Die Hauptstadt als Mekka für Jazz-Liebhaber

Diesjähriges Bucharest Jazz Festival erfreut sich großen Erfolgs unter den Zuschauern

Jamsession mit Beteiligung von Antonio Sánchez und seiner Band „Migration“ im Jazzkeller. Von links: Festivalkurator Cristian Soleanu, Chase Baird, Thana Alexa, Michael Acker. Foto: Petra Acker

Absoluter Publikumsliebling: Bill Evans & the Spy Killers! boten eine mitreißende Show. Foto: Arcub

Die 8. Auflage des Bucharest Jazz Festival hat die Bukarester Innenstadt für eine ganze Woche in ein wahres Mekka für Jazzliebhaber verwandelt. Neben den vielen qualitativ hochwertigen Konzerten auf dem George-Enescu-Platz konnte das Publikum ebenfalls kostenlos an Workshops und Vorträgen teilnehmen, am späten Abend beim „New Jazz Plazers“-Wettbewerb mit der jungen Generation der rumänischen Jazz-Szene mitfiebern und sich bei den anschließenden Jam-Sessions an der Kunst der freien Improvisation erfreuen.

Ein Fest für Kenner war es vor allem, denn Festival-Kurator, Saxophonist und Komponist Cristian Soleanu, hat bei der Auswahl der geladenen Künstler kein Ass im Ärmel gelassen: die Hauptattraktion war dieses Jahr der New Yorker Antonio Sánchez, der fünffach Grammy-preisgekrönte und Golden Globe-nominierte Schlagzeuger und Komponist, dessen Musik die Welt in „Birdman“, einem 2014 gestarteten Film von Alejandro G. Ińárritu zu hören bekam. Sein Name befindet sich auf über 100 Alben von internationalen Jazz-Größen wie Chick Corea, Michael Brecker, Pat Metheney und vielen mehr. Auf die Bühne am Enescu-Platz brachte er seine eigene Band, „Migration“, mit, eine explosive Mischung aus Improvisation, bis ins kleinste Detail studierten Melodien und perfekt synchronisierten Akzenten und Rhythmen. Die hinreißende Stimme von Sängerin Thana Alexa bewies eine durchtrainierte gesangliche Akrobatik, die glasklare Töne ab und an durch geschickt angewandte Effekte in eine wunderbare Zauberwelt verwandelte. Pianist John Escreet ließ durch seine virtuose Improvisationstechnik wohl so einige Unterkiefer hängen, der sympathische Saxofonist Chase Baird und Bassist Orlando le Fleming schafften den perfekten Rahmen für Sánchez’ Kompositionen und Impulse des Moments.

Den Auftakt zu „Migration“ am Samstagabend, dem 6. Juli, machte das Ensemble Cvartet Florin Niculescu, die Gruppe des gebürtigen Bukarester, in Paris lebenden Violinisten, den Jazz-Legende Oscar Petersson zurecht den „Hurrikan aus den Karpaten” nannte. Seine Romani-Wurzeln weckten schon in seiner frühen Jugend die große Liebe zum Gypsy Jazz, einem flotten, rhythmischen Musikstil, der während der 30er Jahre durch Django Reinhardt in Frankreich sowie weltweit bekannt gemacht wurde. Die ebenfalls weltweite Anerkennung Florin Niculescus bringt ihn seit vielen Jahren auf die größten Jazzbühnen der Welt, das Publikum am Enescu-Platz war von der grandiosen Show des Quartetts hin- und hergerissen.

Schon der Beginn der Konzertreihe am 3. Juli war vielversprechend: Das CALI Quartet aus Jassy/Iași eröffnete das Geschehen auf der riesigen Bühne am Enescu-Platz, der wie auch letztes Jahr mit einem eleganten weißen Zaun umrandet war. Für die Zuschauer waren an die 600 Stühle fächerförmig vor der Bühne bereitgestellt, der gesamte Platz wie auch die Bühne mit Tausenden von Hängegeranien dekoriert. CALI Quartet war für die meisten eine sehr angenehme Überraschung, ihre Musik, ein moderner, jedoch sehr melodischer Jazz, wird von der Band selbst komponiert und in einer einwandfreien Darbietung gespielt. Von dieser Gruppe wird man in Zukunft bestimmt mehr hören.

Als nächstes durften die Zuschauer am Mittwochabend „Unspoken“ (Unausgesprochen) miterleben, ein sehr neues musikalisches Konzept von Trompeten-Virtuoso Sebastian Burneci und dem Radio Kammerorchester unter Leitung der Bukarester Orchesterdirigentin Simona Strungaru. Burneci ist unter vielem anderem auch der Gründer der einzigen unabhängigen Bigband des Landes, „Bucharest Jazz Orchestra“, mit der er am Freitag, dem 5. Juli, eine mitreißende Show mit authentischem Broadway-Jazz auf die Bühne brachte, in Zusammenarbeit mit dem russischen, ebenfalls mehrfach Grammy-preisgekrönten Trompeter Alex Sipiagin.

Der Donnerstag, 4. Juli, wurde vom gebürtigen Bukarester Toma Dimitriu, dem Gewinner des „New Jazz Players“ 2018 eröffnet, ein Pianist, der vor allem in der hiesigen Jazz-Szene bestens bekannt ist, seit mehreren Jahren im Ausland (zurzeit Paris) lebt und somit die Gelegenheit hatte, mit Musikern aus aller Welt zusammenzuarbeiten und sein schon seit seiner Kindheit beeindruckendes Können am Klavier erheblich zu erweitern. Mit auf die Bühne brachte er seinen gewesenen Professor von der Universität in Groeningen, Owen Hart Jr., den Italiener Andrea Caruso am Kontrabass und Daniel Torres aus Malaga am Saxophon.

Anschließend spielte Johnny Bica, der gebürtige Bistritzer, der an der Musikhochschule in Bukarest studiert und kürzlich seinen Doktortitel erhalten hat. Er bringt mit seinem Album und gleichnamigen Gruppe „the Real Vibrations“ ein ganz neues musikalisches Spektrum in die rumänische Musiklandschaft. Ein Mix aus Jazz und neueren Richtungen wie Hip-Hop, Drum n’ Bass und Ambientalen Klängen lässt wohl Ohren jeden Alters hellhörig werden. Mit Michael Acker am Bass, Andy Ava an der Gitarre und Iulian Nicolau am Schlagzeug fand die Musik am Enescu-Platz viele neue Fans. Das Album ist übrigens hier zu finden und sehr zu empfehlen!

Eine große Überraschung kam diesmal aus Frankreich – die junge, 2018 von der europäischen Jazzwelt entdeckte Sängerin Camille Bertault entzückte durch ihre lockere Art, ihre überaus angenehme Stimme und eine einfache, jedoch effektvolle Stimmtechnik. Ihr Markenzeichen sind sehr persönliche Bearbeitungen traditioneller Jazz-Standards wie „Giant Steps“ von John Coltrane, den sie in ihrer eigenen Version „Pas de géant“ nennt. Die perfekte Interpretation von Coltranes solistischen Einlagen brachte Camille die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit. Kritiker und Musikmagazine nannten sie unter anderem „Die Neue Stimme des Jazz“ (Vanity Fair) und „Ein großes Talent mit einem passenden Anteil an Humor“ (France Musique).

Der letzte Tag der ereignisreichen Woche fing mit einem Konzert der italienischen Band Em4ncipation an, die, wie schon in der Beschreibung versprochen, eine ganz besonders energische Show boten. Als special guest brachten die vier Italiener den Rapper Yah Supreme aus Brooklyn mit auf die Bühne, der eine wunderbare Party-Stimmung ausstrahlte, das Publikum zum Singen, Klatschen und zum Schluss sogar zum Tanzen animierte.

Absoluter Liebling des Publikums war der letzte Künstler im Programm des Festivals: der Saxophonist Bill Evans hat viele Jahre mit dem wahrscheinlich größten Jazz-Superstar, den die Welt je erlebt hat, dem Trompetenspieler Miles Davis, zusammengespielt, der über Evans selbst gesagt hat, er sei einer der Größten. Der zweifach Grammy-nominierte Musiker brachte seine Band „The Spy Killers!“ mit, die dynamische Eigenkompositionen mit einem passenden Anteil an Jazz, Funk, Soul und Rock spielten. Auch diese Show war einfach mitreißend, der stürmische Applaus des Publikums war noch viele Straßen weiter hörbar und brach nach jedem Song wie eine Explosion aus. Der George-Enescu-Platz war vor allem am Wochenende komplett gefüllt, der Anfang der Woche war hingegen eher etwas bescheidener besucht, was bestimmt auch auf die beiden anderen Jazz-Veranstaltungen im Land, in Temeswar („Jazz TM“) und Klausenburg („Jazz in the Park“), die zeitgleich stattgefunden haben und ebenfalls ein sehr attraktives Programm zu bieten hatten, zurückzuführen ist.

Nicht nur Musikern waren die Workshops und Vorträge gewidmet, die ab dem 2. Juli täglich um die Mittagszeit beim Jazzklub des Kulturinstituts und Hauptveranstalter „Arcub Gabroveni“ stattgefunden haben. Über Freiheit in der Improvisation sprach der Multi-Instrumentalist und Produzent von Theatermusik George Dimitriu, der die Kunst der Improvisation in Holland und New York studiert hat. Luiza Zan, eine der größten Stimmen in der Geschichte des rumänischen Jazz, weihte die Teilnehmer in einige ihrer Geheimnisse zur Stimmpflege und ihrer persönlichen Trainingsmethoden ein, erzählte aber auch viel von ihrer immensen Erfahrung auf europäischen Bühnen und ihren Reisen in die Vereinigten Staaten. Simon Rentner studiert seit vielen Jahren die weltweite Dynamik und Verbreitung der Jazzmusik sowie den gegenseitigen Einfluss der verschiedensten Musikrichtungen und erlaubte den Teilnehmern am Mittwoch einen hochinteressanten Einblick in seine Feststellungen. Am Sonntag konnten die ganz jungen beim Workshop „Jazz for kids / Jazz für Kinder“ mit dem Bukarester Saxophon-Virtuoso Mihai Iordache in einer spielerischen, praktisch angewandten Art und Weise so einiges über die Geschichte des Jazz erfahren. Iordache hat übrigens Ende letzten Jahres ein Album veröffentlicht, das bereits in die Geschichte des rumänischen Jazz eingegangen ist, „Suita Titan“ nennt sich das Meisterwerk und ist unter anderem auf Bandcamp.com zu finden.

Ein weiterer wichtiger Bestandteil des Festivals ist der „New Jazz Players“-Wettbewerb. Dieses Jahr ging der große Preis an Sängerin Anita Petruescu und besteht aus einem Konzert innerhalb des Bucharest Jazz Festivals auf der großen Bühne im kommenden Jahr, sowie einem Preisgeld im Wert von 1000 Euro. Bassist Alex Marin erhielt den zweiten Preis.

Die schon erwähnten Jammsessions, die als Gastgeber von Albert Tajti am Klavier, Michael Acker am E- und Kontrabass und Iulian Nicolau am Schlagzeug eingeleitet wurden, brachten vor allem am Wochenende zahlreiche Zuschauer in den Jazzkeller des „Arcub“. Viele der ausländischen Musiker machten auch mit, so kam es zum Beispiel am Samstagabend mit der spontanen Teilnahme von Antonio Sánchez und seiner Band sowie Festival-Kurator Cristian Soleanu zu unvergesslichen Momenten, dem völlig überfüllten Saal wurde nochmal richtig eingeheizt, das Publikum tanzte und applaudierte voller Begeisterung.

Eine ebenfalls begeisterte, treue Besucherin sämtlicher Momente des Festivals ließ eine Gruppe Musiker, die am letzten Abend vor dem Jazzklub saßen, wissen, dass die Musik der letzten Tage ihre Seele und ihren Geist in den siebenten Himmel emporgehoben hat. Dafür sei sie endlos dankbar. „Ihr Künstler seid es, die ihr die wichtigste Rolle auf der Erde habt, denn ihr beschert den Menschen Gefühle, Emotionen, Freude und Begeisterung. Ohne Euch würden wir alle zu Robotern werden“, schloss die elegante Dame ihre Lobesworte. Tatsache ist, nach einer Woche Bucharest Jazz-Festival fühlt man sich tatsächlich lebendiger! Wir freuen uns schon auf das nächste Mal!