Die Mal-Revolution des Jan van Eyck

Gent feiert seinen großen Renaissancemeister und dessen neuartigen Realismus

Jan van Eyck: Bildnis eines Mannes mit blauem Chaperon, ca. 1428-1430, Nationalmuseum Brukenthal, Hermannstadt/Sibiu

Jan und Hubert van Eyck: Genter Altar, 1432, Außenflügel, Öl auf Holz, St.-Bavo-Kathedrale, Gent

Die größte Jan-van-Eyck-Ausstellung aller Zeiten, so wird sie angekündigt: „Jan van Eyck. Eine optische Revolution“ – und das ist diese grandiose Schau im belgischen Gent auch wirklich. Im Mittelpunkt stehen die acht aufwändig restaurierten Außentafeln des berühmten Genter Altars (1432), die hier nun aus nächster Nähe betrachtet werden können. Jan van Eyck, dieser flämische Ausnahmekünstler, hat nur 20 Werke hinterlassen. Gut die Hälfte wird in der Ausstellung im Museum der Schönen Künste in Gent bis zum 30. April gezeigt, ergänzt aber durch Arbeiten aus seiner Werkstatt, Kopien verlorener Werke des Meisters und durch mehr als 100 weitere Meisterwerke von Zeitgenossen und Nachfolgern, die den Werken van Eycks gegenübergestellt werden.

Seine Malerei mit ihrem Einfallsreichtum, ihrem noch das kleinste Detail erfassenden Realismus und ihrer technischen Vollkommenheit konnte noch nie so intensiv erfasst werden. Auch war es noch nie möglich gewesen, italienische Meister wie Fra Angelico, Pisanello, Masaccio und Benozzo Gozzoli, die zeitgleich mit van Eyck, jedoch in Florenz, ihre eigene Mal-Revolution betrieben, mit Werken van Eycks so umfassend zu vergleichen. Auch der Florentiner Fra Angelico betonte – etwa in der „Stigmatisierung des Heiligen Franziskus“ (ca. 1429) – den Kontrast zwischen Hell und Dunkel, während sich van Eyck der Modellierung des natürlichen Lichts und der detaillierten Wiedergabe alles Wahrnehmbaren widmete.

Das verleiht auch dem „Bildnis eines Mannes mit blauem Chaperon“ (1428-1430) aus Hermannstadt/Sibiu eine intensive Plastizität und Lebensechtheit. Illusionistisch ruht dessen linke Hand auf dem (verschollenen) Rahmen, und die rechte ragt scheinbar aus der Bildebene heraus. Im „Verkündigungsdiptychon“ (1433-1435) aus Madrid gelang es van Eyck meisterhaft, im Medium monochromer Malerei eine ungefasste Steinskulptur vorzutäuschen. Maria und der Erzengel Gabriel ragen aus ihren separaten, flachen Nischen heraus, hinein in den Raum des Betrachters. Diese Augentäuscherei, dieser Trompe-l’oeil-Effekt ist so perfekt, dass die Grenze zwischen Bildträger und Rahmen aufgehoben wirkt. Van Eyck täuschte sowohl Dreidimensionalität als auch simultane Allansichtigkeit vor, indem er die Statuen der Jungfrau und des Verkündigungsengels sowie deren fingierte Spiegelungen täuschend echt malte. Andererseits hob er die Illusion einer Skulptur durch die frei auf Maria zuschwebende Taube des Heiligen Geistes auf, um die Überlegenheit der Malerei unter Beweis zu stellen.

Seine kleine, auf 1437 datierte Pinselzeichnung „Barbara von Nikomedien“ aus Antwerpen darf als „programmatisches Kunststück“ gelten: Hinter der auf einer Anhöhe sitzenden Heiligen ragt ihr Attribut, der Turm, als mächtige Konstruktion und Teil einer in Entstehung begriffenen Kirche vor einer weiten Landschaft auf. Detailliert hat van Eyck hier den spätgotischen Baubetrieb in seinen zahllosen Arbeitsschritten dargestellt. Die „Madonna am Brunnen“ (1439) ist ein Meisterstück der Detailmalerei in kleinstem Maßstab. Hier vermerkte van Eyck auch seine Devise „AIC IXH XAN“ (So gut ich es vermag), was für einen Künstler der damaligen Zeit von einem bemerkenswerten Selbstbewusstsein zeugt. Nicht nur in seiner Größe steht es in Bezug zu des Florentiners Benozzo Gozzoli „Madonna mit Kind und Engeln“ (ca. 1449-1450), obwohl das eine Werk in Ölfarbe und das andere in Tempera gemalt wurde und sie ganz unterschiedliche Wirkungen hervorrufen. Das Porträt der Frau des Malers, Margareta van Eyck (1439), aus Brügge fällt durch die unterschiedlichen Größenverhältnisse von Oberkörper und Kopf auf. Die Porträtierte ist in der Nähe einer Lichtquelle, einem Fenster, das sich noch in ihren Augen spiegelt, sie sieht den Betrachter an.

Mittels Spiegelbild setzte sich der Künstler selbst oft als Zeuge des Bildgeschehens ein und erweiterte so seinen Darstellungsspielraum über die eigentliche Bildgrenze nach vorn.

Der Genter Altar, ein Gemeinschaftswerk der Brüder Hubert und Jan van Eyck, wird nach Ende der Ausstellung wieder komplett in der Genter Kathedrale von Sankt Bavo zu sehen sein. Vor gut 200 Jahren kamen 12 Bilder des weltberühmten Altars durch Ankauf in die Sammlung der Berliner Gemäldegalerie und bildeten den Grundstock des Bestandes an Werken der altniederländischen Malerei. Sie mussten als Kompensation für die brutalen Zerstörungen, deren sich die deutsche Armee während des Ersten Weltkrieges im neutralen Belgien schuldig gemacht hatte, nach dem Krieg laut Versailler Vertrag zurückgegeben werden.

Auf den Innenflügeln des Altars, der als Höhepunkt der spätmittelalterlichen Kunst gilt, streben verschiedene Scharen von Heiligen auf das Lamm Gottes – Symbol Christi – zu, das im Zentrum der Komposition auf einem Altartisch steht und aus seiner Seitenwunde Blut in einen Messkelch strömen lässt. Über dem Lamm schwebt in einer Aureole die Taube des Heiligen Geistes. Ein Brunnen bezeichnet das Wasser des Lebens. Wir haben es hier mit einem Allerheiligenbild zu tun, wobei der Himmel der Heiligen durch eine paradiesisch wirkende Landschaft, hinter denen die Kirchtürme niederländischer Städte aufragen, wiedergegeben wird. In der Mitte thront die Trinität in der Gestalt Christi, jener sichtbaren Form, die Gott selbst bei der Menschwerdung angenommen hat. In senkrechter Lesart lässt sich der mit der Tiara Bekrönte eher als Gottvater auffassen, der die unter ihm schwebende Taube und das Lamm Gottes auf dem Altar zu einer anders gestalteten Trinität vervollständigt.

Es ist immer wieder die außergewöhnliche Schaulust von van Eycks Malerei hervorgehoben worden. Stets hat dieser eigentliche Gründervater der großen niederländischen Malerschule versucht, die sichtbare Welt bis ins letzte Detail zu erfassen. Dies spiegelt sich in seinen weiten Landschaftshintergründen wider, in seinen detailreichen kirchlichen und profanen Interieurdarstellungen sowie in seiner akribischen Wiedergabe aller Gegenstände, Oberflächen und Stoffe. Die farbtechnischen Errungenschaften der Ölmalerei und der damit erreichte neuartige Realismus glichen in der Tat einer optischen Sensation. Er hat die Fähigkeit der simultanen dreidimensionalen Darstellung im Bild bewiesen: Das Spiegelbild produziert bei ihm ein objektiv zuverlässiges Bild der Realität.