Das Unausweichliche, hier wird’s Ereignis

Andrei Zincăs Spielfilmdebüt „Puzzle“ neu in den rumänischen Kinos

Nach Jahrzehnten wieder in einem rumänischen Film zu sehen: Dan Nuţu in der Rolle eines blinden Schriftstellers.
Foto: puzzlefilm.ro

Andrei Zincă, Sohn des Schriftstellers Haralamb Zinc², hat jüngst seinen ersten Spielfilm mit dem Titel „Puzzle“ der rumänischen Öffentlichkeit vorgestellt. Der 1955 in Bukarest geborene und gegenwärtig in den USA lebende Filmdirektor, der bisher hauptsächlich durch Fernsehserien und TV-Dokumentationen, insbesondere aber als Regisseur lateinamerikanischer Telenovelas hervorgetreten ist, hat sich mit seinem Ende Mai dieses Jahres neu in die rumänischen Kinos gekommenem Debütfilm „Puzzle“ erstmals dem Spielfilmgenre zugewandt.

Die Premiere von „Puzzle“ markiert zugleich ein bemerkenswertes Comeback in der rumänischen Filmkunst. Einer der Protagonisten des Films, der blinde Schriftsteller Sabin Vianu, wird von Dan Nuţu verkörpert, einem bekannten Film- und Theaterschauspieler der sechziger und siebziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts, der 1979 in die USA emigrierte und seitdem keine großen Rollen mehr übernommen hat. Seine Rückkehr auf die Leinwand ist gewiss einer der Verdienste Andrei Zincăs, der in „Puzzle“ nicht nur für die Regie, sondern, zusammen mit Adrian Lustig und Mario Diament, auch für das Drehbuch verantwortlich zeichnet.

Noch in einer weiteren Hinsicht knüpft der Film „Puzzle“ an die rumänische Filmhistorie an. Um die Vorgeschichte der Filmhandlung ins Bild zu holen, in der Vergangenes mit Hilfe von Rückblenden wieder ins Gedächtnis gerufen wird, verwendet der Regisseur von „Puzzle“ Sequenzen aus dem Film „Rătăcire“ (Verirrung) des rumänischen Regisseurs Alexandru Tatos aus dem Jahre 1978, in dem nicht nur Dan Nuţu als junger Mann auftritt, sondern auch die blutjunge Ioana Pavelescu, die beide auch in „Puzzle“ ein Liebespaar verkörpern, das allerdings erst am Ende von Zincăs Film zueinander findet.

Der Filmtitel „Puzzle“ ist zugleich als hermeneutischer Hinweis für den Zuschauer gedacht, der sich die Filmhandlung im Verlauf ihrer Betrachtung erst nach und nach zurechtlegen und nur allmählich zusammensetzen kann. Scheinbar disparate Schauplätze, scheinbar zufällige Begebenheiten werden durch das kontinuierliche Fortspinnen verschiedener Erzählfäden sukzessive zusammengewirkt und zu einem Ganzen gesponnen, das Unerwartetes und Unausbleibliches, zufällige Vorgänge und allumfassende Vorsehung miteinander verknotet.

Herzstück des von Andrei Zincă inszenierten Puzzles ist ein Augenblick, der im Film allerdings nicht gezeigt, sondern über den nur gesprochen wird. Im Brüssel der siebziger Jahre treffen sich in einer Metro-Station die Blicke zweier Menschen, die sich in diesem Moment auf ewig ineinander verlieben, ohne dass diese Liebe sich jemals realisierte. Dennoch wird diese unerfüllte Liebe für beide lebensbestimmend: für die Frau als quälendes Symbol unerfüllter Möglichkeiten, für den Mann als melancholische Utopie. „Inevitabilul“, das Unvermeidliche und Unabwendbare, wird im schriftstellerischen Werk der Filmfigur Sabin Vianu zur zentralen literarischen Kategorie und unter der Hand auch zum Konstruktionsprinzip des Films „Puzzle“.

Das schicksalhaft Unausweichliche scheint die Protagonisten an unsichtbaren Fäden dorthin zu manövrieren, wohin sie nach eigenen Gesetzen niemals gelangt wären. Der Gerichtsvollzieher, der den blinden Schriftsteller mit allen legalen und illegalen Mitteln aus seinem überschuldeten Haus vertreiben soll, wird plötzlich zum Initiator einer Spendenaktion, die dem falliten Autor seinen Besitz rettet. Derselbe Gerichtsvollzieher wird aber unerwartet auch zum Mörder seiner Geliebten, der er in einem Anfall von Raserei zufällig das Genick bricht. Das Zweckrationale wird in „Puzzle“ außer Kraft gesetzt, es regiert allein das von der Vorsehung gezeitigte Unvorhersehbare.

Das großbürgerliche Haus des blinden Schriftstellers, das von Investoren dem Untergang geweiht wurde und von Bulldozern dem Erdboden gleichgemacht werden soll, wird dabei zum Symbol vergangener und vergehender Werte: Einkehr, Reflexion, Wahrhaftigkeit und Authentizität haben in der schnelllebigen, extrovertierten und profitorientierten Welt der Gegenwart nichts mehr verloren. Deshalb sucht der Gerichtsvollzieher auch Zuflucht in diesem Haus, das er ursprünglich vernichten wollte und in dem er beim symbolträchtigen Schachspiel endlich die Wahrheit über sein Leben erfährt.

Ansonsten regiert in „Puzzle“ Geld die Welt. Der Gerichtsvollzieher kauft sich eine Geliebte, diese erkauft sich damit die Möglichkeit der Heilung ihres drogenabhängigen Freundes, der das Geld für die Entziehungskur aber für die Begleichung seiner Schulden zweckentfremdet. Geld fungiert in „Puzzle“ als Bestechungsinstrument, als Mittel der Dominanz, als Garant des gesellschaftlichen Status, als Camouflage eigener Nichtigkeit. Seine Gegenpole in „Puzzle“ sind Liebe, Leidenschaft, Treue zu sich selbst und die Bereitschaft, das Unausweichliche zu akzeptieren.

Die Besetzung von „Puzzle“ ist nicht anders als grandios zu bezeichnen: allen voran Dan Nuţu, der die Rolle des blinden Schriftstellers bis an die Grenze des Manierierten auskostet und eine überragende Leinwandpräsenz darstellt; Ioana Pavelescu, die als Veronica Mátyás ihre Tochter vor einer Liebe retten will, die sie selbst nie erfahren durfte; die glänzende Debütantin Skovrán Tünde, die in ihrer Rolle als Gloria Mátyás Leidenschaft und Berechnung, Irrationalität und Zweckorientierung miteinander zu verbinden trachtet und dabei eine Vielzahl von Gesichtern zeigt und ein breites Spektrum von Identitäten auffächert, die den Betrachter immer wieder neu fesseln; schließlich und nicht zuletzt Adrian Titieni als der Gerichtsvollzieher Ştefan Manea, hinter dessen fassadenhaftem und unscheinbarem Äußeren starke innere Konflikte brodeln, die Titieni durch minimalistische Mimik und beiläufige Gestik meisterhaft decouvriert.

Dagegen werden die Rollen der Ehefrau (Cătălina Mustaţă) und der Vorgesetzten (Şerban Ionescu, Vladimir Găitan) des Gerichtsvollziehers vom Regisseur eher plakativ und stereotyp inszeniert, sodass das Potenzial dieser großartigen Schauspieler – Andrei Zincă hat „Puzzle“ dem jüngst verstorbenen Şerban Ionescu gewidmet – nicht voll zur Entfaltung kommt. Überhaupt schlittert Zincăs Regiearbeit nicht selten am Rande von Klischees entlang, wenn sie diese nicht geradezu bedient: Die mit einer Metallkreissäge hantierende verschwitzte Künstlerin Gloria Mátyás mit eng anliegendem, durchnässtem, durchscheinendem Top – von solchen Anleihen aus Telenovela oder Softporno wäre man als Zuschauer gerne verschont geblieben.
Abgesehen davon aber ein sehenswerter Film mit einem grandiosen Comeback (Dan Nu]u), einem glänzenden Debüt (Skovrán Tünde), einer großartigen musikalischen Untermalung (Daniel Manoiu), einem interessanten Schnitt (Dan Nanoveanu, Sergiu Arsenie) sowie einem gekonnt auf die Leinwand gebannten Bukarest der Gegenwart.