Das Schicksal der Juden in Bessarabien und Transnistrien im Vergleich

Diana Dumitru stellt Beziehungen zwischen jüdischen und nichtjüdischen Nachbarn in den Mittelpunkt

Diana Dumitru: The State, Antisemitism and Collaboration. The Borderlands of Romania and the Soviet Union, New York: Cambridge Press 2016, 261 S.

Die Autorin ist Assistenzprofessorin an der staatlichen Universität in Chişinău. Sie ist durch zwei Bücher und viele Beiträge zur Zeitgeschichte im östlichen Europa hervorgetreten. Für das neue Buch wertete sie Behördenakten in den staatlichen Archiven in Chişinău und Odessa aus. Mehrere Stipendien ermöglichten ihr eine intensive Forschung besonders im Archiv des US Holocaust Memorial Museum in Washington. Im Archiv von Yad Vashem in Jerusalem wertete sie Interviews mit jüdischen Überlebenden aus, die in den Jahren 1952 bis 1999 in russischer und rumänischer Sprache aufgenommen wurden. Zusätzlich interviewte sie 2005/2006 einige jüdische Überlebende, die heute im Ausland leben und befragte einige Zeitzeugen aus der Moldaurepublik.

Das Buch besteht aus einer Einleitung und sechs Kapiteln. Eingangs betont Dumitru, dass es ihr weniger um die Beschreibung der Gewaltexzesse gegen Juden geht, sondern um die Beziehungen zwischen den Nachbarn. Im Mittelpunkt steht ihre Frage, inwieweit es zwischen 1941 und 1944 Unterschiede im Verhalten der Nichtjuden gegenüber Juden gab, die einerseits im rumänischen Bessarabien und andererseits im vormals sowjetischen Transnistrien lebten.

Im ersten Kapitel fasst die Autorin kurz die Geschichte der Juden in den beiden Gebieten zusammen, die bis 1918 zum Russischen Reich gehörten. Sie waren Teil des Ansiedlungsrayons und besonders in den Städten lebten sehr viele Juden. Dumitru skizziert die Rolle von orthodoxen Geistlichen bei den Pogromen in Odessa 1871 und in Kischinev (Chişinău) von 1903. Da die Polizei jüdisches Eigentum nicht schützte, begannen junge Juden, sich seit den Pogromen von 1905 in Einheiten zur Selbstverteidigung zusammenzuschließen. Im zweiten Kapitel untersucht Dumitru die Veränderungen in Bessarabien nach dem Anschluss dieses Gebietes an Großrumänien seit 1918. In das Gebiet strömten durch den Bürgerkrieg in der Ukraine viele jüdische Flüchtlinge. Diese erhielten keine rumänische Staatsbürgerschaft und lebten daher unter prekären Verhältnissen.

Die Interessen der jüdischen Arbeiter, Handwerker und Gewerbetreibenden vertrat der Jüdische Arbeiterbund. Die jüdischen Industriellen und Kaufleute unterstützten zumeist die Zionisten. Die antisemitische Bewegung der Rumänen konzentrierte sich in den vier Universitätsstädten Bukarest, Jassy, Czernowitz und Klausenburg. In Bessarabien gab es wiederholt Aufmärsche der rechtsradikalen Eisernen Garde. Viele junge Juden sahen durch die Politik der Rumänisierung ihre Zukunft gefährdet und einige unterstützten linke Organisationen. Das verstärkte den Druck der allgegenwärtigen Sicherheitspolizei Siguran]a, die alle antifaschistischen Organisationen verfolgte.

Im dritten Kapitel schildert Dumitru die Bemühungen der sowjetischen Behörden in dem südukrainischen Gebiet, das später Transnistrien genannt wurde, den Antisemitismus zu bekämpfen. Alle Kinder besuchten dieselben staatlichen Schulen und wurden zur interethnischen Solidarität erzogen. Auch in den Medien wurden antisemitische Stereotype bekämpft. Die Kollektivierung veränderte die Beziehungen in den Dörfern. Durch die Verstaatlichung von Geschäften und Betrieben in den Städten verringerte sich der Anteil der Gewerbetreibenden und Handwerker. Durch die Industrialisierung stieg besonders in Odessa der Anteil der jüdischen Arbeiter stark an.

Im vierten Kapitel schildert Dumitru die Verbrechen der rumänischen Armee nach der Rückeroberung Bessarabiens, das zwischen Juni 1940 und Juni 1941 zur Sowjetunion gehört hatte. Sie erschoss gemeinsam mit deutschen Kommandos Zehntausende Juden. Zwischen 154.000 und 170.000 Juden aus Bessarabien und der Bukowina wurden in das Gebiet Transnistriens getrieben, das durch die Kämpfe stark zerstört worden war. An den Verhaftungen wirkten freiwillig rumänische Zivilisten mit, um sich an der Plünderung von jüdischem Eigentum zu beteiligen. Es wurden fast alle Juden aus Bessarabien vertrieben.

Im fünften Kapitel werden die grausamen Zustände in Transnistrien nach dem Einmarsch rumänischer und deutscher Einheiten dargestellt. In dem Gebiet lebten 1926 neben einer Million Ukrainer 710.000 Russen, 300.000 Juden, 290.000 Rumänen und 125.000 Deutsche. Wie vielen Juden die Flucht ins Innere der Sowjetunion im Juni 1941 gelang, ist nicht bekannt. Kommandos der Einsatzgruppe D begannen gleich mit Massenerschießungen. Seit August war Transnistrien rumänisches Besatzungsgebiet. Vermutlich lebten in Odessa noch etwa 100.000 Juden. Ein großer Teil wurde aufgrund des Befehls von Ion Antonescu als Sühnemaßnahme erschossen, nachdem eine vom NKVD zurückgelassene Bombe im Hauptquartier der Besatzer 60 Offiziere und Soldaten in den Tod gerissen hatte. Die überlebenden Juden wurden in provisorische Lager getrieben, wo sich durch die elenden Bedingungen Typhus ausbreitete. Mit Hinweis auf die Epidemie erschoss die ukrainische Miliz unter rumänischem Kommando Zehntausende Juden. Es gab nur sehr wenige Überlebende. Diejenigen, die damals als Kinder in den Dörfern um Essen baten, schilderten später eine große Hilfsbereitschaft der Einheimischen. Die Helfer gehörten verschiedenen Schichten der Gesellschaft an. In Odessa überlebten einige junge Juden durch die Hilfe von Russen und Ukrainern aus der Nachbarschaft. Die sogenannten Volksdeutschen wandten sich erst gegen die Juden, als sie 1941 unter die Kontrolle der SS-Führer vom Sonderkommando R gestellt wurden.

In der Zusammenfassung geht Dumitru auf ihre telefonische Befragung von 62 Juden aus den beiden Gebieten ein. Davon waren 18 Deportierte aus Bessarabien, die in Transnistrien überlebten. Von diesen Befragten gaben 87 Prozent an, dass die Bevölkerung in Transnistrien sich ihnen gegen-über weniger feindlich als in Bessarabien verhalten habe. Das passt zur Ausgangsthese der Studie, dass durch die sowjetische Erziehung sich die Bevölkerung in Transnistrien gegenüber den Juden viel hilfsbereiter verhielt als im rumänischen Bessarabien. Sicher erfolgte in Bessarabien eine intensive antisemitische Indoktrination der Bevölkerung, wobei orthodoxe Geistliche mitwirkten. Die war im sowjetischen Transnistrien nicht möglich. Dass alle Vorurteile innerhalb von 25 Jahren verschwanden, kann in Frage gestellt werden. Auch sollten Aussagen so weniger Zeitzeugen nicht verallgemeinert werden. Bei telefonischen Befragungen lassen sich komplexe Erfahrungen nicht ermitteln. Dumitru vergleicht zudem sehr unterschiedliche Situationen. Aus Bessarabien wurden zwischen Juli und Oktober 1941 alle Juden vertrieben und in den vier Monaten konnte das rumänische Militär jeden erschießen, der zum Beschützer der jüdischen „Staatsfeinde“ deklariert wurde. Dagegen hielten sich die deportierten Juden in Transnistrien vier Jahre lang auf. Überleben konnte nur, wer Lebensmittel von Einheimischen bekam. Diejenigen, die abgewiesen oder denunziert wurden, konnten keine Auskunft mehr geben. Auch wenn es einige mutige Helfer gab, kam über ein Drittel der deportierten Juden in Transnistrien um.

Das gut lesbare Buch ist besonders durch den vergleichenden Ansatz ein wichtiger Forschungsbeitrag. Er zeigt, dass aus den Erinnerungen der Zeitzeugen und der Auswertung von sowjetischen Gerichtsakten aus den Jahren nach 1944 noch viele wichtige Informationen gewonnen werden können. Doch müssten weitere Untersuchungen zu einzelnen Orten Bessarabiens und Transnistriens folgen, um auch das Ausmaß der Kollaboration zu klären.