Dem Tod begegnet man mit einem spöttischen Grinsen oder einem ironischen Lächeln

Zu Carmen Elisabeth Puchianus Band „Die Professoressa. Ein Erotikon in gebundener und ungebundener Rede“

Das Buch kann im Erasmus-Büchercafé gekauft oder bestellt werden.

Im Frühjahr dieses Jahres erschien im Ludwigsburger Pop Verlag, der heuer sein 15-jähriges Bestehen feiert, ein neuer Band der Kronstädter Autorin Carmen Elisabeth Puchianu unter dem Titel „Die Professoressa. Ein Erotikon in gebundener und ungebundener Rede“. Professoressa ist die italienische Bezeichnung sowohl für eine weibliche Lehrkraft als auch für eine Hochschulprofessorin. Auf den ersten Blick könnte man vermuten, es handle sich um Ereignisse und Erfahrungen aus dem beruflichen Umfeld der Autorin Puchianu. Der Untertitel überrascht, denn laut Umschlagtitelei versteht sich dieses Buch als ein Erotikon und sollte also hauptsächlich von Erkundungen sexueller Beziehungen, von Verführung bis Erfüllung, von der Erforschung eigener Sexualität handeln. Die beiden Begriffe des Titels, die Professoressa und das Erotikon, scheinen im Gegensatz zueinander zu stehen – eine Hochschulprofessorin, gebildet und vergeistigt, erliegt den leiblichen Genüssen und dem körperlichen Verlangen. All das wäre jedoch etwas zu vordergründig für Puchianu, wenn es in dem Band nur darum ginge.

Hinter den erotischen, genüsslichen, gefühlsgeladenen Erfahrungen der Protagonisten versteckt sich die Begegnung mit dem Tod. Nichts Ungewöhnliches für Puchianus Werk. Der Tod entpuppt sich als ein konstanter Begleiter der Figuren, befindet sich mit Letzteren in einer widersprüchlichen aber auch ambivalenten Beziehung, die zwischen gegenseitiger Anziehung bis zu offensichtlicher Erotik und Zurückhaltung, ja sogar Ablehnung pendelt.

Carmen Elisabeth Puchianus Erfahrungen mit dem Tod setzen früh ein – der Tod des Vaters in der Jugend der Autorin musste überwunden werden. Und das tat Puchianu, indem sie sich den Tod vom Leibe hielt, wie sie das im Vorwort offenbart. Die ursprüngliche Beziehung zum Tod ist von Angst geprägt, wie im Vorwort darauf hingewiesen wird: „sein (des Vaters) Tod könnte mich wie eine ansteckende Krankheit befallen und dahinraffen“ (Vgl. „Die Professoressa“, S. 9).
Die komplexe Beziehung zum Tod wird in den Texten intensiv ausgeschöpft und nuanciert aufgezeigt. So ist die Einstellung dem Tod gegenüber mal melancholisch, mal ironisch, mal spielerisch, mal grotesk, manchmal karnevalesk, voyeuristisch. Der Tod inszeniert sich in allen möglichen (un)vorstellbaren Formen, sodass der Leser amüsiert oder schockiert auf die Erscheinung des großen Zeremonienmeisters reagiert.

Die meisten Texte in dem „Professoressa“-Band kreisen um die zahlreichen Facetten des Todes. Wenn auch für manchen Leser verstörend, ist in der Perspektive der Autorin die Beziehung zum Tod intensiver als jede andere. Der Tod ist ein Partner, stets ein Begleiter der Lebenden. Er verführt, führt zugleich auch, raspelt Süßholz, palavert, trinkt auf das Leben, schöpft es erotisch aus, tanzt Stepp ganz elegant im Frack, mit weißen Handschuhen und in Lackschuhen über die Bretter. Er ist der beste Entertainer überhaupt, lässt Menschen mühelos zum letzten Spektakel zusammenkommen. Mal exzentrisch, grotesk, mal fein und zurückhaltend wird das Treffen mit dem Tod literarisch bewältigt.

Der Band enthält ältere („Liebhaber Tod“, „Palaverer Tod“, „Entertainer Tod“) und neue Gedichte („Hundefänger Tod“, „Sterbehelfer Tod“, „Bauschans Abgang“ u. a.), wovon einige bereits in öffentlichen Lesungen vorgestellt worden sind, sowie kürzere Prosa mit stark szenischem Potenzial („Marmorkuchen zum Kaffee. Eine Karpat(isch)e (Burle)ske“ und „Nach-Lese. Eine kleine Karpateske“), Prosagedichte und drei längere Erzählungen, die das Herzstück des Bandes bilden.
Die Titelgeschichte „Die Professoressa“ erkundet beispielsweise die erotische Beziehung zum Tod als Möglichkeit, sich mit diesem anzufreunden. In der Erzählung vermischen sich Realität und Traum. Andererseits fließen eigene Erfahrungen der Autorin als Hochschulprofessorin in den Text hi-nein. Durch den Untertitel „Ein venezianisches Requiem“ wird auf Thomas Manns Novelle „Der Tod in Venedig“ angespielt, aus der gegen Ende der Erzählung sogar parodistisch zitiert wird. Krankheit und Erotik verflechten sich, die Gefühle sind von Ambivalenz geprägt, es gibt keine eindeutig positiven bzw. negativen Erlebnisse und Empfindungen mit Bezug auf Liebe oder Tod. Liebe und Tod gehen ineinander über, die Grenzen sind fließend. Die Hochschulprofessorin erliegt dem Schlag eines Stockes, der ihr just von einer Freundin mit Schwung zugeschleudert wird, um ihr einen Halt zu bieten. Der Leser entdeckt in der Freundin aber die Fremde aus Venedig, mit der die Protagonistin eine leidenschaftliche Nacht verbracht hatte. Mit Mitteln des magischen Realismus sind Verzerrungen der Wirklichkeit, Vexierbilder heraufbeschworen, dadurch wird auch die Nähe zum Tod deutlich: ER ist Teil des Lebens in allen Manifestierungen.

Eine weitere Erzählung, „Frau Grün begegnet Herrn Vrabie“, geht auf die Hinterhältigkeit des Todes ein. Die Anwesenheit des Todes um die ältere Protagonistin wird von den anderen Figuren der Erzählung ignoriert. Für die ältere Frau wird nach einem Schwächeanfall von ihrem Sohn und ihrer Schwiegertochter eine Untersuchung bei einem renommierten Arzt vereinbart. Rücksichtslos werden Wünsche, Empfindungen, Ängste, sogar unangenehme Vorahnungen beiseite geschoben, die Hauptfigur lebt ihre eigene Wirklichkeit, zu der die anderen Figuren auch keinen Zugang haben wollen oder haben können. Sogar der Arzt findet wenig Zeit für eine gründliche Untersuchung, spürt die Nähe des Todes nicht, ihm fehlt jegliches Feingefühl. Alle Indizien aber führen zum Tod. Außer dem Erzähler scheint jedoch keiner etwas davon zu merken. Unglücklicherweise stirbt die Frau während einer Computertomografie an einem Schlaganfall, in ihren letzten Momenten erinnert sie sich aber an eine skurrile, zugleich erotische Kindheitsgeschichte, die von grotesken Gesten des Arztes unterbrochen wird.

In der Erzählung „Polnisches zum Dessert“ rückt anfangs der Tod in den Hintergrund, es geht um die Anziehung zwischen einer Hochschuldozentin und einem polnischen Gastprofessor während eines Kongresses. Das behutsame gegenseitige Abschätzen, das anschließende Flirten tragen zur Spannungserhöhung bei. In einem abgelegenen und nicht unbedingt sicheren Stadtteil sollte sich der Höhepunkt der Affäre abspielen. Geschickt wird aber die erotische Erfahrung in eine Begegnung mit dem Tod gewandelt, die Hauptfigur erkennt in dem Gesicht des polnischen Professors, als dieser seine knirschenden Zähne entblößt, das Gebiss ihres seit über drei Jahrzehnten toten Vaters und verlässt fluchtartig den Ort des Geschehens. An diesem Gag erkennt man erneut die Kunst der Kronstädter Autorin, Klischees in ihrem Werk zu vermeiden.
Wie Carmen Elisabeth Puchianu selber behauptet, ist der Band ein literarischer Mischling, da mancher Text als Burleske oder Karpatische Burleske, sprich Karpateske, gelesen werden kann. Außerdem enthält der Band fotografische Aufnahmen von Puchianus Inszenierungen mit „Duo Bastet“ sowie einige Bleistiftzeichnungen von verspielten, grotesken, traurigen Figuren, die dem Betrachter durch die Verzerrungen nicht selten einen Streich zu spielen scheinen. In der ganzen Aufmachung zeigt sich die „unverhohlene Neigung der letzten Jahre zum Spektakel, zur Performance, zur szenischen Repräsentation“ (Vgl. „Die Professoressa“, S. 14).

So offenbaren die Texte vieles aus dem Umfeld und auch aus der Erfahrung der Autorin, der Leser möge aber Fiktion mit Realität nicht verwechseln. Die Figuren sind literarische Konstrukte, die verfremdend auf den Leser wirken, dadurch dass der Tod unterschiedliche, paradoxe, unerklärbare Reaktionen hervorruft. „Der Tod lächelt uns alle an, das einzige, was man machen kann, ist zurücklächeln“, heißt es bei Marcus Aurelius, die Protagonisten Carmen Elisabeth Puchianus lächeln aber den Tod nicht nur an, ebenso wie ihnen der Tod nicht nur zulächelt. Der Tod verselbstständigt sich zur agierenden Figur, dringt in die (fiktive) Welt und vereinnahmt sie mit allen ihm zur Verfügung stehenden Mitteln, dabei lacht er ironisch, sich stets seiner Überlegenheit bewusst, sodass dem Leser nichts anderes übrig bleibt, als ihn ebenfalls anzulächeln, oder ihn, wie in Puchianus Vision, spöttisch anzugrinsen.