Bekränzung mit dem Lorbeer: „Salutare, barbarilor!“

Deutsche Lyrikanthologie in rumänischer Übersetzung

Einem Bonmot Umberto Ecos folgend ist Europas Sprache die Übersetzung. Doch ist die Sprache weniger ein Kommunikationsmittel als eigentlicher Gegenstand, wenn sie in vielfältige Formen und hermeneutische Facetten einer Lyrikanthologie übersetzt wird. Damit erfolgt jenseits altertümlicher Helden die Bekränzung von deutschsprachigen Lyrikern mit dem Lorbeer als gegenwärtige Repräsentanten ihres Genres im Ausland, die ersteren auch zurufen könnten: „Salutare, barbarilor!“ / „Grüß euch, Barbaren!“

Der Buchtitel kommt der Ankündigung eines weiteren Kampfes gleich, des ewigen Kampfes von veritabler Kunst gegen den dekadenten Schein der Zier. 

Wenn angeblich Krieg die Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln ist, dann ist der jüngst auf Rumänisch erschienene Sammelband zeitgenössischer deutscher Gedichte das Ergebnis jahrelang fruchtender Kulturpolitik des Bukarester Goethe-Instituts mit kreativen Mitteln. 

Das Goethe-Institut betreibt die zweisprachige literarische Plattform DLITE. Darauf erhalten Literaten  – sorgfältig kuratiert – Entfaltungsmöglichkeiten. Publiziert wird zugleich auch aktuelle Gegenwartslyrik aus Deutschland in rumänischer Sprache. Jene Übersetzerin, Manuela Klenke, und der poesieaffine Institutsleiter Joachim Umlauf, sahen schließlich den Zeitpunkt gekommen, eine Anthologie deutscher Gegenwartslyrik auf Rumänisch herauszubringen. Mit dem Dichter und Publizisten Claudiu Komartin sowie  dessen Verlagshaus „Max Blecher“ kam der Dritte im Bunde hinzu. Vor über zehn Jahren aus einem Bukarester Literaturtreff heraus entstanden, bringt er mit seinem flexiblen Team halbjährlich das Magazin „Poesis International“ mit zeitgenössischen Gedichten aus aller Welt und Rumänien heraus und verlegt Lyrik. Der deutschen Leserschaft ist Claudiu Komartin mit einer eigenen Anthologie dreier Gedichtbände bekannt, die Georg Aescht 2012 für die Wiener Edition Korrespondenzen übersetzt hat. Jener Band ist zweisprachig erschienen, was bei der vorliegenden Anthologie mit knapp 300 Seiten nicht möglich war.

„Grüß euch, Barbaren! – Die Anthologie deutscher Gedichte von Elke Erb bis Yevgeniy Breyger“ umfasst Texte von 26 Autorinnen und Autoren, die chronologisch nach Geburtsjahr berücksichtigt worden sind. Das lässt die Trends der jeweiligen Zeit leichter erkennbar werden. Die Lyriker werden knapp mit signifikanten Lebensstationen, Werken und Auszeichnungen vorgestellt. Zumeist entstammt die Gedichtselektion einem ihrer Bände, selten zweien. Obwohl deutschsprachig, wirkt der Sammelband auf sonderbare Weise international: Abgesehen von einer ursprünglich ost- und westdeutschen Literarur fanden auch zweisprachige Lyriker Berücksichtigung, die in der Ukraine, USA, Rumänien oder sogar Japan geboren sind, jedoch alle vorrangig in Deutschland wirken. Ferner tragen zahlreiche Auslandsstipendien und Fremdsprachenstudien zur Vielfalt der Texte bei. Manuela Klenke, Joachim Umlauf und das Institut, das Goethes Namen trägt, verdeutlichen mit diesem Band, wie grenzenlos deutsche Lyrik heute ist. 

Auch in ihrer Form und Thematik erscheinen die ausgewählten Gedichte unlimitiert, ihre Lektüre ist abwechslungsreich, anregend und kurzweilig. Die Übersetzerin Manuela Klenke ist in Rumänien aufgewachsen und hat dort ihr Germanistikstudium begonnen, das sie in Niedersachsen abgeschlossen hat. Bei der Selektion von deutschen Autoren und Texten hat sicherlich ihr Blick von außen auf die deutsche Lyrik mitgewirkt und macht dieses rumänische Buch selbst für Kenner der deutschen Sprache besonders interessant. Manch einer wird Namen in der Anthologie vermissen, andere wundern sich vermutlich über welche darin, die eher mit Essays/Prosa brillierten. In weiten Bereichen aber überzeugt diese breit gefächerte Zusammenstellung von Gedichten mit Langversen, experimenteller Art, reimlos modern, mit klassischer Rhythmik und Reimen oder gar mit volkstümlichem Hintergrund. Die Übersetzerin ist offensichtlich keiner Herausforderung ausgewichen. 

Übersetzungen dieser Art bedeuten nichts weniger, als den Text neu zu denken. Sich dabei auf jeden Autor und den jeweiligen Schreibstil einzulassen, stellt eine besondere Leistung dar. Bei den Buchpräsentationen hat Manuela Klenke geschildert, dass man nie wirklich zur Entspannung abschaltet, man hat immer eine ungelöste Metapher im Hinterkopf. Ihre Arbeit sei stets eine Gratwanderung zwischen Bewahrung des tieferen Sinns und wortgetreuer Übertragung. Bei mehrdeutigen Fällen führte sie sogar Rücksprache mit den Schriftstellern. Das Ergebnis: Diese Übersetzerin ist quasi unsichtbar – ein Paradox. Eine linkische Übertragung fällt auf. Diese gelungene hingegen wird – vertieft in die Lektüre – für den Originaltext gehalten, so dass die Übersetzungsleistung gar nicht wahrgenommenen und gewürdigt wird. Mehr noch: Der zweisprachigen Leserschaft werden in Klenkes Übersetzungen Feinheiten auffallen, die bei Leseroutine im deutschen Original übersehen worden sind.

Bedenkt man, dass literarische Übersetzer Freiberufler sind und das Honorar ihrer Arbeit, ohne täglich festen Beginn und Ende, jedes Mal selbst aushandeln müssen, so wird die Bedeutung des Engagements von Joachim Umlauf und der Förderung durch das Bu-karester Goethe-Institut nebst Traduki besser erkennbar. Ansprechendes Cover, Redaktion und Lektorat, Gestaltung und übersichtliches Seitenlayout sprechen für den Verlag. Wünschenswert wäre eine wie auch immer geartete Fortführung dieser Form der Zusammenarbeit in Rumänien wie auch in Deutschland, wie z.B. der Übersetzerwerkstatt ViceVersa Ende Mai in Klausenburg/Cluj Napoca.

„The old fashion poems can’t be written any more“, diagnostiziert Joachim Umlauf bei der Buchpräsentation in Bukarest. Claudiu Komartin ergänzt danach: Die deutsche Lyrik ist sprachlich experimentierfreudiger als die rumänische. Noch. Ein breites Spannungsfeld verbirgt sich in diesem Buch.

Manuela Klenke und Claudiu Komartin gehören zu einer neuen Generation von literarischen Scouts: mehrsprachig, kreativ, genreübergreifend, mit sicherem Gespür für Themen und gekonnt lektorierend stellen sie Literaturagenten jenseits vom Mainstream dar, unverzichtbar bei gegenseitiger kultureller Befruchtung. Diese Anthologie ist die Visitenkarte dafür.