„Dracula“ Vlad Țepeș zwischen Mythos und Wirklichkeit

Differenziertes Bild zwischen historischen Fakten und dem Märchen von Bram Stoker

Thomas M. Bohn/Rayk Einax/Stefan Rohdewald (Hg.): „Vlad der Pfähler – Dracula. Tyrann oder Volkstribun?“, Wiesbaden: Harrassowitz Verlag 2017, 320 S. (geb.), 7 Abb., 1 Karte, 4 Schaubilder, ISBN 978-3-447-10730-3

Der walachische Fürst Vlad (III.) Țepeș – besser bekannt als Vampirfigur „Dracula“ – geistert seit Jahrhunderten als typisches Beispiel östlicher Tyrannen durch die europäische Gesellschaft. Hollywood und die Filmwelt haben in Umsetzung des Vampirmärchens von Bram Stoker ihr Übriges getan, um diesem Herrscher ein unrühmliches Denkmal zu setzen. Rumänien ringt seit Langem mit dem Erbe dieses Fürsten der Walachei, der entschlossen wie wenig andere gegen die Türken kämpfte, sich aber bei Bedarf auch arrangierte. Er zog mit seiner Vorliebe für das Pfählen als Hinrichtungsart Aufmerksamkeit auf sich, war sonst aber ein eher unbedeutender Provinzfürst mit kurzen Regierungszeiten (1448, 1456-1462, 1476). Doch ist er weltweit heute bekannter als die weit wichtigeren Regenten Stefan der Große und Michael der Tapfere. Immerhin konnten Kirchen und Zivilgesellschaft in den 90er Jahren einen „Dracula-Vergnügungspark“ verhindern, der auf kitschige wie blutrünstige Art den westlichen Dracula-Kult kommerzialisieren sollte.

Ein von Thomas M. Bohn, Rayk Einax und Stefan Rohdewald herausgegebener Band aus dem Harrassowitz Verlag widmet sich nun der wissenschaftlichen Untersuchung des Phänomens Vlad Țepeș. Die 16 Beiträge analysieren akribisch das politische Handeln, die Frage der Grausamkeit in seiner Amtsausübung und auch die Thematik, wie diese „historische Reizfigur“ zwischen Genie und Wahnsinn solche internationale Bekanntheit erlangen konnte. Die Beiträge sortieren Vlad Țepeș in den historischen Kontext ein, greifen Standardwerke der rumänischen Historiografie auf und korrelieren deren Ergebnisse mit eigenen Analysen. Sie bieten damit ein in dieser Form bisher einmaliges Kompendium zu Vlad Țepeș. Es entsteht ein differenziertes Bild zwischen historischer Wirklichkeit und dem Stoker-Mythos.

Paul Srodecki stellt im einleitenden Beitrag das Motiv der Glaubensverteidigung in den Donaufürstentümern unter Vlad III. und Stefan dem Großen dar. Er schildert die Bemühungen der damaligen Fürsten, die Donaufürstentümer als Bollwerk und Schutzschild des christlichen Europas gegen den Islam zu profilieren. Die Abwehr einer osmanischen Invasion in der Walachei und Vlads waghalsiger Nachtangriff gegen ein osmanisches Heer bei Târgoviște – beides im Jahr 1462 – brachten dem walachischen Fürsten viel Anerkennung in Europa ein.

Schon früh wurden freilich solche Bemühungen konterkariert durch das katholische Europa selbst, das in orthodoxen Walachen und Moldauern oft nur Schismatiker sah, die schlimmer als die infideles seien. „Diese denunzierend-pejorative, Alteritäts- und Alienitätskonstruktionen bedienende Darstellung der Donaufürstentümer sollte sich – nicht zuletzt dank der besser organisierten polnischen, ungarischen und habsburgischen Propaganda – ab der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts gegenüber dem Vorpostenbild beider Länder im übrigen Europa durchsetzen.“ (S. 35)

Viele wichtige Fragen werden in dem Band geklärt. Hans-Christian Maner untersucht die besondere Beziehung von Stefan dem Großen und Vlad Țepeș und zeichnet diese ein in die exponierte Lage beider Fürstentümer an der Grenze zu Großreichen. Beide waren eng verwandt und fast gleich alt. Maner weist nach, dass die Beziehung beider trotzdem von Konflikten aufgrund unterschiedlicher Bündnisverpflichtungen geprägt war, auch wenn sich beide gegenseitig auf den Thron halfen.

Gabriele Annas zeigt an deutschen zeitgenössischen Darstellungen im Vergleich mit der humanistischen Geschichtsschreibung (Antonio Bonfini, Filippo Buonaccorsi und Jan Dlugosz) detailreich auf, wie sich das Bild des grausamen Fürsten Vlad Țepeș im Westen etablierte, freilich noch ohne den unsäglichen Vampir-Beigeschmack Stokers, der erst durch dessen Roman 1897 aufkam. Während Bonfini, Buonaccorsi und Dlugosz die inaudita crudelitas des Pfählers noch in Verbindung bringen mit klassischen Herrschertugenden wie Gerechtigkeit und Strenge, sprechen deutschsprachige Quellen vom „wilden Wueterich und grossen Thyrann“, von dem „graussemliche erschrockenliche hystorien“ kursierten. Dabei kommen auch deftige Foltermethoden zur Sprache, wie das Häuten von Fußsohlen mit anschließendem Einsalzen und Ablecken durch Ziegen.

Cora Dietl analysiert die massiv einseitige Darstellung von Vlad Țepeș bei Michel Beheim. Dieser Dichter transportierte ein einseitiges, aber wirkmächtiges Bild des walachischen Fürsten. Er gilt ihm als Inbegriff des Bösen: „Den aller grosten wutrich und tirannen den ich ye erkund auff aller diser erden (…) er was Trakel waida genant und Walachei, das selbig lant stund unter seinen pflichten.“ (S. 100) Anekdoten, Dichtung und Sensationslust mischen sich bei ihm zu einer Auftragsdichtung, die „dem politischen Willen des Mäzens entspricht“ und für den „hehren König“ Matthias Corvinus und gegen den „Galgenvogel“ Vlad Dracula Position bezieht.

Herausgeber Thomas A. Bohn wird in seinem späteren Beitrag festhalten: „Gesichert ist, dass der Hofdichter Michel Beheim zu Beginn der 1460er Jahre (…) zur Verankerung des westlichen Topos von Draculas Blutrünstigkeit beitrug.“ (S. 240) Ein Werk ähnlicher Machart stellt Christof Paulus mit einer im Kloster Tegernsee aufbewahrten Handschrift vor, die rund 30 Episoden aneinanderreiht und Vlad Țepeș in eine Reihe stellt mit den klassischen Christenverfolgern Herodes, Nero und Diokletian.

Fernab solcher zeitgenössischer Narrative entfaltet Albert Weber ein quellenorientiertes Bild von Vlad Țepeș im Kontext diplomatischer Verhandlungen und der Korrespondenz Vlads und seiner Zeitgenossen. Sein Beitrag zeigt auch auf, welche komplexen und wechselhaften Beziehungen Țepeș zu Ungarn und zum Osmanischen Reich entwickelte und dass er keineswegs durchgehend der Türkenbekämpfer war, den manche gerne in ihm sehen wollen, dass er sich vielmehr bis zur offenen Kollaboration auch den Machtverhältnissen anzupassen wusste.


Weitere Beiträge widmen sich der „bad fiction“, die sich zwischen Schreckensherrschaft und Vampirscheusal entwickelt hat. Dietmar Müller zeigt die nationalkommunistische Vereinnahmung des Vlad Țepeș als „Nationalmythos und Filmstar“ auf – natürlich ohne die Vampirbezüge, dafür als Held „in ethnonationaler und klassenkämpferischer Hinsicht“ (S. 258). Die Verwendung des Antemurale-Mythos sollte als „Appell an den Westen gelesen werden, Rumäniens Unabhängigkeitskurs innerhalb des Ostblocks diplomatisch, kulturell und wirtschaftlich zu stärken“ (S. 263).

Cornelia Soldat und Thomas M. Bohn vergleichen in ihren Beiträgen die kulturelle Imagologie zu Țepeș mit der von Ivan dem Schrecklichen im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation, auch anhand von Flugschriften. Beiden wird das Annageln von Kopfbedeckungen bei ausländischen Gästen, die dem Fürsten nicht die notwendige Ehre erwiesen, zugeschrieben. Bohn untersucht, „warum beide in der lateinischen Welt als Prototypen des ‚Wüterichs‘ oder ‚Tyrannen‘ herhalten mussten“ (S. 237). Er hält dazu fest: „Beide Herrscher markierten in der lateinischen Welt Fixpunkte für die Wahrnehmung des südöstlichen Eu-ropa nach der Eroberung durch die Osmanen und für die Wiederentdeckung des nordöstlichen Europa nach der Überwindung der Mongolenherrschaft.“ (S. 238)

Es bleibt Daniel Ursprung vorbehalten, viele Erkenntnisse des Bandes in einem exzellenten Aufsatz zusammenzufassen („Gewalt am Ende des Mittelalters. Der Mythos vom grausamen Osten“, S. 285-313). Er unterstreicht: „Der walachische Woiwode war (…) keine so außergewöhnliche Figur wie die recht intensive Tradierung seiner Taten in Handschriften und Drucken in den Jahrzehnten um 1500 auf den ersten Blick vielleicht suggerieren mag.“ (S. 310) Bram Stokers Roman verstelle zudem „die Sicht auf die historische Person Vlad Țepeș, die mit dem Vampir außer dem Namen praktisch nichts gemein hat. Das für einen vormodernen rumänischen Herrscher unvergleichlich hohe und durch die historische Bedeutung nur bedingt gerechtfertigte Interesse an Vlad, besonders außerhalb Rumäniens, ist ohne die fiktive Vampirgestalt nicht vorstellbar.“ (S. 311)
Spezifisch sei nicht die damals unter vielen „prominenten Gewalttätern“ übliche Gewaltanwendung gewesen, sondern die Vorliebe für das Pfählen. Vlad gelte als grausamer Tyrann. „Darin aber war er nicht allein und all dies hatte wenig mit dem Osten zu tun.“ (S. 313)