Barocke Bravourstücke für Kontratenor

Opernarien von Georg Friedrich Händel mit Cezar Ouatu im Großen Saal des Rumänischen Rundfunks

Bei dem Konzert, das der rumänische Kontratenor Cezar Ouatu am 20. März im Bukarester „Mihail Jora“-Saal zusammen mit dem Kammerorchester des Rumänischen Rundfunks unter der Leitung von Gabriel Bebeşelea gegeben hat, herrschte eine etwas andere Atmosphäre als sonst bei klassischen Gesangsveranstaltungen. Der Große Saal des Rumänischen Rundfunks war nahezu vollständig gefüllt, und das Publikum war diesmal auch ein wenig anders zusammengesetzt als üblicherweise bei vergleichbaren Anlässen.

Der Grund dafür ist wohl bei der Hauptperson des Abends zu suchen, bei dem aus Ploieşti gebürtigen 33 Jahre jungen Sänger, der als Cezar Ouatu international im klassischen Fach brilliert und außerdem als „Cezar“ oder „The Voice“ auch im Bereich der Popmusik Erfolge feiert. So gewann er mit seinem Song „It’s my life“ vor Kurzem den rumänischen Eurovision Song Contest und wird Mitte Mai im schwedischen Malmö zunächst im Halbfinale und dann hoffentlich auch im Finale dieses renommierten internationalen Musikwettbewerbs für sein Heimatland auf der Bühne stehen.

Ein besonderer musikalischer Effekt wird das europäische Fernsehpublikum bei besagtem Wettbewerb mit Gewissheit für den rumänischen Kontratenor einnehmen. Der Sänger intoniert seinen Liedbeitrag zunächst mit der Bruststimme, bevor er sich in einem wahrhaft erhebenden Moment in das Register der Kopfstimme aufschwingt, in dem er seinen wunderbaren Mezzosopran frei und voll ertönen lässt.

Es sind dies genau jene Klänge, die schon vor über dreihundert Jahren die Liebhaber der Barockoper fasziniert, begeistert und mitgerissen haben. Zahlreiche Opernkomponisten des Barock haben sich bewusst dieses besonderen akustischen Erlebnisses bedient, das zur damaligen Zeit grausamer Weise mit Hilfe des medizinischen Eingriffs der Kastration erzeugt wurde. Georg Friedrich Händel beispielsweise komponierte die schönsten und bekanntesten seiner Opernarien eigens für die italienischen Kastratensänger Farinelli und Senesino, die zusammen mit Caffarelli und Bernacchi zu den ersten Megastars der Musikgeschichte zählten. Nicht von ungefähr hat sich auch der ‚King of Pop’ Michael Jackson in vielen seiner Songs der Kopfstimme bedient.

Bei dem Solokonzert im „Mihail Jora“-Saal standen höchst virtuose Opernarien von Georg Friedrich Händel auf dem Programm, die sich gelegentlich mit Ouvertüren zu barocken Händel-Opern abwechselten, um dem Sänger Gelegenheit zur Erholung von seinen fulminanten und rasanten Koloraturen, aber auch von seinen innig vorgetragenen meditativ-expressiven Melodien zu gewähren.

Die von Cezar Ouatu vorgetragenen Arien stammten aus Händel-Opern, die ausnahmslos in London uraufgeführt wurden. Aus den Opern „Amadigi di Gaula“ (1715), „Flavio“ (1723), „Tolomeo“ (1728) und „Partenope“ (1730) sang der rumänische Kontratenor jeweils eine Arie, während aus „Rinaldo“ (1711), „Giulio Cesare in Egitto“ (1724), „Ariodante“ (1735) und „Alcina“ (1735), zusätzlich zu einzelnen oder mehreren Arien aus diesen Opern, jeweils auch noch die Ouvertüre erklang.

Die berühmte Arie „Va tacito e nascosto“ aus „Giulio Cesare in Egitto“ bildete den Auftakt des Soloabends und stimmte die Zuhörer unmittelbar auf den Klang der Stimme von Cezar Ouatu ein, die kräftig und zugleich verhalten, samtig und zugleich durchdringend in den Raum des Konzertsaales strömte. Die wunderbare Begleitung durch das solistisch besetzte Horn verdoppelte den Hörgenuss und ließ Ouatus Kontratenor noch einmal in einem anderen akustischen Licht erstrahlen.

In ähnlicher Weise begleitete das Solofagott in der Arie „Penna tiranna“ aus „Amadigi di Gaula“ die verinnerlichten Phrasierungen der hohen Männerstimme, die in ihrem beständigen Fortschreiten dennoch in sich zu ruhen vermochte. Im Gegensatz dazu bestachen die Arien „Rompo i lacci“ aus „Flavio“ und „Venti, turbini“ aus „Rinaldo“ durch rasante Tempi, melismatische Bravour und höchste Virtuosität, die sich auch im Orchester, insbesondere in den Begleitinstrumenten des Fagotts und der Violinen, widerspiegelte.

Mit „Furibundo spira il vento“ aus „Partenope“ wurden die im heftigen Allegro dahinstürmenden Sechzehntelläufe auch in den zweiten Teil des Konzertabends hinübergetragen, die von Cezar Ouatu mit großer rhythmischer Sicherheit bei ebenso großer agogischer Freiheit, mit jagender Geschwindigkeit und gleichzeitiger gelassener sängerischer Ruhe intoniert wurden.

Von großer innerer Dramatik waren auch die beiden Arien „Vorrei vendicarmi“ aus „Alcina“ und „Dover, giustizia, amor“ aus „Ariodante“, die dem Gesangssolisten wie auch dem Orchester nochmals alles abverlangten. Anstatt zu ermüden, lief der rumänische Kontratenor aber, auch im buchstäblichen Sinne, zu immer größerer Form auf. Vor den letzten Gesangsnummern stürmte er geradezu auf die Bühne, atemlos gefolgt von dem ihm hinterher hastenden Dirigenten. Keine Frage, dass der Sänger am Ende noch mehrere Zugaben in Form der schönsten Bravourarien zu Gehör brachte, die von einem frenetisch Beifall klatschenden Publikum begeistert aufgenommen wurden.

Der stehende Applaus, die zum Teil unkonventionellen Beifallsbekundungen und die befreite und gelöste Stimmung im Großen Saal des Rumänischen Rundfunks machte deutlich, dass klassische Musik, insbesondere barocke Opernmusik, durchaus Pop-Feeling zu verbreiten und Kult-Atmosphäre zu stiften vermag, was nicht zuletzt der natürlichen Ausstrahlung, der jugendlichen Erscheinung, der authentischen Präsentation und der körperlichen Ansehnlichkeit des hörenswerten Kontratenors Cezar Ouatu zu verdanken war.