„Der Mann mit der Mähre“ und die Mär vom wahren Leben

Premiere von George Ciprians bekannter Komödie im Bukarester Nationaltheater

Szene aus der Aufführung im Bukarester Nationaltheater
Foto: TNB

Die Komödie „Omul cu mârţoaga“ des 1883 in Buzău geborenen und 1968 in Bukarest gestorbenen Schriftstellers, Schauspielers und Theatermannes George Ciprian, der mit bürgerlichem Namen Gheorghe Constantin-Constantinescu hieß, wurde nach ihrer rumänischen Premiere 1927 schnell zu einem internationalen Erfolgsstück: 1929 erlebte sie in Berlin ihre deutsche Erstaufführung, danach in Prag (1930), Bern (1932) und Paris (1937).

Ihr Autor George Ciprian kam bereits während seiner Schulzeit im Bukarester Lyzeum „Gheorghe Lazăr“ in Kontakt mit dem gleichaltrigen Urmuz, einem Vorläufer der rumänischen Avantgarde, des Dadaismus und des Surrealismus. Der um ein Jahr jüngere Vasile Voiculescu, der später als futuristischer Schriftsteller von sich reden machte, zählte ebenfalls zu seinen Schulfreunden. George Ciprian selbst gilt als Vorläufer des absurden Theaters, das in den Werken eines Eugène Ionesco oder eines Samuel Beckett zur vollen Entfaltung gelangte.

„Der Mann mit der Mähre“ war George Ciprians literarisches Debüt. Chirică, die Hauptfigur des Dramas, ist ein moderner Ritter von der traurigen Gestalt, eine Art Don Quijote der Gegenwart. Wie Cervantes’ Landjunker von der Mancha, so fristet auch Ciprians Chirică ein eher unbedeutendes Dasein: Er arbeitet als bescheidener Archivar in einem Ministerium und wird, wenngleich man sein enormes Gedächtnis bewundert, von allen verlacht und verspottet. Aber so wie sich Don Quijote mit Hilfe seiner Mähre Rosinante zum tragikomischen Helden seiner Abenteuer aufschwingt, so wird auch Chirică mit seinem Klepper, der den eindrucksvollen Namen „Pharao V.“ trägt, zum Helden eines wechselvollen dramatischen Geschehens.

Pharao V. ist ein Rennpferd, das Chirică für teures Geld ersteht, obwohl ihm finanziell das Wasser bis zum Hals steht: Die Miete für sein Haus, das Schulgeld für seine beiden Kinder, die Kleider seiner Frau sind ihm weniger wichtig als der Erwerb dieses einen Pferdes, das auf dem Hippodrom zwar immer den letzten Platz belegt, auf das er selbst aber große Stücke hält.

Während seine Frau und seine Freunde ihn dazu bewegen wollen, den Kauf rückgängig zu machen – der ehemalige Besitzer des Gauls ist aus Mitleid sogar zu einem Rückkauf bereit –, beharrt Chirică auf seinem Glauben an die Fähigkeiten seines alten Rosses. Seine fixe Idee treibt ihn dabei in ein letztlich selbst gewähltes Hiob-Schicksal: Er verliert seine Frau an seinen Freund Nichita, seine Kinder werden von der Schule gewiesen, er muss sein Haus räumen und an den Stadtrand ziehen, man droht ihm mit dem Verlust seiner Arbeitsstelle, obendrein wird er zum Gespött der Presse, die bereits vom Tod Pharaos V. berichtet. Allein sein Freund Varlam hält zu ihm, weil er in Chirică einen guten, aufrichtigen, ehrlichen und gerechten Menschen sieht.

Spätestens hier wird deutlich, dass Chiricăs Glaube an seine Schindmähre eine metaphorische Dimension hat: Zur dramatischen Debatte steht in dieser Tragikomödie der Glaube an die verachteten und geschundenen humanistischen Werte wie Freundschaft, Mitmenschlichkeit, Güte, Gerechtigkeit und Mitgefühl. Der Deus ex Machina dieser Tragikomödie ermöglicht dann schließlich doch noch ein Happy End. Pharao V. gewinnt seine Rennen, Chirică wird zum reichen Mann, seine Frau kehrt zu ihm zurück, der Schuldirektor bittet ihn auf Knien, seine Kinder wieder unterrichten zu dürfen, die Presse lobt seine weise Vorausschau, die Welt liegt ihm zu Füßen. Chirică aber kostet seinen Triumph nicht aus, sondern verzeiht denen, die ihn verspottet haben. Er wird zum Wohltäter, verteilt Geschenke an Arme, auch seinen ehemaligen Feinden gibt er Geld, sogar dem Schuldirektor, allerdings unter einer Bedingung: Dass er seine Schule schließt und ein Tabakgeschäft aufmacht.

George Ciprians Drama „Der Mann mit der Mähre“ ist keine Komödie im herkömmlichen Sinne. Sie verzichtet auf vordergründige Späße, auf Situationskomik, Slapstick, oberflächlich Scherzhaftes oder Burleskes. Das Komische ist hier nur die dünne Kruste, unter der philosophische Fragen brodeln, die eruptiv immer wieder herauf und in den Text hinein schießen. Die Relativität von Ideen (in der Szene mit dem „Menschen mit Ideen“), die Frage nach wahrer Größe (in der Szene mit der „Intellektuellen“), die Bedeutung des Ruhms (in der Szene mit dem „Provinziellen“), die Bedeutung authentischen Lebens, wahrer Liebe und aufrichtiger Freundschaft, all dies wird in Ciprians Theaterstück in Form eines philosophischen Stationendramas entwickelt, dem das Komödiengeschehen nur notdürftig ein Handlungsnetz überwirft.

Dieser Eigenart des Ciprianschen Dramas, nämlich komödienhaft geschlossen und zugleich philosophisch offen zu sein, müsste auch eine Inszenierung folgen, die sich nicht damit begnügt, das Geschehen in historistische Ferne zu rücken und es als Klamotte aus der Mottenkiste des vorigen Jahrhunderts wiederzubeleben. Genau dies macht aber die Regisseurin Anca Bradu. Sie lässt Monica Davidescu (in der Rolle von Chiricăs Frau Ana) in ihrer sattsam bekannten Konventionalität gewähren, schreckt vor Peinlichkeiten wie in der Szene der Wiedervereinigung der Mutter mit ihren Kindern nicht zurück, lässt die Schauspieler wie auf der Bühne des 19. Jahrhunderts ins Publikum deklamieren, ebnet das Widerständige und Widersprüchliche des Textes durch die Bühnenregie ständig wieder ein und löscht damit letztlich alles Moderne aus diesem interessanten, inkohärenten und inkonsistenten Werk.
Symptomatisch hierfür ist auch das Bühnenbild: In ein futuristisches Ambiente aus geschwungenem Plexiglas und expressionistischen Kammern stellt Ştefania Cenean dann doch wieder Requisiten aus dem Salon des 19. Jahrhunderts. In einer einzigen Szene, als der Inspektor Chirică die Entlassung aus dem Staatsdienst androht, scheint das Absurde, das Rätselhafte, das Irritierende des Textes auf, etwa wenn der Inspektor Chirică fragt: „Warum hast du dich ans Ende der Welt zurückgezogen?“ und Chirică antwortet: „Weil hier die Miete billiger ist!“

Dennoch lohnt sich dieser Abend, allein schon wegen des Dramentextes, aber auch für die in reichen Spektren schillernde Originalmusik von Vlaicu Golcea und für das Spiel des Hauptdarstellers Daniel Badale, der seinen Chirică in lebendiger Spannung zwischen Idealismus und Irrsinn, Verbohrtheit und Glauben, Humor und Tragik, Narrheit und Weisheit hält.