Chronologischer Gang durch Joseph Haydns Streichquartettschaffen

Das Quartett „Voces“ mit drei Werken aus Haydns Opus 9 in Bukarest

Das „Voces“-Quartett hatte in der Hauptstadt wieder ein dankbares Publikum.

Die rumänische Streichquartettformation „Voces“, die vor zwei Jahren ihr vierzigjähriges Bestehen feiern konnte, hat in ihrem Jubiläumsjahr 2013 mit einem konzertanten Gang durch das reiche Quartettschaffen desjenigen Komponisten begonnen, der als Begründer der kammermusikalischen Gattung des Streichquartetts gelten kann und selbst die unglaubliche Zahl von 83 Werken in dieser Gattung geschaffen hat: Joseph Haydn.

Der konzertante Haydn-Zyklus des „Voces“-Quartetts wurde am 20. November 2013 mit Quartetten aus Haydns Opus 1 und 2 eröffnet, am 19. November 2014 mit Quartetten aus Haydns Opus 2 und 3 fortgeführt, und am 1. April 2015 gelangten im Großen Saal des Rumänischen Rundfunks in Bukarest drei Streichquartette aus Haydns Opus 9 zur Aufführung. Von den insgesamt sechs Quartetten dieses Opus interpretierten Bujor Prelipcean (1. Violine), Vlad Hrubaru (2. Violine), Constantin Stanciu (Bratsche) und Dan Prelipcean (Cello) die Quartette Nr. 4 in d-Moll, Nr. 1 in C-Dur und Nr. 3 in G-Dur.

Haydns Opus 9 wird als der eigentliche Beginn der Haydnschen Streichquartettkunst betrachtet. Der Komponist soll seinem Wiener Verleger Domenico Artaria selbst einmal gesagt haben, dass seine Quartette im eigentlichen Sinne erst mit diesem Opus anfingen. Und in der Tat weisen die 1769 erschienenen sechs Quartette des Haydnschen Opus 9 erhebliche Fortschritte gegenüber den insgesamt 18 Quartetten der Opera 1, 2 und 3 auf, wobei die Echtheit von Opus 3 neuerdings von der musikwissenschaftlichen Forschung bezweifelt wird. Als Komponist dieser Folge von sechs Quartetten gilt heute der Benediktinermönch und Bratschenvirtuose Roman Hofstetter (1742-1815).

Einen nicht zu unterschätzenden Anteil an den Haydnschen Neuerungen in Opus 9 hatten gewiss auch die brillante Technik und die spezielle Spielart des italienischen Violinisten Luigi Tomasini. Fürst Esterházy, mit vollem Namen Paul II. Anton Esterházy de Galantha, hatte, als er noch als General der Kavallerie im Siebenjährigen Krieg kämpfte, den damals erst 16-jährigen Luigi Tomasini aus Italien an seinen Fürstenhof geholt und ihn zum Mitglied seiner Hofkapelle gemacht, wo dieser dann, als Haydn 1761 ebendort zum Hofkapellmeister avancierte, auch bald zum Konzertmeister aufstieg. Die Violinsoli mehrerer Sinfonien von Haydn sind für Tomasini geschrieben, und Haydns erstes Violinkonzert in C-Dur trägt die Widmung „Fatto per il Luigi Tomasini“.

Der Bukarester Konzertabend des „Voces“-Quartetts wurde mit dem vierten Quartett aus Opus 9 eröffnet, Haydns erstem Streichquartett in Moll. Das viersätzige Werk beginnt mit einem Allegro moderato, an dessen gefühlvoller Entfaltung alle vier Streichinstrumente gleichermaßen beteiligt sind. Das darauf folgende und in derselben Stimmung gehaltene Menuetto wartet mit einer Überraschung auf. Im Dur-Trio, das eigentlich Dur-Duo heißen müsste, erklingen nur die beiden Geigen im Duett; die Bratsche und das Cello hingegen spielen, mit einem „tacet“ in den Noten, jeweils den Part des Zuhörers. Im Adagio cantabile macht sich, wie im Eingangssatz, das Zusammenwirken aller Instrumente bemerkbar, in bewusster Abkehr von einer Quartettform, bei der die Mittel- und Unterstimmen ausschließlich die Funktion haben, den Primgeiger bescheiden zu begleiten. Ein heiteres Scherzo lässt das großartige Werk, das von den Musikern des „Voces“-Quartetts mit technischer Perfektion und in vollendetem Zusammenspiel dargeboten wurde, im Finalsatz ausklingen.

Unmittelbar darauf folgte das erste Quartett des Haydnschen Opus 9, in dem vor allem den beiden Mittelstimmen im – Moderato überschriebenen – ersten Satz eine wichtige, aus gebrochenen Akkorden bestehende Begleitungsfunktion zukommt. Das Menuett, das in der Chronologie von Haydns Quartettschaffen zum ersten Male mit einer Tempobezeichnung – Allegretto – versehen ist, setzt sich, nach einem Trio in Moll, in der Wiederholung des Hauptteils fort, mit dessen Verklingen es seinerseits schließt. Im Siciliano betitelten dritten Satz tritt besonders die Violine hervor. Durch seine Virtuosität ließ der Primgeiger des „Voces“-Quartetts Bujor Prelipcean erahnen, wie damals wohl auch Luigi Tomasini diesen bravourösen Part zum Klingen gebracht haben mochte. Im abschließenden Presto ließ das gesamte „Voces“-Quartett seinem Enthusiasmus und seiner Spiellust freien Lauf, wobei insbesondere die chromatischen Passagen zu den Höhepunkten der Darbietung dieses Satzes zählten.

Ohne Pause folgte dann im Bukarester „Mihail Jora“-Saal des Rumänischen Rundfunks das dritte und letzte Werk des Konzertabends: das dritte Quartett aus dem Haydnschen Zyklus Opus 9. Auch in diesem – gleich den beiden vorigen Quartetten – ebenfalls viersätzigen Stück, das mit einem Allegro moderato einsetzt, gelang es den vier Musikern, das Publikum durch ihr exorbitantes Können mitzureißen. Wunderbar die Bogentechnik des Cellisten, der seine Wurfbögen, die gemeinhin am Frosch gespielt werden, an der Spitze realisierte und diese dann auch noch in ein fliegendes Wurfstakkato übergehen ließ. Begeisternd auch die kraftvolle Harmonie der Mittelstimmen, um die sich die Unter- und Oberstimme der Prelipcean-Brüder wie ein Kranz winden konnten. Das humorvolle Menuett mit seinen Sforzati auf den unbetonten Taktteilen, das darauf folgende Largo mit seinen Sechzehnteltriolen und das luftige Finale beschlossen einen hörenswerten Kammermusikabend, der vom Publikum mit anhaltendem Beifall honoriert und von zwei Konzertgästen mit jeweils vier roten Rosen für die vier Musiker besonders gewürdigt wurde.

Man freut sich schon heute auf die weiteren Schritte des „Voces“-Quartetts beim chronologischen Gang durch Haydns Streichquartettschaffen: auf die Neuwirth-Quartette (Opus 17) und die Sonnenquartette (Opus 20).