Ein Besuch des Holocaust-Mahnmals in Bukarest

Jenseits der Gedenktage – die Anlage von Peter Jacobi

Modulare Erinnerungssäule, im Hintergrund die Schienen- und Wagenspuren und die Gedenkhalle

Das liegende Rad zur Erinnerung an die Roma-Opfer

Innenansicht der Gedenkhalle
Fotos: Michael Marks

Vor Kurzem berichtete unsere Zeitung über die Ordensverleihung an den siebenbürgischen Bildhauer Peter Jacobi (ADZ - Freitag, 21. Oktober 2016) durch Staatspräsident Klaus Johannis. In ihrer Begründung wiesen die Laudatoren insbesondere auf das von ihm konzipierte und ausgeführte Holocaust-Mahnmal in Bukarest hin, das, am 8. Oktober 2009 eingeweiht, von Peter Jacobi selbst als seine „wichtigste bildhauerische Arbeit“ bezeichnet wurde. Grund genug, diesen wichtigen Beitrag zur rumänischen Erinnerungskultur auch jenseits von Gedenktagen und offiziellen Anlässen zu besuchen und damit auch vorzustellen. Die Errichtung eines solchen Mahnmals war in Rumänien jahrelang umstritten, ging dies doch mit der gleichzeitigen Anerkennung einer rumänischen Schuld an der Deportation und Ermordung von 280.000 rumänischen und ukrainischen Juden und rund 25.000 Roma, von denen 11.000 in den Lagern von Transnistrien starben, einher. Die Verantwortung für diese Taten von 1940-44 fällt auf den noch heute vielfach verehrten Ion Antonescu, der in dieser Zeit die Alleinherrschaft in Rumänien innehatte. Ebenso wird hier der 135.000 siebenbürgischen Juden gedacht, die durch die ungarische Armee nach Ausch-witz deportiert wurden.

Weit nach dem Fall des kommunistischen Regimes und erst nachdem unter Ion Iliescu 2003 die internationale Eli-Wiesel-Kommission eingesetzt worden war, die die Verstrickung des rumänischen Staates in den Holocaust in Rumänien untersuchte, konnte 2004 ein Abschlussbericht vorgelegt und am 9. Oktober erstmals ein offizieller Gedenktag für die Holocaust-Opfer veranstaltet werden. Dieses Kalenderdatum gilt als der Tag, an dem 1941 die Deportationen begannen. Die Grundsteinlegung des Denkmals erfolgte 2006 und drei Jahre später, allerdings am 8. Oktober 2009, wurde das Denkmal feierlich von Traian B˛sescu eröffnet, obwohl es zu diesem Zeitpunkt noch nicht ganz fertiggestellt war. Bürokratische Hindernisse, Widerstand in der Bevölkerung – es ging um den Verlust von Grünflächen und Bäumen, die aber dann anderenorts kompensatorisch gepflanzt wurden – hatten zu Verzögerungen geführt. Heute stellt sich das Mahnmal als beeindruckendes städtisches Bau- und Denkmal-Ensemble dar. Am unteren Ende der Lipscani-straße, gegenüber dem ehemaligen Innenministerium, dem Ort, wo Antonescu die Deportationen verfügte, liegt das Holocaust-Mahnmal, für Besucher leicht zugänglich an einem Schnittpunkt unterschiedlichster architektonischer Traditionen. Mit den verblichenen oder frisch renovierten Gebäuden in Brâncoveanu-Stil, heruntergekommenen kommunistischen oder ebenso hässlichen postkommunistischen Zweckbauten, meist mit Graffiti übersät, und den „Prachtbauten“ der Ceau{escu-Ära am gegenüberliegenden Ufer der Dâmbovi]a stoßen hier Gegensätze aufeinander, wie man sie allerorten in der rumänischen Hauptstadt antrifft. Dazu bilden die Plattform und die Gedenkhalle mit ihren ruhigen klaren Formen einen Gegenpol.

Die Anlage zerfällt in zwei Bereiche, die auch getrennt begangen werden müssen. Die überirdische weitläufige Plattform mit den sehr unterschiedlichen Objekten wird von einem schmalen Rasenstück umgeben. Gefasst und abgegrenzt werden diese Flächen durch rostfarbene Einfassungen. Ebenso setzt sich das eingetiefte Gebäude mit seinem umgebenden Graben durch eine rostfarbene, metallummantelte Wand von der umgebenden Plattform ab. Rost wird als veränderliches künstlerisches Element, das Vergänglichkeit eben durch seine allmähliche zeitliche Transformation andeutet, gerne als gestalterisches Element eingesetzt und spielt in diesem Sinne für Jacobi eine besondere Rolle. Die Säule, der gebrochene Davidstern und das Rad als Symbol der sich ewig auf der Wanderschaft befindlichen Roma sind in einem rostfarbenen Grauguss erstellt.
Seit vielen Jahren ist Peter Jacobi die Beschäftigung mit der Gestaltung von zeitgenössischen Denkmälern für die Katastrophen des 20. Jahrhunderts ein Anliegen. Nicht zuletzt aufgrund seiner eigenen Biografie – am Ende des Zweiten Weltkrieges war er 10 Jahre alt, er erlebte die Umwälzungen der Nachkriegsära in Rumänien und verließ das Land schließlich 1970. Als Angehöriger einer Minderheit entwickelte er eine besondere Sensibilität für diese Denkmäler. Zudem wurzelt er durch sein Studium in Bukarest und seine erfolgreiche Tätigkeit als Bildhauer bereits vor seiner Auswanderung nach Deutschland fest in der modernen rumänischen Bildhauertradition beispielsweise eines Brâncu{i, den er bekennenderweise verehrt und von dem er Einflüsse aufgenommen und weiterentwickelt hat.

Nähert man sich dem Denkmal am Tage, wird man seinen Rundgang vielleicht mit der hochaufragenden modularen Erinnerungssäule beginnen. Erinnerungssäule deshalb, weil auf jeder Seite ein hebräischer Buchstabe steht, der zusammen das Wort „erinnere“ ergibt. Modular, weil die Säule aus uneinheitlichen Modulen zusammengefügt, eine durch Licht und Schatten modulierte Oberflächendynamik erhält. Ein Gedanke, der den der Brâncu{i-Säule variiert und neu interpretiert. Bei Nacht ist davon allerdings nichts zu spüren, da die Beleuchtung bis auf einen müden Strahler ausgefallen ist.
Hier, wie an allen fünf Stationen, informiert eine Tafel über Bedeutung und Anlass der Installation. So folgt auf die Säule eine in rosenfarbenem Granit eingetiefte Wagenspur, die an die Schienen gemahnt, auf denen die Waggons mit den Deportierten gen Transnistrien oder Ausch-witz ratterten. Eine „Via Dolorosa“, ein Leidensweg, führt nahezu folgerichtig zu einem liegenden Rad. Das Rad, ohne Anfang und ohne Ende, erinnert an die ewige Reise der Romabevölkerung, seit sie den indischen Subkontinent verlassen hat. Als Feuer- oder Sonnenrad gilt dies als Emblem der Roma, dem eine mythologische Bedeutung zukommt. Weiter geht es zu einem Behälter mit rohen ungefügen Bruchsteinen. Die Bezeichnung „Epitaph“ gibt einen Anhaltspunkt. Es gemahnt an die Massengräber, in die viele Juden und Roma namenlos versenkt wurden.

Der Rundgang schließt mit einem auf einen Rost montierten Davidstern, gebildet aus zwei ineinander verschränkten Dreiecken, deren Schatten sich am 9. Oktober, dem Gedenktag, zu einem Stern zusammenfügen. Die gebrochene Form erinnert so an den Missbrauch, den die Nazis mit diesem Symbol trieben. Der Gedenkhalle kann sich der Besucher über eine monumentale Treppe von vorne nähern. Aber Vorsicht, die Stufen sind unregelmäßig – sicher gelangt man über die serpentinenartige Rampe an den Eingang. Der schwierige Abstieg zwingt zur Vorsicht und einer respektvollen Haltung gegenüber den Toten. Rechts und links des Eingangs, in die rostbraune Wand gefügt, befinden sich Schaufenster, in denen jüdische Grabstelen sich in dunklen, glasartigen Platten spiegeln. Rechts stammen die Stelen aus dem unter Antonescu zerstörten Friedhof von der Sevastopolstraße in Bukarest, links aus Odessa. Leider verhindert dichtes Kondenswasser eine klare Sicht auf die Installation. Nachts sorgt hier die taghelle Beleuchtung für bessere Konditionen. Der eingetiefte Hallenbau in Sichtbeton gemahnt an Zweckbauten, Bunker beispielsweise, gefächert durch mehrere seitliche Wandstützen, an denen entlang man sich wie in einem Graben bewegt. Bei Nacht nutzt leider der eine oder andere Besucher im Schutz der Dunkelheit diesen Umgang – trotz der Tag und Nacht anwesenden Wärter – als Urinal.

Innen sind im Kontrast zu den rauen Außenwänden die Flächen der Halle mit spiegelglattem grauem Granit verkleidet. An wolkenverhangenen Tagen erscheint der Raum von großer Leere erfüllt, einzig ein rostfarbener Wandfries verläuft in Augenhöhe rings um die Halle. Hier sind nur die Vornamen, rechts und links als Stellvertreter für die jüdischen Opfer, an der Stirnseite für die der Roma eingraviert. Kommt die Sonne hervor, fällt durch die Deckenfenster streifenförmig das Licht, wird durch die glatten Wände gespiegelt und bildet ein Gitternetz quer über dem ganzen Raum. Licht und Schatten in Verhältnis zu Zeit und Raum, das ist Jacobis Thema. Zeit sichtbar und spürbar zu machen durch den sich wandelnden Schatten im Sonnenverlauf und damit auch die Vergänglichkeit bewusst zu machen. Räumliche Vorstellungen durch Spiegelungen illusionistisch aufzulösen und zu verändern und damit ein Gefühl einer anderen Dimension an diesem Ort des Totengedenkens spürbar werden zu lassen, entspricht einer weiteren künstlerischen Intention dieser Halle. Zumindest war dies in den meisten Vorankündigungen als wesentlich beschrieben worden, dass sowohl Wände als auch der Boden ihre spiegelnde Rolle hätten. Für die Wände trifft dies auch zu und so lange die Sonne scheint und die Fenster lichtdurchlässig bleiben, stellen sich auch die Licht- und Schattenmuster ein, wenn auch nicht auf dem Boden, da etliche Platten stumpf geworden sind. Nachts bleibt die Halle allerdings ein dunkler Ort, denn falls hier eine innere Beleuchtung vorgesehen war, ist sie kaum mehr erkennbar. Das ist schade, denn gerade an Wochenenden gibt es durchaus zufällige Besucher, meist junge Leute, die so ratlos buchstäblich im Dunkeln gelassen werden.