Depressive Mutter, agile Kiezkneipenwirtin, traumatisiertes Vergewaltigungsopfer

Die Schauspielerin Luise Heyer bei den 14. Deutschen Filmtagen des Goethe-Instituts

Bei den 14. Deutschen Filmtagen, die vom Goethe-Institut in der Zeit vom 21. bis 27. November im Bukarester Kino „Elvire Popesco“ veranstaltet wurden, konnte man nicht nur hervorragende Filme sehen, sich an exzellenten Drehbüchern erfreuen und wunderbare Kameraarbeiten genießen, sondern man konnte sich vor allem auch an herausragenden schauspielerischen Leistungen delektieren, die von erwachsenen Rolleninterpreten wie auch von Kinderdarstellern erbracht wurden.

Im Rahmen dieser Filmtage des Goethe-Instituts, die von dem rumänischen Journalisten, Filmkritiker und Drehbuchautor Andrei Șendrea kuratiert wurden, waren manche Schauspieler sogar in mehreren Filmen zu sehen, so etwa der Kinderstar Helena Zengel, der in „Systemsprenger“ von Nora Fingscheidt und in „Die Tochter“ von Mascha Schilinski Problem- und Trennungskinder verkörperte. Die Regisseurin Maryam Zaree, die beim Bukarester Festival mit dem Dokumentarfilm „Born in Evin“ vertreten war, hatte zudem eine schauspielerische Nebenrolle in dem vielfach ausgezeichneten Film „Systemsprenger“. Und eine deutsche Bühnen- und Leinwandkünstlerin trat sogar in drei Filmen des Festivals auf: die 1985 in Berlin geborene Theater-, Fernseh- und Filmschauspielerin Luise Heyer.

Für ihre Rollen in jenen unlängst in die Kinos gekommenen Filmen wurde Luise Heyer inzwischen mehrfach ausgezeichnet. Für ihre Rolle als depressive Mutter in Caroline Links Literaturverfilmung „Der Junge muss an die frische Luft“ (2018) erhielt sie in diesem Jahr den Deutschen Filmpreis für die beste weibliche Nebenrolle. Zugleich war sie für den Deutschen Filmpreis 2019 in der Kategorie „Beste weibliche Hauptrolle“ nominiert, und zwar für ihre Rolle als Vergewaltigungsopfer in Sven Taddickens Filmdrama „Das schönste Paar“ (2018), für die sie dann vor Kurzem den Medienpreis Bambi in der Kategorie „Schauspielerin National“ erhielt. Und der dritte Film mit Luise Heyer, der beim Festival des Goethe-Instituts zu sehen war, Christian Klandts Spielfilm „Leif in Concert – Vol. 2“, erlebte erst im Sommer dieses Jahres beim Münchner Filmfest seine Weltpremiere und wird der vielseitigen Filmschauspielerin gewiss noch den einen oder anderen Preis einbringen.

In Caroline Links Verfilmung der Autobiografie „Der Junge muss an die frische Luft – Meine Kindheit und ich“ von Hape Kerkeling verkörpert Luise Heyer die Mutter des bekannten deutschen Komödianten und Entertainers, der ihr Leben allmählich entgleitet. Luise Heyer bringt diesen Prozess des allmählichen Schwindens von Lebenskraft in Caroline Links preisgekröntem Film eindrücklich zur Darstellung. Die ohnehin melancholische Anlage von Hans-Peters Mutter, spür- und sichtbar in den tiefgrünen Blicken der Schauspielerin, steigert sich, verstärkt durch gesundheitliche Probleme und längere Abwesenheiten des Ehemannes, zu einer Gemütskrankheit, in deren Verlauf sie immer tiefer in sich hinein sinkt und aus deren Fängen sie sich nur gelegentlich durch das Lachen über die Späße und Sketche ihres Sohnes befreien kann. Mitzuerleben, wie die bleierne Gewalt der Depression allmählich auf Luise Heyers Lider niedersinkt, ist bewegend, und als Zeuge ihres letzten Röchelns bei ihrem Suizid in Gegenwart ihres Sohnes kann man ermessen, wie dieses Kindheitstrauma den jungen Hape Kerkeling gezeichnet haben muss und wie seinem späteren Komödiantentum dadurch auch eine tragische Dimension zuwächst.

In Christian Klandts „Leif in Concert – Vol. 2“ verkörpert Luise Heyer eine Kneipenwirtin im Berliner Kiez, die nach längerer Abwesenheit gerade erst wieder an ihre Wirkungsstätte hinter dem Tresen zurückgekehrt ist und nun eine seit Längerem geplante Live-Konzert-Veranstaltung mit dem dänischen Gitarristen Leif in ihrer Szenekneipe organisieren muss. Bei diesen Vorbereitungen erweist sie sich nach und nach als Mutter Teresa der Subkultur, die für jeden ein gutes Wort hat, allen nur das Beste will, mit allen kommuniziert (mal ruppig, mal zärtlich), unzählige Sprachen spricht (mal Dänisch, mal Farsi), alles duldet und für jeden Verständnis aufbringt. Die Berliner Szenekneipe wird dabei zum utopischen Ort multikultureller, gesellschaftlicher und zwischenmenschlicher Versöhnung, zum symbolischen Ort sozialer Inklusion, der auch für die altruistische Schankwirtin ungeahnte Überraschungen bereithält. Sie wird endlich alleinige Chefin der Kneipe, überwindet die schmerzliche Trennung von ihrem Freund und bekommt schließlich gar einen intensiv erträumten Herzenswunsch erfüllt: den Kuss einer Frau.

Die Struktur des Films, die jener einer Nummernoper gleicht, kommt der jedes Rollenfach transzendierenden Vielseitigkeit der Schauspielerin Luise Heyer auf ideale Weise entgegen. Der weiche und warme Grundton ihrer schauspielerischen Arbeit, die durchaus auch Härte und Kälte zeigen kann, bindet den in einzelne Episoden, Nummern und Sketche zu zerfallen drohenden Film immer wieder neu zusammen, und am Ende werden die einzelnen Kneipengäste mit ihren individuellen Eigenheiten auch durch die Kameraarbeit zu einer kollektiven Gemeinschaft verschmolzen, ganz im Sinne der Etymologie des im Filmtitel erscheinenden Wortes „Konzert“, das eben nicht nur auf Kampf und Wettstreit hindeutet, sondern vielmehr auf Zusammenwirken und Übereinstimmung.

Der vielleicht stärkste Film mit Luise Heyer bei den 14. Deutschen Filmtagen in Bukarest war Sven Taddickens Beziehungsdrama „Das schönste Paar“. Hier verkörpert die preisgekrönte Darstellerin zusammen mit Maximilian Brückner das Lehrerehepaar Liv und Malte Blendermann, das als harmonisches, schönes, ja ideales Paar seine Ferien auf Mallorca verbringt: so die Anfangsszene des Films. Die Urlaubsidylle am Strand wird jedoch wenig später brutal zerstört, als drei junge Männer in ihre Ferienwohnung eindringen, das Paar zwingen, sich nackt auszuziehen, und einer der Aggressoren Liv vor den Augen ihres Mannes Malte vergewaltigt. Nach diesem traumatischen Urlaubserlebnis versuchen Liv und Malte in ihrer Heimatstadt Köln wieder zur Tagesordnung überzugehen und ihr berufliches und privates Leben so weiterzuführen, als sei nichts geschehen, bis Malte eines Tages zufällig dem Vergewaltiger seiner Frau in einer Kölner Eckkneipe begegnet. Nun wird Malte von der ganzen Gewalt des traumatischen Erlebnisses erneut erfasst. Er lauert dem Täter an einer Haltestelle der Kölner Stadtbahn auf, verfolgt ihn bis nach Hause, dringt in seine Wohnung ein und prügelt sich schließlich mit dem jungen Mann, der erst vor Kurzem mit seiner Freundin zusammengezogen ist. Erst nach diesem Gewaltausbruch offenbart sich Malte seiner Ehefrau, die nun, noch mehr als er selbst, in dem traumatischen Erlebnis versinkt, das sie infolge einer psychotherapeutischen Behandlung bewältigt zu haben glaubte. Im eruptiven Finale sticht Liv ihren Vergewaltiger mit einem Messer nieder und rettet ihm anschließend das Leben, indem sie ihn gemeinsam mit ihrem Mann ins Krankenhaus bringt. Am Ende zertrümmert „das schönste Paar“ dann seine gesamte Wohnungseinrichtung: ob in einem verzweifelten Akt des Verlustes oder in einem reinigenden Akt der Hoffnung, bleibt dahingestellt.

Auch in diesem Film bringt Luise Heyer ihre schauspielerische Vielseitigkeit überzeugend zum Einsatz. Als zärtlich liebende, humorvoll scherzende, sozial kompetente, beruflich souveräne, persönlich wahrhaftige und authentisch agierende junge Frau schwelgt sie in den Wonnen der Normalität, bis dieser harmonische Alltag immer wieder und immer öfter durch die Erinnerung an das Vergewaltigungstrauma unterbrochen und zunehmend gefährdet wird. Manche Szenen dieses Filmes hätte man sich auch von Sandra Hüller gespielt vorstellen können, etwa die Szene mit dem Akustikingenieur in der Schule oder auch die Szene im Ehebett. Doch die Gewalt des Traumas kommt in der Rolleninterpretation von Luise Heyer deshalb so überwältigend zur Darstellung, weil ihre körperliche Weichheit und ihre sensible Sanftmut den Kontrast zur Erfahrung von Gewalttätigkeit noch stärker fühlbar machen. Auch die Regie Sven Taddickens, der in diesem Film zugleich Drehbuchautor ist, dient diesem Kontrast, insofern das Ehepaar von Anfang bis Ende ganz auf sich selbst zurückgeworfen ist. Weder Polizei noch Justiz (abgesehen von einem sie beratenden Rechtsanwalt) greifen ins Geschehen ein. Staatliche Institutionen treten ganz hinter das Seelendrama und das Faustrecht zurück, die in diesem Film regieren. Man darf sich also auf künftige Kinofilme mit Luise Heyer freuen und kann schon heute auf ein filmisches Wiedersehen mit der Ausnahmeschauspielerin im nächsten Jahr anlässlich der 15. Deutschen Filmtage des Goethe-Instituts in Bukarest hoffen!