„Die Frau ohne Schatten“ – Hugo von Hofmannsthals und Richard Strauss’ „Schmerzenskind“

Tagung im Freien Deutschen Hochstift, Frankfurt am Main

Bildquelle: UB Frankfurt/Main, Sammlung F. N. Manskopf

100 Jahre nach der Uraufführung der Oper „Die Frau ohne Schatten“ von Richard Strauss nach einem Libretto von Hugo von Hofmannsthal fand vom 30. Oktober bis 1. November im Freien Deutschen Hochstift/Frankfurter Goethe-Museum eine hochkarätige interdisziplinäre Tagung unter der Leitung von Thomas Betzwieser und Bernd Zegowitz (Goethe-Universität Frankfurt am Main) statt. Die „schönste aller existierenden Opern“, wie Hofmannsthal über sein Werk schrieb, die Strauss jedoch einmal auch als „Schmerzenskind“ bezeichnete, erwies sich als ein äußerst fruchtbarer Gesprächsstoff für die anwesenden Fachleute. Nach der Begrüßung durch Anne Bohnenkamp-Renken eröffnete Bernd Zegowitz die Tagung, die von der Goethe-Universität Frankfurt am Main, dem Frankfurter Goethe-Haus und der Hofmannsthal-Gesellschaft veranstaltet, von der Fritz Thyssen Stiftung und von Starker Start ins Studium freundlich unterstützt wurde. Er hob in seiner Ansprache die Gründe hervor, warum Frankfurt der geeignetste Tagungsort ist. In Frankfurt baute der Weinhändler Friedrich Nicolas Manskopf nach 1900 eine umfangreiche Richard- Strauss-Sammlung auf, die heute in der Senckenbergischen Bibliothek verwahrt wird, seit den 1960er Jahren befindet sich zudem ein Großteil des Hofmannsthal-Nachlasses (mit Manuskripten zur „Frau ohne Schatten“) im Freien Deutschen Hochstift, zudem wurde die Oper 1922, 1966 und 2003 in der Stadt inszeniert. Fokussiert wurde auf die erfolgreiche Inszenierung aus dem Jahr 2003 von Christof Nel. Die diesjährige Festpremiere der „Frau ohne Schatten“ anlässlich des Jubiläums „150 Jahre Wiener Staatsoper“ wurde nicht erwähnt.

Während der Tagung zitierte man mehrmals den Brief von Strauss an Hofmannsthal von 1916, in dem es heißt, dass „Die Frau ohne Schatten“ die „letzte romantische Oper“ des 20. Jahrhunderts sei. Die Arbeit Hofmannsthals am Libretto dauerte von 1911 bis 1919, als die Oper am 10. Oktober in der Wiener Staatsoper zur Uraufführung kam. Seither ist die Oper Bestandteil aller internationalen Spielpläne.

Ein Highlight der Tagung waren zwei Vitrinen mit Handschriften, die von Konrad Heumann zusammengestellt wurden. Einsehen konnte man die Notiz N 1 des Librettos, geschrieben von Hugo von Hofmanns-thal in Rodaun am 25. Februar 1911, in der der „erste Einfall“ geschildert wird. Hofmannsthal notierte: „Phantastisch-komische Oper im Stil des Gozzi.“ Darin werden „Die Elemente der Zauberflöte: Knaben. Priester. Damen der Königin der Nacht. Thiere. Fackeln. Tempeleingang“ sowie das „Märchen“ von Goethe erwähnt. Weiterhin waren die Notizen N 10, N 12, N 23, N 151, die Handschrift mit der ersten Niederschrift des 1. Aufzugs und andere Handschriften zu sehen, die sich im Freien Deutschen Hochstift befinden.

Ulrike Kienzle (Frankfurt am Main) bot in ihrem Vortrag einen Einblick in das Musiktheater des frühen 20. Jahrhunderts und erläuterte die Position der „Frau ohne Schatten“ in dieser Entwicklung. Die etwa 30 Jahre andauernde Zusammenarbeit zwischen Hofmannsthal und Strauss kann als historischer Glücksfall betrachtet werden, aus dem außer der „Frau ohne Schatten“ die Opern „Elektra“, „Der Rosenkavalier“, „Ariadne von Naxos“, „Die Ägyptische Helena“ und „Arabella“ hervorgingen. Adrian Kech (München) erläuterte den Bauplan des Stückes, den Begriff des Prologs zur „Frau ohne Schatten“, das Motiv des Schattens und die Orchesterfantasie von 1946. Albert Gier (Bamberg) stellte die Verbindung zwischen Märchen, Oper und Märchenoper her und erklärte die Bedeutung einiger Symbole, Legenden und Einflüsse für die Interpretation des Textes. Martin Schneider (Hamburg) sprach über das Theater der „Diaphanie“, über das Symbol- und Metatheater sowie über die Rezeption der Oper, für die Mozart und Wagner Pate stehen.

Juliane Vogel (Konstanz) stellte in ihrem Beitrag unter Beweis, dass „Die Frau ohne Schatten“ als Krisendiagnose der zeitgenössischen Ehe gelesen werden kann, die unter dem Einfluss der Psychoanalyse und Sexualethik von Pierre Janet, Sigmund Freud und Joseph Breuer steht. Katharina Hottmann (Hamburg) führte den Gedanken weiter, indem sie über die musikalische Psychologie der Ehe referierte. Olaf Enderlein (Berlin) eruierte Aspekte des Kompositionsprozesses von Richard Strauss am Beispiel des „Gesangs des Wächters“ aus dem 1. Aufzug der „Frau ohne Schatten“ sowie Besonderheiten der musikalischen Ausgestaltung. Jürgen Maehder (Salzburg) klärte wichtige Fragen zur Klangfarbendramaturgie und Orchesterbehandlung als neue Technik.

Christiane Mühlegger-Henhapel (Wien) berichtete über den Briefwechsel von Strauss, Hofmannsthal und Roller im Hinblick auf ihre enge Zusammenarbeit an der „Frau ohne Schatten“ und auch darüber hinaus. Evan Baker (Asheville/NC) veranschaulichte anhand einer PowerPoint-Präsentation bühnentechnische Details sowie Alfred Rollers Wirken bei der Uraufführung der Oper. Jürgen Schläder (München) legte ein breites Spektrum von Deutungsmöglichkeiten der Oper aus szenischer Sicht dar, indem er Aufführungen in Wien und München im Hinblick auf den Einsatz der technischen Mittel verglich und kommentierte.

An der von Bernd Zegowitz moderierten Podiumsdiskussion beteiligten sich der Dramaturg Norbert Abels, der Bühnenbildner Jens Kilian, die Literaturwissenschaftler Ulrich Wyss und Jürgen Schläder sowie die Sängerinnen Tanja Ariane Baumgartner und Britta Stallmeister. Im Mittelpunkt der lebhaften Diskussion stand die Frankfurter Produktion der „Frau ohne Schatten“ aus dem Jahr 2003. Dabei wurde betont, dass Hofmannsthal in diesem Libretto Sein und Werden als Antinomie, Dauer im Wechsel sowie zahlreiche Symbole und Motive behandelte. Deshalb sind unerschöpflich viele Interpretationsweisen des Stücks zu verzeichnen. Die Frankfurter Inszenierung hat alles auf eine bürgerlich-familiäre Geschichte reduziert und auf der Bühne einen beweglichen Raum mit Hilfe einer Drehscheibe geschaffen, die eine optische Reise durch die psychischen Zustände der Gestalten ermöglichte. Die abstrakte Ortlosigkeit war notwendig, denn durch die Bühnenbilder wurden viele Probleme gelöst und die Reduktion auf gewisse Themen machte all das sichtbarer.

Ulrike Stamm (Linz) wies in ihrem Vortrag auf die große Bedeutung des Orients bei Hofmannsthal hin. Sie analysierte die Ingredienzen und Topoi des Orients, die Funktionen der Orient-Allusionen und den Orient als Raum der Verwandlungen in der Erzählung „Die Frau ohne Schatten“. Christian Schaper (Berlin) untersuchte die musikalische Faktur der Oper in der Doppelperspektive von Produktion und Rezeption. Er zitierte einige für den Schaffensprozess aufschlussreiche Briefstellen und pointierte einige wichtige Momente wie die Schattenvergabe, das Versteinerungsmotiv u. a. Ulrich Konrad (Würzburg) akzentuierte einige Tatsachen hinsichtlich der schwierigen, ambivalenten Beziehung zwischen Hofmannsthal und Strauss und stellte „Die Frau ohne Schatten“ dem „Intermezzo“ gegenüber, um dabei auf Endpunkt und Neuansatz aufmerksam zu machen.

Die musik-, literatur- und theaterwissenschaftliche Tagung ließ erkennen, dass man sich dem Hauptwerk von Hofmannsthal und Strauss aus unterschiedlichen Perspektiven nähern kann. Ergiebig diskutiert wurde über die Stoff- und Motivgeschichte, die soziale und biopolitische Sphäre, die szenografische Disposition, die werkgenetische Komposition, die inhaltliche Konstellation, die noch ungenügend erforschte Rezeption und vor allem über die Bemühungen, die Figuren in der Dichtung Musik werden zu lassen. Auch Vorbilder und Einflüsse auf Richard Strauss wurden mehrmals herausgehoben, denn Mozarts „Zauberflöte“ und Wagners „Parsifal“ sowie Goethes „Faust“ sind nicht zu ignorieren. Schließlich wurde unterstrichen, dass in der „Frau ohne Schatten“ das Romantische auf der Symbolwelt des Märchens mit tiefen Wurzeln im 19. Jahrhundert fußt und sie als bleibender Entwurf eines Welttheaters für das 20. Jahrhundert verstanden werden muss. Thomas Betzwieser dankte in seinem Resümee den Referentinnen und Referenten für ihre Beiträge, den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Freien Deutschen Hochstifts und den Mitgliedern der Hofmannsthal-Gesellschaft Katja Kaluga und Konrad Heumann für die Organisation sowie dem Publikum für die Diskussionen, die zum Erfolg der Tagung beigetragen haben. Die Vorträge sollen demnächst in einem Sammelband veröffentlicht werden.