„Die Geschichten des Kreuzes“

Ausstellung von Miniaturskulpturen aus vier Jahrhunderten in Bukarest

„Die Geschichten des Kreuzes“ ist der Titel einer Ausstellung im Nationalen Kunstmuseum Rumäniens in Bukarest, die dort noch bis zum 27. Juni dieses Jahres besichtigt werden kann. Man findet diese kleine, aber feine Schau von Miniaturskulpturen byzantinischer Tradition auf der Empore des Saales 4 der Galerie Alter Rumänischer Kunst im ersten Obergeschoss des Kunstmuseums, wo neben den in mehreren Vitrinen ausgestellten und exzellent beschrifteten Exponaten auch etliche Informationstafeln und zwei permanent ablaufende Diaschauen das Museumserlebnis bereichern.
    
Die von Lucreția Pătrășcanu kuratierte Ausstellung von mit vergoldetem Silber umkleideten hölzernen Miniaturskulpturen aus dem 16. bis zum 19. Jahrhundert umfasst rund 60 Exponate, die sich in mehrere Gruppen unterteilen lassen. Es handelt sich dabei in erster Linie um Kreuze von kultischer Bedeutung: Prozessionskreuze, Handkreuze, Tisch- und Altarkreuze sowie Kreuze, die von Geistlichen als Kettenanhänger auf der Brust getragen wurden. Daneben finden sich aber auch Devotionalien und Gegenstände privater Andacht, die nicht nur von Klerikern, sondern auch von Laien männlichen wie weiblichen Geschlechts in Gebrauch genommen wurden. Dazu zählen in vergoldetes Silber eingefasste Miniaturikonen (Einzeltäfelchen, Diptycha, Triptycha) oder auch auf der Brust getragene runde, ovale oder rechteckige Medaillons, die man als Enkolpien (rum. engolpioane) bezeichnet.

In den in der Ausstellung gezeigten Exponaten zeigt sich der Einfluss der byzantinischen Tradition, der während jener vier Jahrhunderte vom Unterlauf der Donau bis hinauf nach Russland vorherrschend war. Steht in den Exponaten des 16. Jahrhunderts noch das hölzerne Material und die bildliche Szene im Vordergrund, so rücken in den Objekten aus späteren Jahrhunderten immer mehr die metallenen Einfassungen und Umkleidungen ins Zentrum der Betrachtung, zum Teil höchst kunstvolle Feinschmiedearbeiten mit Edelsteinbesatz. Auch die Holzskulpturen selbst sind im Wandel der Zeiten Veränderungen unterworfen. Dominieren zu Beginn Flach- oder Halbreliefs, die sich nur geringfügig von der massiven Holzplatte abheben, so findet man später zunehmend Halb- oder Hochreliefs, ja sogar Hinterschneidungen einzelner Figuren, die diese vereinzelt fast zu Vollplastiken werden lassen, wobei die Holzplatte zum Teil durchbrochen und lichtdurchlässig wird.

In der Geschichte des Christentums ist der Kreuzeskult vor allem mit dem römischen Kaiser Konstantin dem Großen verbunden, demjenigen römischen Herrscher, der sich zum Christentum bekannte und seine Hauptresidenz in den Osten nach Byzanz verlegte, in die von ihm offiziell so getaufte Stadt Nova Roma (Neues Rom), welche nach Konstantins Tod in Konstantinopel umbenannt wurde. Bekannt ist jene Begebenheit aus dem Jahre 312, die der „Vater der Kirchengeschichte“ Eusebius von Caesarea in seiner Biographie Kaiser Konstantins erzählt. Konstantin und sein Heer hatten am Mittag vor der Schlacht bei der Milvischen Brücke gegen den Usurpator Maxentius ein Kreuz aus Licht über der Sonne gesehen mit  drei griechischen Worten, welche auf Lateinisch lauten: „In hoc signo vinces“ (In diesem Zeichen wirst du siegen). Mit dem Kreuzeszeichen als Feldzeichen trug Konstantin der Große in dieser entscheidenden Schlacht den Sieg davon und wurde damit zum Alleinherrscher im weströmischen Reich. Konstantins Mutter Helena fand nach der Heiligenlegende im Jahre 326 in Jerusalem gar die noch erhalten gebliebenen Reste des Kreuzes Christi.

In Rumänien wurde die Geschichte des Kreuzes vor allem durch den bulgarischen Patriarchen Eftimie von Tarnowo aus dem 14. Jahrhundert vermittelt und zwar durch seinen Panegyrikus auf die heiligen Konstantin und Helena, eine Eloge, die in der ersten Hälfte des 15.  Jahrhunderts im Scriptorium des Klosters Neamț abgeschrieben wurde. Der moldauische Woiwode Stefan der Große führte diese Tradition fort, indem er das Fürstentum Moldau nach dem Untergang des Byzantinischen Reiches im Jahre 1453 als neues Konstantinopel betrachtete, wie übrigens auch die russischen Großfürsten ihre Residenzstadt Moskau im Jahrhundert darauf. Stefan der Große heiratete just am Tag des heiligen Kreuzes seine zweite Gattin Maria von Mangop, eine direkte Nachfahrin byzantinischer Kaiser, und stilisierte sich damit zu einem Constantinus novus, einem neuen Konstantin – eine Tradition, die walachische Fürsten wie Neagoe Basa-rab oder Constantin Brâncoveanu auf ihre Weise weiterführten.

Die rumänischen Prozessionskreuze aus dem 16. Jahrhundert, mit denen die Ausstellung im Bukarester Kunstmuseum eröffnet wird, weisen sehr feine und filigrane Miniaturreliefs aus hellem oder auch dunklem Holz auf, die, in mehreren Registern untereinander angeordnet, der byzantinischen Ikonographie folgen: Mariä Verkündigung und Marientod, Jesu Geburt und Taufe, Jesu Verklärung und sein Einzug in Jerusalem, diese und zahlreiche andere Szenen aus dem Neuen Testament, aber auch aus dem Alten Testament wie verschiedene Darstellungen des Sündenfalls, finden sich als Reliefs auf diesen Prozessionskreuzen, deren filigraner, fein ziselierter, ja intimer Charakter in eigentümlichem Gegensatz zum öffentlichen Vorgang der Prozession steht. Ein schönes Beispiel für ein solches Prozessionskreuz ist das Kreuz aus dem Jahre 1558, das der moldauische Fürst Alexandru Lăpușneanu dem Kloster Slatina schenkte.

Neben diversen Handkreuzen mit Kreuzigungsszenen aus dem 17. Jahrhundert verdienen zwei kunstvolle Tischkreuze besondere Erwähnung: das Tischkreuz aus dem Jahre 1684, das der walachische Woiwode [erban Cantacuzino dem Kloster Cotroceni schenkte, und das Tischkreuz aus dem Jahre 1692, das der walachische Fürst Constantin Brâncoveanu dem Kloster Hurezu stiftete. Letzteres besticht einerseits durch sein reichhaltiges Bildprogramm: von der Erscheinung Gottes in Mamre aus dem biblischen Buch Genesis an der Spitze des Kreuzes über die Verkündigungsszene oberhalb des Querbalkens, über Szenen aus dem Leben Jesu auf dem Querbalken, über weitere Szenen auf dem Kreuzstamm (Verklärung, Auferweckung des Lazarus, Jesus und die Samariterin) bis hin zu zahlreichen Holzmedaillons, die sich um das Kreuz ranken und in denen die vier Evangelisten, die Heiligen Kosmas und Damian, Maria und Elisabeth, Styliten (Säulenheilige) sowie die Wurzel Jesse abgebildet sind. Andererseits besticht das kunstvolle Tischkreuz durch seine filigran gearbeiteten und fast orientalisch anmutenden silbernen Umkleidungen, die an den Flamboyantstil der Spätgotik gemahnen.

Neben mit Edelsteinen besetzten Hand- und Tischkreuzen, von denen dasjenige des Protopopen von Temeswar aus dem 19. Jahrhundert auch als Siegelkreuz Verwendung fand (die kleine Standfläche fungierte zugleich als Siegel), neben schmuckvollen Brustkreuzen und Enkolpien finden sich in der Bukarester Ausstellung auch ein liturgisches Buch aus dem Jahre 1631 mit farbigen Miniaturen, zwei größere Ikonen aus dem 18. Jahrhundert mit der Darstellung kaiserlicher Feste sowie der heiligen Konstantin und Helena, außerdem Miniaturikonen, die als Anhänger auf der Brust getragen wurden: eine in Silber gefasste elfenbeinerne Brustikone aus Russland aus dem Jahre 1623 (man erkennt darauf die charakteristischen Zwiebelkuppeln) und ein Brustdiptychon, gleichfalls aus dem 17. Jahrhundert und ebenso aus Russland stammend, das nebeneinander die Muttergottes und Jesus Christus darstellt. Drei kleine Holzplättchen, die zusammen ein Triptychon bilden, beschließen die sehenswerte Ausstellung in der Galerie Alter Rumänischer Kunst des Bukarester Kunstmuseums, bei der man nur bedauert, dass man durch die Glasvitrinen auf Distanz gehalten und am Gebrauch einer Lupe gehindert wird, die den Genuss bei der Betrachtung dieser byzantinischen Miniaturskulpturen noch um ein Vielfaches steigern könnte.