Dreigestirn der Wiener Klassik

Werke von Haydn, Mozart und Beethoven im Bukarester Athenäum

Am Donnerstag der vergangenen Woche waren im Bukarester Athenäum drei Werke der bedeutendsten Komponisten der Wiener Klassik zu vernehmen: die sechzigste Sinfonie von Jo-seph Haydn, das „Concertone“ genannte Doppelkonzert für zwei Soloviolinen und Orchester von Wolfgang Amadeus Mozart und Ludwig van Beethovens zweite Sinfonie. Die musikalische Leitung des Abends hatte Horia Andreescu inne, der seit Kurzem auch das Amt des Stellvertretenden Generaldirektors der Philharmonie „George Enescu“ bekleidet. Als Solisten des Abends betraten Gründungsmitglieder zweier der bedeutendsten Streichquartettensembles Rumäniens die Athenäumsbühne: Bujor Prelipcean, der Primgeiger des „Voces“-Quartetts, und Şerban Mereuţă, der zweite Geiger des Streichquartetts „Ad Libitum“. Die Instrumentalisten der Philharmonie „George Enescu“ bildeten den orchestralen Rahmen und die sinfonische Basis für das musikalische Geschehen dieses gelungenen Konzertabends. Eröffnet wurde das Sinfoniekonzert mit der sechzigsten von mehr als hundert Sinfonien des österreichischen Komponisten Joseph Haydn. Sie entstand im Jahre 1774, als Joseph Haydn bereits seit über einer Dekade als Kapellmeister an den fürstlichen Residenzen der Familie Esterházy wirkte. Das aus sechs Sätzen bestehende Werk in C-Dur trägt den Beinamen „Il Distratto“ (Der Zerstreute) nach dem Theaterstück „Le Distrait“ des französischen Komödiendichters der Generation nach Moličre Jean-François Regnard. Haydns Sechzigste ist keine Sinfonie im eigentlichen Sinne, sondern vielmehr eine Schauspielmusik mit einer Ouvertüre und fünf weiteren Sätzen, die dazu dienen sollten, das Regnardsche Theaterstück musikalisch zu untermalen.

Haydns Kompositionsprinzip bestand dabei weniger darin, den einzelnen äußerlichen Handlungssträngen der Regnardschen Liebeskomödie zu folgen, sondern vornehmlich darin, die vielfältigen Wandlungen dieses Verwirrungs- und Verwechslungsdramas ihrem inneren Charakter nach mit musikalischen Mitteln zum Ausdruck zu bringen. Dazu zählen etwa die vielfältigen abrupten Wechsel zwischen Forte und Piano, zwischen Dur und Moll, zwischen einzelnen Tonarten und zwischen gegensätzlichen musikalischen Motiven. Haydn hat bewusst auch Irritationen und Konfusionen in seine sechzigste Sinfonie hineinkomponiert, die jeden Zuhörer, der das Werk nicht kennt, in einen Zustand der Verblüffung und Perplexität versetzen und ihn bis zum besseren Wissen ratlos zurücklassen. So gibt es etwa im Schlusssatz der Sinfonie einen Moment, wo die ersten Violinen einen falschen Akkord spielen, weil sich, wie man als Zuhörer sofort vermutet, eine der G-Saiten verstimmt hat. Horia Andreescu, der diesen von Haydn komponierten Überraschungsmoment sichtlich auskostete, unterbrach daraufhin das musikalische Geschehen, wandte sich danach mit einer fragenden Geste an das Publikum, ließ dann die Gruppe der ersten Violinen ostentativ nachstimmen, während er selbst vom Dirigentenpodest herabstieg, und setzte erst, nachdem der perfekte Einklang durch ausgiebiges Stimmen wiederhergestellt war, den Schlusssatz bis zu seinem baldigen fulminanten Ende fort.

Das Haydnsche Werk wurde von der Philharmonie „George Enescu“ unter Leitung von Horia Andreescu höchst sensibel interpretiert, vor allem die zahlreichen Wechsel in der Dynamik und die abrupten Wechsel von filigraner Feinarbeit und breitem Orchesterklang überzeugten vollauf. Eines trübte aber doch den vollkommenen Hörgenuss: die Besetzung! Haydns schmales Orchester mit maximal zwei Instrumentalisten pro Stimme wurde im Bukarester Athenäum viel zu voluminös besetzt: 4 Kontrabässe, 6 Celli, allein das Streichorchester umfasste über 30 Instrumentalisten. Das Resultat: Der Orchesterklang wirkte viel zu massiv, zu dick aufgetragen, zu breit und damit letztlich in seiner Differenzierungsfähigkeit zu sehr eingeschränkt. Der subtile und verspielte Humor des Haydnschen Werkes ging dabei zuweilen im Dröhnen des Orchesters unter, auch wenn die Instrumentalisten jeweils strenge Zurückhaltung übten.
Im selben Jahr wie Haydns Sechzigste, 1774, entstand auch Wolfgang Amadeus Mozarts „Concertone“ für zwei Soloviolinen und Orchester in C-Dur (KV 190/186e). Das Werk als solches ist gewiss nicht so brillant und mitreißend wie die ein Jahrfünft später entstandene „Sinfonia Concertante“ für Violine, Viola und Orchester in Es-Dur (KV 364/320d), aber dennoch solide und zugleich elegant, so anmutig und so unterhaltsam wie die mit ihm eher verwandten Gattungen des Divertimento oder der Serenade, die sich des Ernstes und der Entschlossenheit der Gattung Concerto bewusst entschlagen. Besonderen Genuss brachten die Kadenzen, bei denen die beiden Soloviolinen von einer Oboe und einem Violoncello aus dem Orchester kongenial begleitet wurden. Und ohnehin war es ein Genuss, den beiden renommierten Quartettgeigern Bujor Prelipcean und [erban Mereu]˛ als Solisten des Mozartschen „Concertone“ zu lauschen, sich an den feinen Verzierungen ihres Spiels zu erfreuen und sich an ihrem perfekten Zusammenspiel zu laben.

Nach der Pause stand nur noch ein einziges Werk der Wiener Klassik auf dem Programm des Konzertabends: Ludwig van Beethovens zweite Sinfonie in D-Dur (op. 36). Hier war der voluminöse Orchesterapparat vollauf gerechtfertigt, zumal Beethoven in diesem Werk beträchtlich über seine Vorbilder Haydn und Mozart hinausgeht, man denke etwa an die grollenden Akkorde, die breite Klangfülle und die wilde Dynamik insbesondere in den beiden letzten Allegro-Sätzen der Sinfonie. Außerdem überspielt Beethoven im Finalsatz die von Haydn und Mozart gesetzten Grenzen in der musikalischen Gestaltung der verwendeten Rondoform so kunstvoll und eigenwillig, dass der historische Abstand zwischen dem genialen Schüler und seinen beiden musikalischen Lehrmeistern unmittelbar fühlbar wird. Angesichts einer derart entfesselten musikalischen Urkraft verwundert es nicht, dass die zeitgenössischen Zuhörer Beethovens Zweite „für allzu bizarr, wild und grell“ ansahen, wie sich eine Berliner Musikkritik aus dem Jahre 1805, zwei Jahre nach der Wiener Uraufführung, pikiert vernehmen lässt. So bot der gelungene Konzertabend im Bukarester Athenäum die schöne Gelegenheit, die musikalische Entwicklung der Epoche der Wiener Klassik in drei prägnanten Einzelwerken exemplarisch zu verfolgen und sich dabei zugleich an den wunderbaren Klängen des Sinfonieorchesters der Philharmonie „George Enescu“ unter der Leitung von Horia Andreescu vollkommen zu ergötzen.