„Der Erste Weltkrieg und darüber hinaus“

Interdisziplinäres wissenschaftliches Humboldt-Kolleg in Bukarest

Vom 17. bis 19. September fand in Bukarest eine interdisziplinäre wissenschaftliche Tagung statt, die vom Humboldt-Club Rumänien organisiert und von der Alexander von Humboldt-Stiftung, einer der wichtigsten Forschungsförderorganisationen der Bundesrepublik Deutschland, finanziell unterstützt wurde. Das Humboldt-Kolleg, an dem Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus Deutschland, Österreich, Ungarn und Rumänien, aus der Republik Moldau und der Slowakischen Republik, aus Polen, Serbien und Bulgarien, aber auch aus Belgien und aus den Vereinigten Staaten von Amerika teilnahmen, stand unter dem Rahmenthema „World War I and Beyond“ (Der Erste Weltkrieg und darüber hinaus) und beschäftigte sich mit den menschlichen Tragödien, den sozialen Herausforderungen wie auch mit den wissenschaftlichen und kulturellen Antworten auf dieses global höchst folgenreiche Ereignis, zu dessen zahlreichen Resultaten nicht zuletzt die Entstehung des modernen rumänischen Staates im Jahre 1918 gehört.

Feierlich eröffnet wurde die interdisziplinäre wissenschaftliche Konferenz in den Tagungsräumen des Hotels Intercontinental mit einer Plenarsitzung, in der die Präsidentin des Humboldt-Clubs Rumänien, die Physikerin Ioana Pintilie, die Mitwirkenden wie auch die zahlreichen Gäste in Bukarest willkommen hieß. Der Generalsekretär der Alexander von Humboldt-Stiftung, Enno Aufderheide, erläuterte in seiner daran anschließenden Ansprache die Förderphilosophie der Alexander von Humboldt-Stiftung: lebenslange Einbindung der von der Stiftung geförderten Forscherpersönlichkeiten in ein von Deutschland aus geknüpftes und weltweit operierendes Exzellenznetzwerk. Den Grundsatz dieser global wirkenden Humboldt-Familie könne man in das Motto fassen: „Einmal Humboldtianer, immer Humboldtianer.“

In seiner Grußadresse hob der Botschafter der Bundesrepublik Deutschland in Rumänien, Se. Exzellenz Cord Meier-Klodt, nicht nur die Bedeutung der internationalen Kooperation in Wissenschaft und Forschung zum wechselseitigen Wohle der daran beteiligten Staaten und Forscherpersönlichkeiten hervor, sondern nahm auch Bezug auf das Rahmenthema des Kollegs. Aus der Katastrophe des Ersten Weltkriegs könne man die Lehre ziehen, dass die Antwort auf die zahlreichen nationalistischen Politikentwürfe der Gegenwart allein ein einiges Europa sein könne. Auch Sergiu Nistor, der für Kultur, Religion und modernes Rumänien zuständige Berater des Präsidenten Rumäniens, verband seine Grußworte mit dem Hinweis auf die segensreiche Einbindung des rumänischen Staates, der in diesem Jahr sein einhundertjähriges Jubiläum feiern darf, in die größere Einheit der Europäischen Union.

Der Eröffnungsredner der sich daran anschließenden Plenarvorträge, der Philosoph Andrei Pleșu, widmete sich in seinen Ausführungen ebenfalls der europäischen Einbindung Rumäniens, das man, je nach Blickrichtung, als Osten des Westens wie auch als Westen des Ostens betrachten könne. Rumänien als Brücke zwischen Ost und West schwanke dabei oftmals zwischen den Optionen des „Sowohl – Als auch“ wie auch des „Weder – Noch“, wenn es um die kontinuierliche Integration Rumäniens in die europäische Staatenfamilie gehe.

Weitere Plenarvorträge des ersten Kongresstages befassten sich mit dem ersten Jahrzehnt Großrumäniens nach dem Ersten Weltkrieg (Florian Kührer-Wielach), mit der Politik des rumänischen Staates gegen-über Kriegsveteranen, -waisen und -witwen (Maria Bucur), mit der Frage „Was heißt Kulturnation?“ im Hinblick auf die Tragödien des Großen Krieges (Victor Neumann), mit dem 1918 gebildeten Staat Jugoslawien (Milan Ristovic) sowie mit der ebenfalls 1918 gegründeten Tschechoslowakei und ihrer Bedeutung für Mitteleuropa (Roman Holec).

Auf diese eher politik- und geschichtswissenschaftlichen Themen folgten dann literatur- und naturwissenschaftliche Plenarvorträge zum multidisziplinären Humboldt-Kolleg. Der Grazer Germanist Dietmar Goltschnigg sprach über den Ersten Weltkrieg im Werk von Karl Kraus und Robert Musil, der Jassyer Germanist Andrei Corbea-Hoișie trug über deutsche Literaturen nach 1918 in Rumänien vor, und der am Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg tätige Naturwissenschaftler Götz Neuneck sprach über das Engagement moderner Wissenschaft, der Industrie und des Militärs im Ersten Weltkrieg am Beispiel von Vertretern der physikalischen Wissenschaft.

Die letzte Plenarveranstaltung des ersten Kongresstages wurde dann vom Generalsekretär der Alexander von Humboldt-Stiftung, Enno Aufderheide, sowie von der rumänischen Vertrauenswissenschaftlerin der Alexander von Humboldt-Stiftung, Ruxandra Cosma, gemeinsam bestritten. Gemeinsam gaben sie einen informativen Überblick über die individuellen Förderungsmöglichkeiten und Stipendienprogramme der Alexander von Humboldt-Stiftung für rumänische Wissenschaftler. Ein Konzert des Ensembles „Violoncellissimo“ unter Leitung des Bukarester Celloprofessors Marin Cazacu, das dem gemeinsamen Abendessen vorausging, rundete dann den ersten des auf drei Tage angelegten Humboldt-Kollegs musikalisch ab.

Die folgenden beiden Tage waren dann wissenschaftlichen Diskussionen in insgesamt drei Kongresssektionen gewidmet. Die von der Bukarester Literaturwissenschaftlerin Ioana Crăciun-Fischer organisierte Sektion „Kultur“ versammelte insgesamt fünfzehn Vorträge von Germanisten, Romanisten, Anglisten, Kunst- und Kulturwissenschaftlern aus Belgien, Deutschland, Österreich, Rumänien und Ungarn. Lyrik, Epik und Dramatik zur Zeit des Ersten Weltkriegs und in der Nachkriegszeit kamen in dieser Sektion ebenso zur Sprache wie Spiegelungen des Großen Krieges im Medium der Presse, der Kultur, der Malerei und des Films.

Die von den beiden rumänischen Historikern Bogdan Murgescu und Flavius Solomon organisierte Sektion „Geschichte“ befasste sich mit einer Vielfalt von Themen zum Ersten Weltkrieg und zur politischen Nachkriegsordnung auf dem europäischen Kontinent unter besonderer Berücksichtigung der rumänischen Geschichte. Zur Sprache kamen dabei Fragen der Nationalität und Ethnizität, der politischen Richtungskämpfe in verschiedenen europäischen Staaten, der staatlichen Organisation und Verwaltung, des Verhältnisses der europäischen Staaten zu ihren Bürgern wie auch Fragen des akademischen Austausches im Europa der Nachkriegszeit.

In der von dem Bukares-ter Mediziner Cătălin Vasilescu organisierten Sektion „Naturwissenschaft“ wurden Fragen diskutiert, die sich beispielsweise mit dem Beginn der chemischen Kriegsführung im Ersten Weltkrieg und mit deren seitherigem Einfluss auf die Menschheit befassten, mit traumatischen Kriegserfahrungen und posttraumatischen Belastungsstörungen, mit der Auswirkung von Kriegen auf die Umwelt, mit rumänischen Mathematikern im Ersten Weltkrieg und zahlreichen anderen Aspekten aus dem Bereich der exakten Wissenschaften.

Den Abschluss des dreitägigen Humboldt-Kollegs bildete dann eine erneute Plenarsitzung, die von der Präsidentin des Humboldt-Clubs Rumänien, Ioana Pintilie, moderiert wurde. Zunächst sprach der Bukarester Historiker Bogdan Murgescu über Versuche, sozialen Wandel und politische Erneuerung nach dem Ende des Ersten Weltkriegs in Europa herbeizuführen. Und der vormalige Präsident des Humboldt-Clubs Rumänien, der Bukarester Chirurg Cătălin Vasilescu, trug zum Abschluss des gelungenen Bukarester Humboldt-Kollegs einen gemeinsam von ihm und dem rumänischen Philosophen Mircea Flonta verfassten Text zum Thema „Die internationale Wissenschaftsgemeinde während des Ersten Weltkriegs“ vor, wobei historische Dokumente wie der berühmte Aufruf von Vertretern deutscher Wissenschaft und Kunst „An die Kulturwelt“ vom 4. Oktober 1914 ebenso zur Sprache kamen wie die Implikation von Koryphäen deutscher Wissenschaft, etwa Max Plancks, in die politischen Vorgänge jener Jahre oder auch die internationale Ächtung des Deutschen als Wissenschaftssprache nach dem Ende des Ersten Weltkriegs.

Besonders erfreulich bei diesem Humboldt-Kolloquium war nicht nur die ausgewogene Mischung von jüngeren Nachwuchswissenschaftlern und etablierten Fachvertretern der internationalen Scientific Community, sondern auch die Tatsache, dass die von den Organisatoren eingeräumten Zeitspannen für Diskussionen weidlich und lebhaft genutzt wurden. Man darf jetzt schon auf die künftigen wissenschaftlichen Kolloquien des Humboldt-Clubs Rumänien gespannt sein, die in den kommenden Jahren an anderen rumänischen Universitäten in Konstanza/Constanța, in Temeswar/Timișoara und in Jassy/Iași geplant sind.