Der Weg der amerikanischen Kunst vom Gegenständlichen zur Abstraktion

Das Museum Barberini hat die amerikanische Moderne nach Potsdam geholt

Drei Gemälde scheinen die Eckpfeiler der Sammlung amerikanischer Malerei der Phillips Collection in Washington, D.C., zu bilden, die bis zum 3. Oktober im Museum Barberini in Potsdam gezeigt wird: Thomas Eakins’ Porträt der in Nachdenklichkeit versunkenen „Miss Amelia van Buren“ (1891), einer vormaligen Studentin des Künstlers, das mit Eakins’ Reflexionen über das eigene Leben und Werk verbunden ist. Edward Hoppers „Sonntag“ (1926): Ein Mann sitzt auf den Stufen seines Ladens inmitten einer menschenleeren Straße – auf der Schwelle vom Innen- zum Außenraum. In Jackson Pollocks „Komposition“ (um 1938-1941) wirbelt dagegen ein ununterbrochener Fluss von Zeichen und Schwingungen um ein imaginäres Zentrum und dehnt sich allmählich zu den Rändern hin aus. Hier sind die Ursprünge von Pollocks „All-over“-Stil, der als bemerkenswerteste Innovation in der Malerei seit Picassos und Braques analytischen kubistischen Bildern von 1911 gilt.

Innerhalb von fast 50 Jahren hatte der Kunstkritiker und Mäzen Duncan Phillips eine Sammlung amerikanischer Kunst vom Impressionismus bis zum Abstrakten Expressionismus zusammengestellt, die Verbindungen zwischen Kunstwerken quer durch Zeiten und Geografien aufzeigen sollte. Landschaftskunst, Porträtmalerei, Stadtlandschaft und Farbfeldmalerei werden in exemplarischen Bildern vorgeführt. 1926 sah der Sammler sein Museum als ein Laboratorium für die Moderne an, als eine „Experimentierstation“, damit konnte er höchst ambitionierte Arrangements zwischen Figuration und Abstraktion ausloten, die auch für die Potsdamer Ausstellung prägend sind.
Zu den ersten amerikanischen Malern, die sich die Techniken und Themen des französischen Impressionismus aneigneten, gehörten Childe Hassam, Theodore Robinson, John Henry Twachtman sowie Julian Alden Weir. Die Maler schilderten zunächst die schroffe Ostküste Neuenglands, bis durch den Ausbau des Eisenbahnnetzes auch der Westen des Landes bis zur Pazifikküste erschlossen wurde. Die Urgewalt der Natur der neuen Heimat hatte für die noch junge Nation im 19. Jahrhundert auch identitätsstiftende Wirkung. Paul Dougherty und Rockwell Kent galten als direkte Erben von Winslow Homers heroischem Realismus. Nach dem Ersten Weltkrieg betonte Kent in seinen Gemälden die elementare Geometrie der Natur; kantige Strukturen, Konturen und kalte Farben deuten auf die harten Lebensbedingungen hin. Dagegen setzte Marsden Hartley sein Naturerlebnis in farbenprächtig gemusterte Bildteppiche um. Harold Weston wiederum, der sich mit dem Werk Vincent van Goghs auseinandergesetzt hatte, ließ in seine abgelegenen Landschaften die physischen Wahrnehmungen von Topografie, Wetter und wechselndem Licht einfließen.

Bei den amerikanischen Künstlern des 19. Jahrhunderts war die Gesellschaft in dem Maße verschwunden, wie die Natur sich ausgebreitet hatte. Die Gefühle näherten sich einer Art von Trancezustand – dem Nullpunkt der Versenkung. Es bestand mehr als eine nur oberflächliche Ähnlichkeit zwischen den licht-erfüllten Flächen von Meer und Himmel in einem Seestück von Arthur G. Dove und den schwebenden farbigen Rechtecken, die in einem Mark Rothko der 1960er Jahre übereinander geschichtet sind. Beide Werke entstanden aus dem gleichen transzendentalen Impuls, der Art, wie Amerikaner schon seit jeher ihre Landschaft erlebten.
Dieser Transzendentalismus, der in Weite und Klarheit und in überraschenden Nebeneinanderstellungen von Nah und Fern deutlich wird, hat sich bis in die Kunst des frühen 20. Jahrhunderts erhalten. Seine bedeutendste Interpretin war die amerikanische Malerin Georgia O’Keeffe. Sie malte riesig vergrößerte Blumen, deren (Blüten-)Blätterformen die ganze Leinwand ausfüllen und die Weite der Landschaft selbst verkörpern. Sie hatte eine Vorliebe für Bilder von lichterfüllten, unbegrenzten Räumen, die eigentlich schon abstrakt, aber doch noch als Landschaft –  in der Trennung zwischen Himmel und Erde – zu erkennen sind. Auch Augustus V. Tack strebte – seiner transzendenten Weltanschauung entsprechend – aus rhythmischen Farben und Formen nach einer Sichtbarmachung seiner mystischen Naturerfahrung.

Neben die Darstellung der erhabenen, überzeitlichen Natur trat die Schilderung der zeitgenössischen städtischen Lebensweise. Robert Henri prägte in New York nach der Jahrhundertwende eine ganze Generation amerikanischer Realisten. Sie betrachteten die Stadt und ihre Bewohner mit den Augen von Reportern, brachten Alltagserfahrungen, Menschen aus unterschiedlichen sozialen Schichten auf die Leinwand. Edward Hopper zeigte enge Bildausschnitte, in denen der Blick durch die Architektur versperrt ist. Charles Sheeler verband fotografische Schärfe mit starkem Frontallicht, um Gestalt und Gehalt zu eingeebneten Texturen aus Licht und Dunkel zu abstrahieren. Stefan Hirsch thematisierte in seinen Gemälden von Fabrikstädten die Anonymität und Kälte industriellen Lebens.
Es waren dann Jackson Pollocks „All-over“-Bilder, die das Wiedererwachen des transzendentalen Impulses in Amerika nach dem Zweiten Weltkrieg am deutlichsten zeigten. Wie Kandinsky sah Pollock die Kunst als eine Heraufbeschwörung von „Grundrhythmen“ des Universums und ihren unbestimmten, aber vorstellbaren Beziehungen zu Geisteszuständen. Er fand einen Weg, wie man die metaphysische Sehnsucht der amerikanischen Romantik mit einem spezifisch modernen Stil verbinden konnte. Mit dem atmosphärischen Raum seiner „All-over“-Bilder, den verschwenderischen Energiewirbeln und dem scheinbar freien Lauf seiner optischen Felder beschwor Pollock eine typisch amerikanische Landschaftserfahrung, die aus seinem kulturellen Erbe als amerikanischer Maler der 1950er Jahre kam.

Die Landschaft als ein Phantasie-Arkadien blieb Helen Frankenthalers vorherrschendes Thema, in ihren Titeln finden sich oft Anklänge an Paradies und Garten Eden. Andere Künstler übernahmen von ihr die Technik des Einfärbens, nicht aber ihre Themen. Auf ihren Bildern durfte nur die Farbe der Handlungsträger sein. Morris Louis und Kenneth Noland wollten eine Oberfläche schaffen, die zugleich unpersönlich und ganz und gar dekorativ war, dekorativ im Sinne von Henri Matisse: Sie sollte großartig sein und das Lebensgefühl steigern, aber keinen Bezug zu den wechselnden Umständen des Lebens haben. Hier gab es nichts mehr als Farbe, die das Gewebe durchtränkte – und vollkommen flächig auf flächigem Grund war und von aller Mehrdeutigkeit befreit. Sam Francis trug seine Farben nass auf die Fläche auf und ließ sie dann in Rinnspuren nach unten laufen. Es ergaben sich besondere Wirkungen durch das Ineinan-derlaufen, das Zerfließen der einen Farbe in die andere und das Erstarren im Vorgang.

Bei Robert Motherwell und Richard Diebenkorn haben wir es mit symbolistischen Entsprechungen zu tun, in denen der Farbfleck und die Konstruktion, ohne beschreiben zu wollen, eine Harmonie und Genauigkeit erreicht, die eine Parallele zu den Freuden und Genüssen dieser Welt ist. In kühner Weise vermischte Diebenkorn Anklänge an die Realität mit einer ganz sparsamen quasigeometrischen Zeichnung – und daraus entstand dann seine „Ocean-Park“-Serie. Sie gehört zu den gelungensten Landschaftsmeditationen in der Malerei seit Monets „Seerosen“. In „Ocean Park Nr. 38“ (1971) wird die Sinnenfreude Matisses durch eine stark fühlbare Instabilität eingeschränkt, eine tektonische Verwerfung findet hier statt. Auch Motherwell schöpfte aus kubistischen Collagen und Matisses Arbeiten genaue Entsprechungen von Klang, Farbe, Gefühl und Assoziation. Er entdeckte in der vergeistigten Sinnlichkeit der modernen französischen Meister eine berauschende Freiheit. Mit der kontemplativen Farbmalerei der 1960er Jahre – Farbräume, in die der Betrachter förmlich hineingezogen werden soll –, mit Josef Albers, Helen Frankenthaler und Mark Rothko, endet die so beeindruckende Ausstellung. Op-Art, Pop-Art, Photorealismus, Pattern Painting werden nicht mehr mit einbezogen.

Ortrud Westheider und Michael Philipp (Hg.): Von Hopper bis Rothko. Amerikas Weg in die Moderne. Museum Barberini Potsdam / Prestel Verlag München 2017. 248 Seiten. 39,95 Euro ISBN 978-3-7913-5692-1