Die Oberösterreichische Landesausstellung in Steyr ist ein offenes Geschichtsbuch

„Arbeit – Wohlstand – Macht“ – ein Spiegel der Gesellschaft

Gelegenheiten, Geschichte mit ihren Protagonisten in Ausstellungen hautnah zu erleben, gibt es noch manche. Aber noch lange nicht jede ist so farbig und griffig aufbereitet wie die oberösterreichische Landesausstellung 2021 in Steyr. Mit „Arbeit – Wohlstand – Macht“ hat man die Bereiche umrissen, die in jeder Gesellschaft eine meist bedeutende Rolle spielen. 

Die tausend Jahre alte Stadt kann diesbezüglich auf einen reichen historischen Schatz zurückgreifen; Adel und Bürgertum knüpften über Jahrhunderte familiäre und wirtschaftliche Kontakte mit ganz Europa, und die Steyrer Fabriken boten seit dem 19. Jahrhundert der Arbeiterschaft in der ganzen Monarchie Beschäftigung. Weltkriege, Weltwirtschaftskrise, Bürgerkrieg und Nationalsozialismus hatten wirtschaftlichen Abstieg zur Folge, der wieder nur mit Innovation und tatkräftigem Erfindergeist bewältigt werden konnte. In Steyr hatten die europäische und die österreichische Geschichte stets besonders intensive Folgen, sodass sich frei nach dem Dramatiker Friedrich Hebbel (1813–1863) sagen lässt: „Steyr, eine kleine Welt, in der die große ihre Probe hält. Und waltet hier das Gleichgewicht, so wird’s auch in der andern licht.“ 

Historische Ausstellungsstandorte

Schloss Lamberg bildete den passenden Rahmen für den historischen Beitrag des Adelsstandes und seiner Macht, der Innerberger Stadel – der 1611 als Lebensmittelspeicher erbaute Renaissancebau ist heute Stadtmuseum – widmete sich den wirtschaftlichen Leistungen und dem Wohlstand des Großbürgertums, und das Museum Arbeitswelt zeigte den großen Einsatz der Arbeiterschaft ab dem industriellen Zeitalter. Ein facettenreicher Blick in die Vergangenheit stellte auch die weitreichenden gesellschaftlichen Rahmenbedingungen in den Fokus der Ausstellung. Ein wichtiger Aspekt einer Landesausstellung ist zudem nicht nur das konsequente und verständliche Durchziehen des Themas, sondern auch, bei der Bevölkerung Interesse und Neugierde zu wecken (die schönste Ausstellung im elfenbeinernen Turm geht ja sonst am eigentlichen Sinn vorbei). Diesbezüglich konnte Steyr glücklicher-weise auf die große Erfahrung und das psychologische Talent seiner langjährigen Tourismusdirektorin Eva Pötzl und ihren Mitarbeiterinnen zurückgreifen. Auch den Ausstellungsführern schenkte man große Aufmerksamkeit – unter anderem an engagierten Begleitern wie Horst Lindinger zu erleben. Der legendäre Stadtführer Ing. Wolfgang Hack schließlich, der sich das ganze Jahr über als wahre Fundgrube historischen Wissens und sozialer Zusammenhänge erweist und die Biografien der mehr als 700 bauhistorischen Häuser Steyrs und seiner Menschen kennt, stellte die Zusammenhänge der in der Landesausstellung präsentierten Persönlichkeiten mit deren Wohn- und Arbeitsstätten in der Stadt her, sodass sich auch einem Erstbesucher Steyrs die Bedeutung einer der schönsten Städte Österreichs erschließen konnte. 

Die alte Burg in Steyr

Die erste urkundliche Erwähnung der Styraburg stammt aus dem Jahr 980. Nach den Grafen Wels-Lambach kam sie in den Besitz der Traungauer Grafen Otakar. Ihr Wappen des silbernen Panthers auf grünem Grund wurde auch zu jenem der Steiermark. Nach den Babenbergern und Habsburgern als zwischenzeitliche Besitzer wurde Freiherr Siegmund von Lamberg 1585 in den oberösterreichischen Herrenstand aufgenommen, und Kaiser Leopold I. verkaufte 1666 die Burg an Maximilian Lamberg. Durch die Tüchtigkeit seiner Nachkommen zählte das Geschlecht um 1700 mit seinen verzweigten Linien, seinem riesigen Vermögen, den Schlössern, Palais, Kunstsammlungen, Gütern und Forsten in halb Europa schließlich zu den bedeutendsten Familien des Habsburgerreiches. 1707 wurde die Steyrer Linie durch Kaiser Joseph I. sogar in den Reichsfürstenstand erhoben. Nach dem großen Stadtbrand von 1727 erfolgte der beträchtliche Umbau der Burg in ein barockes Schloss durch Franz Anton Reichsfürst von Lamberg. Durch die Mesalliance von Gustav Joachim von Lamberg mit Katerina Hradkova ging 1855 der Fürstentitel verloren. Das Paar hatte zehn Kinder, vor der Geburt des letzten heiratete es, und ihr einziger ehelicher Sohn, Joseph Friedrich Graf von Lamberg-Ortenegg-Ottenstein, heiratete 1880 Anna Werndl, die jüngere Tochter des Großindustriellen Josef Werndl. Fehlender wirtschaftlicher Weitblick, Kinderlosigkeit, komplizierte Erbfolgen, Schicksalsschläge und der Zerfall der Habsburgermonarchie besiegelten das weitere Schicksal der Lambergs, bis in den 1950er Jahren praktisch das ganze Vermögen verloren war. Das soziale Prestige blieb jedoch lange Zeit ungebrochen erhalten und brachte auch interessante und kuriose Persönlichkeiten hervor. Eine davon war Paula Reichsgräfin von Lamberg, 1887 in Kitzbühel geboren: Sie war Skispringerin und erreichte 1911 als „schwebende Gräfin“, adjustiert mit langem Rock und in „tadelloser Haltung“, mit der Sprungweite von 28 Metern Weltrekord. Sie brachte mit ihrem Schlosshotel den Tourismus nach Kitzbühel. Nicht ganz so viel Bewunderung wurde Karl Othmar Graf Lamberg zuteil. Er war eine unstete Persönlichkeit, pendelte zwischen Widerstand gegen und Sympathie für den Nationalsozialismus hin und her. Zuletzt saß er zwischen allen Stühlen und wurde als einziges Mitglied des österreichischen Hochadels 1942 in Auschwitz ermordet. Thronfolger Franz Ferdinand d’Este aber pflegte eine enge Beziehung zur Gegend, er war Pächter eines großen Jagdgebietes und leidenschaftlicher Jäger. Als Retter vieler Baudenkmäler war er für die Bevölkerung „der oberste Denkmalpfleger“. Ab dem 18. Jahrhundert bildete sich die „zweite Gesellschaft“ vom Kaiser geadelter erfolgreicher Unternehmer. Nobilitierungen von Großbürgern wurden von der alten Aristokratie aber sehr zurückhaltend behandelt. Darum ließ das ursprünglich große Interesse des Großbürgertums am alten Adel ab 1900 beträchtlich nach, man erarbeitete sich seinen Status lieber durch wirtschaftlichen Erfolg und unterstützte verarmte Adelige, wie etwa Anna Werndls Ehemann Graf Lamberg mit der Restaurierung seines Schlosses Trautenfels. Mit dem Gesetz vom 3. April 1919 wurden der Adel und die damit verbundene Bevorzugung der österreichischen Staatsbürger aufgehoben. Das Vermögen und die politischen Rechte blieben der Aristokratie erhalten. Das Habsburgergesetz – Enteignung und Landesverweis – richtete sich nur gegen die Familie Habsburg. 

Namhafte Unternehmerfamilien in Steyr

Steyr hat viele erfolgreiche Unternehmen hervorgebracht. Das älteste noch bestehende ist seit 1491 die Sommerhuber Keramik Manufaktur. Josef Sommerhuber der Ältere hatte sich als Händler in Steyr niedergelassen, sein Sohn Josef begann schon mit dreizehn Jahren eine Lehre als Hafner (Anm. Red.: Ofensetzer) und heiratete nach der Walz 1853 die junge Witwe seines einstigen Lehrmeisters mit ihren fünf Kindern. Damit übernahm er die seit 1491 bestehende Hafnerei. Selbst Witwer geworden, brachte seine zweite Frau am 1. April 1858 Sohn Rudolf auf die Welt. Der machte in Graz eine Hafnerlehre, bevor er mit 22 Jahren den Betrieb des verstorbenen Vaters in Steyr übernehmen musste. Mit enormem Fleiß und großer Begabung für das Kunsthandwerk baute er den Betrieb weiter aus und wurde k. k. Hoflieferant. Er konnte Erzherzog Franz Ferdinand für die Erhaltung des Innerberger Stadels gewinnen, war sozial stark engagiert, kümmerte sich um die Erhaltung des Soldatenfriedhofs ebenso wie um das Stabpuppentheater Steyrer Kripperl. Sommerhuber Öfen wurden in der ganzen Mo-narchie und für die höchsten Kreise gebaut. 1919 kamen seine Söhne, der Kaufmann Rudolf II. und sein Bruder Josef, ausgebildeter Keramiker, zum Zug. Sie konnten, wie auch Rudolf Sommerhuber III., trotz schwierigster Zeiten den Betrieb erhalten. Rudolf IV. schließlich entwickelte neue Produkte und widmet sich seit 2005 der Spa- und Wellnesskeramik. Internationale Preise, namhafte Kunden wie Luxushotels von Paris bis Peking, von Dubai bis Singapur, achtzig Mitarbeiter und ein Kachelofenmuseum mit herrlichen Exponaten aus fünf Jahrhunderten sprechen für sich. 

Eisenstadt Steyr

Die Hochblüte des Eisenwesens war im 15. Jahrhundert. Eisenwarenkaufleute dominierten über Jahrhunderte das wirtschaftliche und politische Leben in Steyr. Eines der wichtigsten Handelshäuser wurde 1707 von Johann Josef Koller aus Mauthausen gegründet. Der Großhandel mit Eisenwaren umfasste Werkzeuge von Nadeln bis Sensen, von Nägeln bis Pfannen sowie Werkstoffe für die weiterverarbeitenden Kleinbetriebe. Das Einheiraten in angesehene Familien der Steyrer Elite brachte wirtschaftlichen und sozialen Aufstieg, der mit Josef von Koller (1780–1864) seinen Höhepunkt erreichte. Bekannt wurde er durch seine ausgezeichnete Beziehung zu Adalbert Stifter und Franz Schubert, der ab 1819 mehrere Monate in Steyr verbrachte. Nach sechs Generationen und 180-jähriger Handelstätigkeit kam es aufgrund der Industrialisierung zum Ende des erstrangigen Handelshauses Koller. Dass in der Eisenstadt Steyr alle Arten von Schmieden eine bedeutende Rolle spielten, versteht sich von selbst: Nagelschmieden, Sensenschmieden, Messerschmieden … und die Waffenschmiede. Damit wurde Josef Werndl weltberühmt. Sein Vater Leopold Werndl war Produzent von Waffenbestandteilen in Steyr. Er schickte seinen am 26. Februar 1831 – als zweites von 18 Kindern – geborenen Sohn nach seiner Lehre in Wien u.a. in die USA zu Remington und Colt, wo Gewehre in Serie und mit austauschbaren Einzelteilen gefertigt wurden. Zurück in Steyr, entwickelte Josef Werndl mit seinem Werksmeister Karl Holub ein Hinterladergewehr mit Tabernakelverschluss, ähnlich denen, womit Preußen die Schlacht bei Königgrätz gegen die die k. k. österreichische Armee mit ihren altmodischen Vorderladern gewonnen hatte. Kaiser Franz Joseph deklarierte 1868 das Hinterladergewehr als Armeegewehr für das österreichisch-ungarische Heer. Werndl belieferte auch Frankreich, Griechenland, Rumänien, Persien, China und Chile und war mit 15.000 Mitarbeitern das größte Waffenproduktionsunternehmen Europas. Typisch für die Rüstungsindustrie war die extrem stark schwankende Auslastung, die in Friedenszeiten bis zu vollständiger Arbeitslosigkeit führte. Nach einem solchen drastischen Produktionsrückgang verlegte sich Josef Werndl auf die Elektrotechnik und erzeugte elektrische Motoren und Glühlampen. Zur „elektrischen Ausstellung“ am 19. August 1884 kam Kaiser Franz Joseph zu Josef Werndl nach Steyr, und nach einer umfangreichen Besichtigung der Stadt gab es ein Galadiner auf Schloss Lamberg. Durch die Entwicklung des Repetiergewehrs mit Geradzugverschluss besserte sich wieder die Auftragslage der Waffenfabrik, und der Betrieb wurde neuerlich ausgebaut.

Waffenfabrikant und Wohltäter

Im Privatleben heiratete Josef Werndl Caroline Heindl, die Tochter eines Messerfabrikanten, mit der er fünf Kinder bekam. Nach der Verleihung des österreichischen Ordens der Eisernen Krone hätte er in den Ritterstand nobilitiert werden können. Er sagte aber: „Als Werndl bin ich geboren, als Werndl will ich sterben. Ich bin lieber der erste Bürgerliche als der letzte Adelige.“ Seine Töchter aber heirateten in die Aristokratie ein: die verwitwete Caroline Anna heiratete Max Freiherr von Imhof, Anna Maria ehelichte Josef Graf Lamberg. Sie ließen ihren Vater 1902, dreizehn Jahre nach seinem Tod,  in den Adelsstand versetzen. Schon Josef Werndls Mutter war durch ihre Großherzigkeit bekannt, unter anderem finanzierte sie 1861 das Waisenhaus St. Anna. Auch Enkelin Anna Gräfin Lamberg war wegen ihrer sozialen Gesinnung hoch angesehen, sie baute ein Altenheim und die Volksschule. Josef Werndl selbst war durch seine unumstrittenen wirtschaftlichen Leistungen und seine großzügigen Zuwendungen hoch geachtet. Er war Mitglied des Steyrer Gemeinderates, betätigte sich als liberaler Politiker im oberösterreichischen Landtag und gründete den ersten Arbeiterbildungsverein. In der Waffenfabrik richtete er für seine Arbeiter eine Ausspeisung ein, baute insgesamt 153 Arbeiterwohnhäuser, Arbeiterwohnsiedlungen, etablierte eine Arbeiter-Unterstützungskasse, einen Pensionsfonds, einen Altersunterstützungsfonds und eine Invaliden-Unterstützungskasse – und das noch lange vor den später erkämpften öffentlichen sozialen Einrichtungen. Seine rasche und unbürokratische Hilfe brachte ihm den Ehrentitel „Vater der Arbeiter“ ein. Die Josef Werndl zu verdankende Kronprinz-Rudolph-Bahn wurde 1873 fertiggestellt und führt von Niederösterreich über Steyr und Leoben bis Udine. Die Direktion brachte er nach Steyr, und dadurch bekamen 276 Familien ihren Lebensunterhalt. Josef Werndl verstarb unerwartet am 29. April 1889 im 59. Lebensjahr an einer Lungenentzündung. Die Zeitungen waren voll mit Anerkennung für den „bedeutendsten Bürger, der den Namen der alten Eisenstadt in alle Weltgegenden trug, eine reiche Quelle des Segens für dieselbe wurde, der mit edlem Herzen und vollen Händen für das Wohl seiner Vaterstadt sorgte, der einem Heer von Arbeitern ein sorgsamer Chef und Vater war und den Armen ein Wohltäter, der reich und bereitwillig half, wo immer Noth und Bedrängnis nach Hilfe riefen“. Die Einstellung zur Waffen- und Rüstungsindustrie hat sich zum Glück 130 Jahre später stark verändert, aber der Fairness halber sollte man anerkennen, dass eine Zeit aus sich selbst heraus und nicht nur aus später entstandenen Erkenntnissen zu beurteilen ist. 

Die Arbeiterbewegung

Steyr brachte weitere namhafte Persönlichkeiten wie den Stahlbildhauer, Dichter und Visionär Michael Blümelhuber hervor oder den leidenschaftlichen Messersammler Anton Petermandl mit 4047 Exponaten aus allen Epochen seit der Steinzeit und aus allen Teilen der Welt. Oder Josef Reithoffer, den Begründer der Gummiwaren- und Reifenfabrik. Der Steyrpionier und Messererzeuger Josef Hack, der 1923 die ersten rostfreien Klingen produzierte und 1948 den Wellenschliff erfand, übersiedelte 1928 mit 400 Arbeitern in den von Handwerkern besiedelten Wehrgraben. In Josef Werndls wechselhafter Nachfolge entstanden 1926 die Steyr-Werke, 1934 die Steyr-Daimler-Puch AG. In der nationalsozialistischen Zeit dominierte wieder die Rüstungsproduktion, nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges bestand großer Bedarf an Traktoren, Last- und Personenkraftwagen, das österreichische Bundesheer wurde mit Panzern ausgerüstet. 1979 erfolgte durch Bundeskanzler Bruno Kreisky der Spatenstich zum Bau der BMW-Werke. 1987 begann die Filetierung des Unternehmens, 2001 wurde die verbliebene Steyr-Daimler-Puch Fahrzeugtechnik AG mit der Magna Steyr AG verschmolzen und als Teilkonzern von Magna International positioniert. In der durch die Weltkriege, Zwischenkriegszeit mit Bürgerkrieg und nachfolgender Nazizeit durch unvorstellbares Elend besonders stark gebeutelten Stadt Steyr taten sich zahlreiche Männer und Frauen hervor, die in Streiks und Protesten den sozialdemokratischen Anliegen Nachdruck verliehen. Das allgemeine Wahlrecht, die He-rabsetzung der täglichen Arbeitszeit, Arbeitsschutz, Arbeiterkammern, Arbeitslosenversicherung, Lebensmittelversorgung etc. wurden gefordert und nach und nach auch erreicht. Anfang der 1980er Jahre war in den Industriebetrieben eine Zeitenwende angebrochen. Arbeiter und Arbeiterinnen begannen ihre eigene Geschichte zu sammeln, was 1987 in der Oberösterrei-chischen Landesausstellung „Arbeit – Mensch – Maschine“ Ausdruck fand. Hier in Steyr konnte man die große Welt und ihre Probleme verstehen lernen. Die Oberösterreichische Landesausstellung 2021 „Arbeit – Wohlstand – Macht“ zeigt diesen Teil der Geschichte sehr eindrücklich im Museum Arbeitswelt. Hier ist zu sehen, was ein Land, eine Stadt, ein Unternehmen und ein Mensch alles aushalten und mit Tatkraft überwinden kann.