Bis heute ein technisches Wunderwerk

Carl Ritter von Ghegas Semmeringbahn

Viaduktbau | Fotos: Mag. Ignazius Schmid

Der berühmte Zwanzig-Schilling-Blick, bereits als Fotorahmen zum Fotografieren vorbereitet

Alter Stich über die Station Wolfsbergkogel

Die Steinbrück-Lokomotive, genannt Südbahn-Stanitzel, im Technischen Museum in Wien

Werbeplakat für die Semmeringfahrten

Denkmal für Karl VI. zum Dank für die erste Semmeringstrasse

Moderner Zug auf dem Krausel-Viadukt

Bis 1200 war der Semmeringpass bedeutungslos. Wer von Wien nach Triest reisen wollte, wählte die Route über Ungarn oder Graz und vermied das unwegsame Gebiet durch das Gebirge. Der Semmering legte sich wie ein Querriegel über die Strecke, und man nahm lieber den viel längeren Weg in Kauf, als sich den Gefahren der Wildnis in den Bergen auszusetzen. 1728 ließ Kaiser Karl VI. eine Straße über den Semmering bauen, die bis 17 Prozent steil war und in 48 Tagen erstellt wurde. Er befuhr sie mit seiner Gemahlin und seinem Hofstaat im gleichen Jahr per Kutsche. 

Man kann sich vorstellen, dass diese Straße nicht sehr komfortabel gewesen sein konnte, wenn man weiß, wie lange man auch heute noch an einer soliden Straße baut. Damals konnte man den Pass bewältigen mit Gespannen von bis zu zwölf Pferden. Schon Erzherzog Johann (1782–1859), der Bruder von Kaiser Franz I., wollte eine Eisenbahn über den Semmering, weil sich damit seine steirische Wahlheimat erschließen ließ. Fünf Jahre vor seinem Tod durfte er noch die Eröffnung erleben. Von Wien bis Gloggnitz, am Semmeringnordfuß, gab es schon seit 1842 eine Eisenbahn, und von Mürzzuschlag, am Semmeringsüdfuß, bis Triest ebenfalls. Nur über die 42 Kilometer dazwischen – in Luftlinie 21 Kilometer – hatte sich der entscheidungsschwache Kaiser Ferdinand I., der ja grünes Licht geben musste, noch nicht drübergetraut; man musste in die Kutsche umsteigen. Der kinderlose Kaiser übergab 1848 in Olmütz die Krone an seinen Neffen Franz Joseph. Im gleichen Jahr wurden zur Minderung der Arbeitslosigkeit die Baupläne bewilligt. Der Bau, die erste vollspurige Bergbahn Europas, wurde in der Rekordzeit von sechs Jahren fertiggestellt und am 17. Juli 1854 eröffnet. 

Ein Genie baut die Semmeringbahn

Carl Ritter von Ghega hatte die Pläne für die Semmeringbahn erstellt und leitete den Bau. Er war der Sohn albanischer Eltern und wurde am 10. Jänner 1802 in Venedig geboren. Schon bald zeigte sich sein geniales mathematisches Talent, und er besuchte mit fünfzehn Jahren die Universität von Padua. Bereits mit siebzehn Jahren machte er als Architekt und Ingenieur seinen Doktor. Zunächst war er für große Projekte im norditalienischen Straßenbau zuständig, dann wandte er sich der gerade erfundenen Eisenbahn zu. 1836–1837 bereiste er England, andere europäische Länder und die USA, um Bahnprojekte zu studieren. Er leitete anschließend den Bau der Nordbahn, die von Wien nach Krakau führte, bis er den Auftrag bekam, die Vision der Semmeringbahn umzusetzen. Er wanderte eineinhalb Jahre durch das Gebirge, bis er alle Berge, Schluchten und Gräben der möglichen Linienführung kannte, die er mit hundert Brücken, fünfzehn Tunneln und sechzehn Viadukten – zum Teil zweistöckig – realisieren wollte. Von den damals führenden Bahningenieuren wurde er ausgelacht, weil es keine Lok gab, die die vielen steilen Steigungen bis zum 984 Meter hohen Gebirgspass des Semmering als Adhäsionsbahn bewältigen hätte können. Ghega ließ sich nicht beirren, schrieb einen Wettbewerb aus, und von den vielen eingelangten Lokomotivplänen blieben deren vier über. Wirklich befriedigend war keine davon, aber der beauftragte Ingenieur Wilhelm von Engerth verstand es, die Vorteile dieser vier Loks in einem einzigen Modell zu vereinen. 

Eine Vorstellung von damaligen Dampfloks bekommt man im Technischen Museum in Wien. Dort steht die älteste erhaltene Dampflok „Steinbrück“, die von der Maschinenfabrik der Wien-Gloggnitzer-Bahn 1848 für die Südbahn gebaut wurde. Ihres großen, trichterförmigen Funkenfängerkamins wegen hieß sie im Volksmund „Südbahn-Stanitzel“. Den Kulturschock, den das einfache Volk anno dazumal durch die Eisenbahn bekam, beschrieb Peter Rosegger in seiner Erzählung „Als ich das erste Mal auf dem Dampfwagen saß“: „Auf der eisernen Straße heran kam ein kohlschwarzes Wesen. Es nahte mit mächtigem Schnauben und Pfustern und stieß aus dem Rachen gewaltigen Dampf aus. Und wenn wir gedacht hatten, an das Lokomotiv wären ein paar Steirerwägelchen gespannt, so sahen wir nun einen ganzen Marktflecken mit vielen Fenstern heranrollen, und zu den Fenstern sahen lebendige Menschenköpfe heraus, und schrecklich schnell ging’s, und ein solches Brausen war, dass einem der Verstand stillstand. Wir gingen auf der Fahrstraße hinan (Anm.: bis zur Semmering-Passhöhe) und sahen aus mehreren Schächten Rauch emporsteigen. Tief unter unseren Füßen im Berg ging der Dampfwagen.“ 

Der Berg macht sich bemerkbar 

Bis es so weit war, dass sich ein kohlschwarzes Wesen mit Schnauben und Pfustern näherte, war noch Gewaltiges zu leisten. Die Probleme und Anforderungen beim Bau kann man sich heute kaum mehr vorstellen. Man konnte ja nicht mit tonnenschweren Maschinen oder Lastern arbeiten. Um einen Tunnel durchzubrechen, mussten zum Beispiel von der Erdoberfläche aus senkrechte oder schräge Schächte bis zum Tunnelgrund gegraben werden, um alles, was gebraucht wurde, hinunterzubringen: Arbeiter, Essen, Baumaterial, Werkzeuge, Geräte … und das durch senkrechte Schächte, über bis zu hundert Meter lange Leitern. Die schrägen Schächte dienten zum Abtransport des Abbruchmaterials durch Loren. Bis zu 3000 Steinarbeiter in den Steinbrüchen, Zimmerer für die Bearbeitung des Grubenholzes und Handlanger arbeiteten in zwei Schichten zu je zwölf Stunden täglich. Frauen waren als Mörtelträgerinnen eingesetzt, Kinder mussten über die Leitern in die Schächte klettern, um den Arbeitern das Essen zu bringen, bis zu 20.000 Arbeiter waren im Einsatz. Die Bohrlöcher wurden mit Meißeln händisch geschlagen, das harte Gestein mittels Schwarzpulver gesprengt. Bei jedem Schachteingang gab es eine Schmiede, um die Meißel zu schärfen und neue zu schmieden. Das größte Problem war das einfallende Bergwasser, das in einem Richtstollen abgeleitet wurde. Im Laufe der Jahre wurde im Winter die Vereisung der undichten Tunnelröhre zu einem immer größer werdenden Problem. Aus dem Haupttunnel wurden beispielsweise im Jahr 1929 von vierzig Eisenbahnern in 822 Waggons abgeschlagenes Eis herausgebracht. Die mit Ziegeln ausgemauerten Gewölbe wurden baufällig und mussten ständig ausgebessert werden. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde der Haupttunnel mit einer wasserundurchlässigen Schicht überzogen und mit Granitsteinen ausgemauert, dann wurde der Bau einer zweiten Tunnelröhre beschlossen, und beide Tunnel wurden im Februar 1953 dem Verkehr übergeben. 

Die Herausforderungen bei den Viadukten waren nur anders, aber nicht geringer. Nur die besten Bauunternehmer der ganzen Monarchie kamen für die Ausführung infrage, im Fall der Viadukte Kalte Rinne und des Krausel-Viadukts war das Fernando Tallachini. Das lose Oberflächenmaterial wurde abgetragen, die Pfeiler aus Steinquadern gebaut und besonders stark im Boden verankert. An jedem Pfeiler arbeiteten 25 Steinmetze und Maurer. Die Steinblöcke wurden im Talgrund vorbereitet, mit Schrägaufzügen zum Fuß der Viaduktpfeiler gebracht, bis zur jeweiligen Arbeitsbühne händisch hochgezogen, eingefügt und mit eisernen Klammern verbunden. Der obere Pfeilerteil wurde mit Ziegeln gemauert, zur Verzierung mit runden Ochsenaugenfenstern versehen und schön ausgemauert. Besonderen Wert legte man auf die seitliche Anbindung an den Felsen, die so sorgfältig vorgenommen wurde, dass man meinen könnte, sie wäre aus dem natürlichen Stein herausgewachsen. Brücken baute Ghega aus Stein, eiserne Brücken lehnte er ab. Bis 1959 gab es entlang der Bahnstrecke durch Funkenflug immer wieder Waldbrände. Durch die Elektrifizierung der Strecke war das Problem gelöst. 

Ein Meilenstein der Eisenbahngeschichte

Jedes Bauelement, jedes Viadukt und jeder Tunnel hatte seine speziellen Anforderungen, die Bahnhöfe Gloggnitz und Payerbach-Reichenau waren zu bauen sowie die Haltestellen Schlöglmühl, Küb, Eichberg, Klamm-Schottwien, Breitenstein, Wolfsbergkogel – und dann war am Bahnhof Semmering die Passhöhe erreicht. Hinunter in die Steiermark ging’s über Steinhaus am Semmering, Spital am Semmering, und zuletzt war man am Bahnhof Mürzzuschlag, am Endpunkt der Semmeringbahn, die sich nun als normale Südbahnstrecke bis Triest fortsetzt. 

Was die Semmeringbahn der bewaldeten, kaum bewohnten Gegend in wirtschaftlicher, sozialer und gesellschaftlicher Richtung brachte, war geradezu enorm: Die gehobene Gesellschaft ließ sich von berühmten Architekten wie Hermann Helmer, Ferdinand Fellner, Franz von Neumann prachtvolle Villen bauen. Großunternehmer brachten ihre Familien über die Sommermonate auf den Semmering und besuchten sie an den Wochenenden, Künstler kamen, das Kaiserhaus und der Adel. Großartige Hotels wie das Südbahnhotel mit 600 Betten für den Hochadel und das Panhans mit 700 Betten für die Neureichen sowie zahlreiche kleinere Hotels entstanden überall in den Ortschaften. 

Wer über alle Details Bescheid wissen will, fragt am besten Horst Schröttner, Altbürgermeister von Semmering. Vierzig Jahre amtete er in der Gemeinde und als Bürgermeister, und ein Stück Landschaft oder ein Haus, das er nicht kennt, gibt’s nicht. Seine Familie lebt seit dreihundert Jahren am Semmering, und als kleiner Knirps hatte er fast seinen „Zweitwohnsitz“ im Hotel Südbahn, wo seine Mutter als Zimmermädchen arbeitete. Er hat das Erbe Ghegas getreulich verwaltet, und auch gegen veränderte modische Urlaubsbedürfnisse verteidigt; wie sich in den letzten Jahren zeigt: weitsichtig und zu Recht. 

Seit bald 170 Jahren fährt nun die Semmeringbahn auf der gleichen Strecke und wurde 1998 als erste Bahnlinie der Welt von der UNESCO in die Liste des Weltkulturerbes aufgenommen. Noch immer kann man die kühnen Bauwerke bewundern, die Ghegas Genie ermöglichte; die landschaftliche Schönheit des Gebirges, die Felswände, Gräben und Anhöhen … sie sind immer noch da. Nie war die Verbindung von Landschaft und Menschenwerk zu einem schöneren Weltkulturerbe vereint als am Semmering.