zum finalen „Weil Jesus ist und bleibt der wahre Weg zum Leben“.

Nach diesem Auftakt wurde das Konzert mit den Liebesliedern Opus 52 von Johannes Brahms fortgesetzt, die von Raluca Ouatu und Andrei Licareț vierhändig am Konzertflügel des Athenäums begleitet wurden. Nach anfänglichen Intonationsschwierigkeiten des Chores und diversen, vielleicht durch die Akustik des Athenäums bedingten Problemen im Zusammenspiel zwischen Pianisten und Vokalisten wurde auch dieser Zyklus von Liedern im Walzer- bzw. Ländlertakt für vier Singstimmen ein voller Genuss, wobei die in der zuvor gehörten Bach-Motette erlebte hervorragende Textverständlichkeit hier leider nicht mehr gegeben war. Die Liedertexte von Brahms’ Opus 52 entstammen nahezu vollständig der Sammlung „Polydora“ von Georg Friedrich Daumer und sind freie Nachdichtungen russischer, polnischer und ungarischer Volkslieder. Brahms wandte sich übrigens anfänglich gegen eine chorische Aufführung seiner Liebeslieder-Walzer und bevorzugte stattdessen eine rein instrumentale Fassung für Klavier zu vier Händen bzw. eine Fassung für vierhändiges Klavier und vier Solostimmen.

Ohne Pause ging es dann im Athenäum mit der vierstimmigen Motette „Lobet den Herrn, alle Heiden“ (BWV 230) weiter, die auf den ersten beiden Versen von Psalm 117 basiert: „Lobet den Herrn, alle Heiden, preiset ihn, alle Völker! Denn seine Gnade und Wahrheit waltet über uns in Ewigkeit. Halleluja!“ Hier beeindruckte vor allem das melodisch vielfach verschlungene „Lobet den Herrn“ am Anfang der Motette und das musikalisch reich ausgestaltete finale „Halleluja“.

Den Abschluss des hörenswerten Chorkonzertes bildete das Opus 65 von Johannes Brahms, seine „Neuen Liebeslieder“, die gegenüber den freudig-dynamischen Walzern des Opus 52 eher die melancholischen und tristen Seiten der Liebesthematik hervorkehren. Das machen bereits die Titel einiger der insgesamt fünfzehn Lieder deutlich, wie zum Beispiel: „Verzicht, o Herz, auf Rettung“; „Finstere Schatten der Nacht“; „Nagen am Herzen fühl ich“; „Schwarzer Wald, dein Schatten“. Mit den beiden Schlussdistichen aus Goethes Elegie „Alexis und Dora“ klangen die „Neuen Liebeslieder“ und das Chorkonzert im Bukarester Athenäum weihevoll aus: „Nun, ihr Musen, genug! Vergebens strebt ihr zu schildern, / Wie sich Jammer und Glück wechseln in liebender Brust. / Heilen könnet die Wunden ihr nicht, die Amor geschlagen; / Aber Linderung kommt einzig, ihr Guten, von euch.“