„Bilderfahrzeuge“

Retrospektive Peter Jacobi im Nationalmuseum für zeitgenössische Kunst in Bukarest

Fotos: Gabriela Pana, Facebook Peter Jacobi

Seit Mitte Dezember 2020 und noch bis zum 28. März dieses Jahres ist im dritten Obergeschoss des Nationalmuseums für zeitgenössische Kunst (MNAC) im Bukarester Parlamentspalast eine Retrospektive zu sehen, die dem Werk des 1935 im rumänischen Ploiești geborenen deutschen Textilkünstlers, Bildhauers, Zeichners und Fotografen Peter Jacobi gewidmet ist. Nach seiner Übersiedlung in die Bundesrepublik Deutschland im Jahre 1970 wirkte Peter Jacobi, von 1971 bis zu seiner Emeritierung 1998, als Professor für Skulptur an der Hochschule Pforzheim. Im Jahre 2017 gründete der international bekannte Bildner die „Peter Jacobi Stiftung für Kunst und Design“, die junge Kunstschaffende mit einem Stipendium zum Berufsstart unterstützt. Der 85-jährige Peter Jacobi, zu dessen Hauptwerken das Bukarester Holocaust-Mahnmal zählt, lebt heute im baden-württembergischen Wurmberg.
    
Die von Sandra Demetrescu und Alexandru Oberländer-Târnoveanu (Assistenz) kuratierte Retrospektive zum Werk von Peter Jacobi wurde von dem Ausstellungsdesigner Attila Kim („Attila KIM Architects“) gestaltet und vom Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst Baden-Württemberg sowie vom Demokratischen Forum der Deutschen in Rumänien (DFDR) unterstützt. Die Ausstellung im MNAC wird begleitet von einem am Eingang ausliegenden achtseitigen Handout, in dem sämtliche 107 Exponate museografisch exakt erfasst sind und das, neben einem kurzen Lebenslauf von Peter Jacobi, auch ein Verzeichnis seiner Einzel- und Gruppenausstellungen sowie derjenigen öffentlichen Sammlungen enthält, in denen er mit seinen Werken vertreten ist. Zwei der Exponate sind übrigens im Freien ausgestellt und können noch vor dem Betreten des Museums in Augenschein genommen werden.

Die Retrospektive Peter Jacobi steht unter dem zahlreiche Assoziationen freisetzenden Titel „Bilderfahrzeuge“. Spielt dieser Titel vielleicht auf das „Große Fahrzeug“ des buddhistischen Mahayana an, das den Menschen zur Befreiung, ja zur Erlösung führen soll? Oder geht es, wie die rumänische Version des Titels „Vehicule ale imaginii“ nahe legt, um metaphorisch zu verstehende Fahrzeuge, die symbolisch Bilder transportieren und ihnen damit erst zur Wirksamkeit verhelfen? Oder sind gar die Bilder selbst Vehikel, die durch ihr Eigenes Anderes zur Erscheinung bringen?

Die Bukarester Retrospektive Peter Jacobi ist in eine Reihe von Werkgruppen untergliedert, die den großen Ausstellungssaal im dritten Obergeschoss des MNAC ihrerseits parzellieren. Maßgebend ist dabei nicht der Gedanke der Chronologie, sondern vielmehr die Idee der synthetischen Simultaneität sowie der thematischen Homogenität der Werkpräsentation. Gleichwohl schwingt dabei auch eine chronologische Gliederung des künstlerischen Schaffens von Peter Jacobi mit, angefangen von den Gemeinschaftsarbeiten zusammen mit Ritzi Jacobi aus den sechziger Jahren des vorigen Jahrhunderts (Textilinstallationen, Holzskulpturen mit Gehängen, Faltungen, Draperien) bis hin zu Arbeiten aus diesem Jahrtausend und aus unserer unmittelbaren Gegenwart.

Alle Exponate, abgesehen von den zahlreichen Fotografien und Zeichnungen, die an den Wänden und Zwischenwänden hängen, sind auf raumgreifenden kniehohen Podien platziert, sodass die einzelnen Werke infolge des Verzichts auf Einzelsockel automatisch zu Werkgruppen zusammenrücken und dem Betrachter dadurch zugleich auch optisch näher kommen. Das in der Ausstellung gezeigte Jacobische Keramikensemble aus den Jahren 2010 bis 2020 beispielsweise spielt mit seiner zirkulären Anordnung von Säulen und Säulenstümpfen um ein rundes flaches Behältnis auf den „Tisch des Schweigens“ aus dem Târgu-Jiu-Ensemble von Constantin Brâncuși an, so wie auch das Jacobische Säulenensemble aus den Jahren 1992 bis 2002 auf die endlose Säule, ebenfalls aus dem Târgu-Jiu-Ensemble. Zwei dieser Jacobischen Säulenplastiken aus Bronze tragen den Titel „Siebenbürgische hexaedrische Säule“ und ein weiteres Säulenensemble mit dem Titel „Variationen organischer Säulen“ aus den Jahren 2015 und 2016 unterstreicht die Bedeutung des architektonischen Elements der Säule für Peter Jacobis Gesamtwerk. Eine dieser Säulen aus dem letztgenannten Ensemble trägt, in Anlehnung an die Pestsäulen des Spätmittelalters und in Anspielung auf die heutige Gegenwart, den Werktitel „Pandemiesäule“.

Aus den achtziger Jahren stammen die „Luftaufnahmen“ betitelten Schieferplastiken Peter Jacobis, die an Rasterstädte, an Geoglyphen oder auch an Nekropolen erinnern. Das Thema der Gräber, Grabplatten oder Grabdenkmäler spielt ebenfalls eine wichtige Rolle im Gesamtschaffen des mit der Bukarester Retrospektive im MNAC geehrten Künstlers. Mehrere Bronzeentwürfe für ein Grabmal sind hier ebenso zu erwähnen wie zwei Handplastiken aus Marmor aus den siebziger Jahren. Die Marmorskulptur „Ossarium“ aus den Jahren 1973 bis 1976 greift dieses Thema des Gedenkens und der Erinnerung ebenfalls auf, wobei die plastische Wiedergabe von Knochen aus Beinhäusern durch die räumliche Nähe zu den gleich daneben platzierten Werken Bezüge zu weiteren Skulpturen mit Textilkabeln eröffnet, die in dieser Ausstellung ebenfalls zu bewundern sind.

Das Thema des Gedenkens zeigt sich auch in den Fotografien von Peter Jacobi, die einen breiten Raum in seiner Bukarester Retrospektive einnehmen. So finden sich hier zahlreiche Aufnahmen von Trümmer- oder Schuttbergen, wohin man bis in die späten fünfziger Jahre des vorigen Jahrhunderts die Kriegstrümmer deutscher Städte transportierte und aufschüttete. Etliche dieser Trümmerberge tragen heute noch den Namen „Monte Scherbelino“ (Frankfurt am Main, Paderborn, Pforzheim, Stuttgart). Beeindruckend sind Peter Jacobis Aufnahmen vom Stuttgarter Birkenkopf, dessen Plateau von bis auf den heutigen Tag sichtbar belassenen Trümmern (u. a. des Stuttgarter Neuen Schlosses) umsäumt ist, pittoresk und unheimlich zugleich. Auch die Fotos vom Westwall („Siegfried-Linie“) gehören hierher mit ihren Bunkern und Panzersperren, die umgangssprachlich auch als Höckerlinien bezeichnet wurden. Fotos vom zerstörten Anhalter Bahnhof in Berlin runden dieses historisch-dokumentarische Kapitel der Ausstellung ab.

Den Fotokünstler Peter Jacobi zeigen dann diverse Aktaufnahmen in einem wieder anderen Licht. Darunter sind nicht nur Frauenakte, die in der Ausstellung mit benachbarten Aktzeichnungen korrespondieren, sondern auch Männerakte von Kriegsinvaliden. Erschütternd ist das Foto eines stehenden nackten Mannes, dem der linke Unterarm amputiert wurde, in der Pose des gekreuzigten Jesus. Neben diesen Aufnahmen aus den achtziger Jahren sind hier auch drei fotokünstlerische Kompositionen aus dem Jahre 1996 zu erwähnen: „Großer Akt in der Reflexion“, „Selbst in meiner Skulptur“ und „Spiegelung im Erdfenster“. Interessant ist auch die fotografische Parallelisierung des „Sterbenden Laomedon“, einer Skulptur aus dem Ostgiebel des Aphaiatempels auf Ägina, die in der Münchner Glyptothek aufbewahrt ist, mit der „Fallender weiblicher Akt“ betitelten Fotografie Peter Jacobis aus dem Jahre 2019.

Einen breiten Raum nehmen in der Ausstellung auch Werke aus dem Umkreis des Bukarester Holocaust-Mahnmals ein, das im Jahre 2009 in der rumänischen Hauptstadt feierlich eingeweiht wurde. Man sieht hier Säulen, ungleiche und unterbrochene Ringe, eine „Epitaph“ betitelte Studie zu einem Monument, ein verkleinertes Modell des Bukarester Mahnmals sowie eine Fotografie des Denkmalensembles in situ aus der Vogelperspektive. Wer sich nach dem Besuch der Ausstellung zu dem rund eine halbe Stunde Fußweg entfernten und zwischen den Straßen Lipscani und Mihai Voda gelegenen Holocaust-Mahnmal am Ufer der Dâmbovița begibt, wird vieles aus der Ausstellung wieder erkennen und zugleich das Kunstschaffen Peter Jacobis im Freien wie in neuem Licht besehen können.