Dialog mit Fremden

Junge Künstler aus Rumänien und Deutschland in der Galerie H’art Appendix, Bukarest

Besucher vor dem Werk von Kirstin Wenzel (Schlafzimmer), links daneben În curte la ota von Nicolae Com˛nescu und auf dem Boden die Installation von Latefa Wiersch
Foto: Michael Marks

Nicht das Unverständnis gegenüber dem Fremden, wie der Titel suggerieren mag, soll im Mittelpunkt der Betrachtung stehen. Vielmehr wünscht die Kuratorin und Künstlerin Kirstin Wenzel (Düsseldorf - Leipzig) in ihrer Eröffnungsrede am Freitagabend, dem 26. Mai, für die Ausstellung „Talking to Strangers“ dem zahlreich erschienenen Publikum, das Fremde im Vertrauten und das Bekannte im Unbekannten zu entdecken. Es geht mehr um „strange“ als „strangers“, mehr um die Objekte als die Personen. „Da, wo das Heimelige anfängt unheimlich zu wirken, aber auch umgekehrt: dass Dinge, die auf den ersten Blick fremd erscheinen, dann sich als bekannt herausstellen“, erläutert sie später in einem Gespräch. Kirstin Wenzel, die hier selbst mit zwei Werken vertreten ist – außer dem das Ausstellungsplakat zierenden „Parrot-House“(2016) noch „Schlafzimmer“, ein Teil aus ihrer Installation „Lexikon der Bilder“ von 2014 –, kuratiert diese Ausstellung im Rahmen ihres Stipendiums als „Artist in Residence“, das im August ausläuft.

„Dies ist ein Teil meiner Arbeit, damit habe ich angefangen, aber es folgt noch eine Präsentation eigener Werke über meine Zeit hier in Bukarest. Ich kannte die Stadt bereits aus einem früheren Stipendiumsaufenthalt und wollte immer wieder zurückkommen. Daraus ergab sich auch die Gelegenheit, eine solche Gruppenausstellung zu konzipieren.“ Eine Gelegenheit für das Goethe-Institut, vertreten durch seine Leiterin Dr. Evelin Hust, den Jubiläumsfeiern anlässlich des 25-jährigen Bestehens des Deutsch-Rumänischen Freundschaftsvertrags mit der Unterstützung dieser Ausstellung auch einen kulturellen Akzent hinzuzufügen. Nicht zuletzt ist diese Gruppenausstellung dank dem Hausherrn der Galerie H’art Appendix auf der Calea Victoriei, Dan Popescu, zustande gekommen, der neben Raum und Logistik die Beteiligung einiger seiner Haus-Künstler beisteuern konnte.

Eine Begegnung unterschiedlicher lokaler oder regionaler Malerschulen, also einer Bukarester oder Düsseldorfer oder Leipziger Schule, lässt sich nicht mit Sicherheit ausmachen. Dafür scheinen die hier präsentierten Werke bestimmten Aspekten nicht nur des vorgegebenen Themas, sondern auch des künstlerischen Zeitgeistes verpflichtet zu sein. Farbe taucht hier allenfalls reduziert auf – am ehesten noch bei den Installationen des Düsseldorfer Künstlers Malte Bruns, dessen „Windpipe“ aus der Verbindung von blutrotem bis ultravioletten organischem mit technischem Material zu bestehen scheint. Bekannt geworden ist er für seine z. T. lebensecht wirkenden Silikonabgüsse verschiedener Körperteile, die er mit technischen Geräten, wie hier einem Ventilator verbindet. Auch die aus Stoffen oder Fellresten zusammengesetzten Installationen ohne Titel (im Untertitel findet sich die Bemerkung: noch genug Fell für einen Hasen) von Latefa Wiersch aus Zürich, ebenso wie ihr Animationsfilm „Muse“, einer „Metamorphose“ von einer aus Strumpf- und Stoffresten gebastelten weiblichen Puppe plus einem „lebendig“ werdenden Sofa, bedienen sich üppiger Farben und Muster. Etwas matter fällt die Farbgebung der durchaus ironisch skurrilen Installation „Cap“ von Franziska Jyrch (Leipzig) aus. Eine aufrecht stehende blassgrüne Leinwandrolle wird von einer lachsfarbenen Thermoskanne gekrönt. Also Kanne auf Leinwand – nicht als Stillleben gemalt, sondern als Skulptur.

Strukturen und Formen scheinen wichtiger als Farbe, deren Palette von graugrün bis grau, weißlich oder verschiedenen blassen Erdfarben reicht. So in dem Bild „Tanks“ von Virginia Toma (Bukarest) mit seiner stark reduzierten Formensprache, die zu Mehrdeutigkeiten verleitet. Die Pflanzen im Hof (în curte la ota) des in Bukarest und darüber hinaus bekannten Malers Nicolae Com˛nescu stammen aus der Serie „dust 2 dust“, als er physisch den Staub von Bukarest als Malmittel einsetzte. Motive aus der rumänischen Volkskunst, wenn auch nur verhalten, bieten die gegossenen und auf Jute aufgezogenen weißen Gipsplatten des aus der Maramure{ stammenden Dumitru Gorzo, der heute hauptsächlich in New York und Bukarest arbeitet. Erst durch den Einfall des Lichtes gewinnen die reliefartigen Strukturen Konturen. Umgekehrt sind die plastisch wirkenden spiegelverkehrten Schriftzüge auf bräunlichem Untergrund von Gili Mocanu, die ursprünglich aus Konstanza stammt, nur gemalt. Der rumänische Künstler Alexandru Paul fotografiert kleine aus Papier gefaltete Figuren schwarz-weiß so, dass im Foto durch die Schatten räumlich scharfumrissene Skulpturen entstehen. Kirstin Wenzel selbst verbindet persönliche Erinnerungsfotos mit typischen Bauelementen der einstigen DDR-Wohnkultur, indem sie, wie in dem hier gezeigten „Schlafzimmer“ einer Schwarzweißfotografie, ein reales graues Holzpanel, wie es vielfach in DDR-Wohnungen damals üblich war, anfügt.

Im bekannten heimeligen Ambiente das Befremdliche entdecken, ist schließ-lich das Thema der Ausstellung. Da scheint es nur konsequent, wenn Tanja Kodlin (Köln) die Performance, die sie eigens für diese Ausstellung konzipiert und choreographiert hat, „Surfaces I“ nennt. Darin steckt sie ihre drei Protagonistinnen in spiegelnde glatte, teils silbrige teils durchsichtige Hüllen, in denen sich ihre Körper dann bewegen müssen. Auch hier also wieder ein Spiel zwischen Raum, Körper, Oberflächen und deren Auflösung, z. B. durch das reflektierte Licht. Verhüllung ist schließlich auch ein Thema der Berliner Künstlerin Birte Endrejat, die eines der beiden Schaufenster gestaltet hat. Gemäß ihrer Serie „Flüchtiges Lineament“, bei der sie Baugerüste  durch Planen oder Ähnliches ummantelt, hat sie hier – wie bei den zahlreichen leerstehenden Geschäften auf der Calea Victoriei leider immer öfter zu sehen – das Schaufenster, unterbrochen nur von gelegentlichen Schlitzen, scheinbar mit Stoff verhängt. Auch das ein wenig befremdlich im leider nur allzu Vertrauten.
Die Ausstellung kann noch bis zum 16. Juli 2017 in der H’art Appendix, Calea Victoriei 91-93, besichtigt werden.