Ein Film, der unter die Haut geht

Goldener Bär für „Die Stellung des Kindes“

Bogdan Dumitrache, Luminiţa Gheorghiu und Regisseur Călin Peter Netzer bei der Berlinale 2013 Foto: Ana Sălişte

Der Film „Die Stellung des Kindes“ vom rumänischen Regisseur Călin Peter Netzer hat den Hauptpreis bei der diesjährigen Berlinale gewonnen. Damit erhält ein rumänischer Spielfilm zum ersten Mal den Goldenen Bären. Es ist ein Drama über Zuneigung und erstickende Mutterliebe, die sich in der rumänischen Oberschicht abspielt. Damit widmet sich der 37-jährige Regisseur Netzer keinem bestimmten spezifisch rumänischen Problem: in seinem Film geht es um jene Mutterstruktur, die Opfer ihrer eigenen Liebe wird und keinen Ausweg mehr findet. Inzwischen driftet eine schon längst zerrissene Familie noch weiter auseinander.

Die Chancen standen schon am Vorabend fest: Als der rumänische Film „Die Stellung des Kindes“ („Child’s Pose“/ „Poziţia copilului“) von Călin Peter Netzer am Freitagabend mit dem Internationalen Kritikerpreis der 63. Internationalen Filmfestspiele in Berlin ausgezeichnet wurde, stieg die Hoffnung auf einen Goldenen Bären noch mehr. Selbst Regisseur Netzer wagte es, sich optimistisch zu äußern und meinte, er „erwarte einen Preis“. Einen Tag später fiel auch die Entscheidung der internationalen Jury unter Vorsitz des chinesischen Regisseurs Wong Kar Wai: Der diesjährige Goldene Bär geht nach Rumänien für das Drama „Child’s Pose“ – die englische Titelversion. Der 37-jährige Regisseur Călin Peter Netzer nahm den Preis am Samstagabend im Rahmen der Abschlussgala entgegen.

Das psychologische Drama hat am 11. Februar in Berlin Weltpremiere gefeiert und erzählt in einer dichten und intensiven Art und Weise eine berührende Mutter-Sohn-Geschichte. Es geht dabei um einen Film, der wegen der sich ständig bewegenden Handkamera manchmal schwer zu verfolgen ist, gleichzeitig aber auch sehr schnell unter die Haut geht.

Die Kamera scheint einzig und allein das Ziel zu haben, der besitzergreifenden Mutter Cornelia – hervorragend gespielt von Luminiţa Gheorghiu – im Kampf um ihren Sohn nicht von der Seite zu weichen. Und damit bekommt der Zuschauer auch alles mit: Angst, Entsetzen, Liebe, Eifersucht, Zuneigung, Obsession. Luminiţa Gheorghiu schlüpft mit einer charmanten Grandezza in die Rolle einer pathologisch liebenden Mutter, die alles tun will, um ihren erwachsenen Sohn (Bogdan Dumitrache) vor der Strafe für einen Autounfall, den er schuldig verursacht hat, zu retten. Sie ist bereit, alles zu tun, um den Sohn vor der Haftstrafe zu bewahren – und unter „alles“ ist auch zu verstehen, Polizeibeamte und Augenzeugen zu bestechen.

Tatsächlich wird mit dem Goldenen Bären für „Die Stellung des Kindes“ eine Realität prämiert – jedoch nicht die der korrupten Justiz, wie es so oft unterstellt wird, sondern eine universelle Wirklichkeit, mit der man sich überall auseinandersetzen muss: Die fast erstickende Liebe einer Mutter für ihr Kind.

„Child’s Pose“ widmet sich damit wirklich keinem spezifisch „rumänischen“ Problem, wie leichtfertig in deutschen Medienberichten suggeriert, sondern einer „Mutterstruktur, die das Opfer ihrer eigenen bedingungslosen Liebe ist“, wie die Hauptdarstellerin Luminiţa Gheorghiu zusammenfasst. Es geht dabei um eine übertriebene Mutterliebe und eine Frau, die längst keine Frau mehr ist, sondern eine Mutter, die nur noch für ihr Kind lebt und dieses Kind nie mehr loslassen kann – „die Hand würde ich mir abhacken für ihn“, sagt sie und der Zuschauer glaubt ihr das sofort: sie würde es jederzeit tun, ohne Zweifel.

Doch je mehr Cornelia in das Leben ihres Sohnes eintaucht, desto größer wird sein Erstickungsgefühl und sein Hass ihr gegenüber.  Barbu ist erwachsen und lebt mit Carmen (Ilinca Goia) zusammen, die schon ein Kind aus einer früheren Beziehung hat – eine Tatsache, mit der sich Mutter Cornelia überhaupt nicht abfinden kann. „Ich habe mir etwas anderes für meinen Sohn gewünscht“, sagt sie Carmen kühl. Doch statt Verantwortung zu übernehmen, scheint Barbu  nie richtig imstande zu sein, eine Meinung zu äußern und eine Entscheidung zu treffen, hat aber eine Phobie gegen Bakterien entwickelt und schluckt dafür Pillen. Für den Film hat sich der in Petroşani geborene und in Deutschland aufwachsende Călin Peter Netzer von der eigenen Beziehung mit seiner Mutter inspirieren lassen – es fließen da persönliche Erfahrungen ein, die sich im Film aber bis zum Äußersten zuspitzen.

Die Handlung spielt sich in der rumänischen Oberschicht ab, der Film widergibt aber nur am Rande die Zustände der rumänischen Gesellschaft, beziehungsweise die korrupte Justiz. Er ist viel mehr als eine geschickt konstruierte Schaubühne mit Lokalkolorit gedacht –  ein Hilfsmittel, das dazu dienen soll, die Gestalt der Mutter und deren Entwicklung besser zu widerspiegeln. Die Gesellschaft rückt jedoch niemals in den Vordergrund, was Regisseur Netzer selbst zugibt:  „Für mich stand dies nicht so sehr im Vordergrund, es war aber notwendig, um die Beziehung zwischen Mutter und Sohn vor einem bestimmten Hintergrund zu zeigen. Was ich aber herausarbeiten wollte ist diese krankhafte Beziehung.

Sie ist nicht spezifisch für ein Land oder für einen Ort“, so Călin Peter Netzer. „Eine solche Mutter-Sohn-Beziehung rechtfertigt sich vielmehr in der Oberschicht. Daher unsere Wahl. Sie musste authentisch wirken und in einer solchen Sphäre ist ein solches psychologisches Drama auch glaubwürdiger“, fügt Netzer hinzu. Der Titel des Films stammt von einer Yogaszene aus dem Film, die aber letztendlich aus dem Film herausgeschnitten wurde. Der Name ist aber geblieben.

„Der Titel hat auch mehrere Symbole und passt weiterhin zum Film, denn es geht dabei um die Rolle des Kindes als Opfer, um dessen Stellung in der Mutter-Kind-Beziehung usw.“, sagte Călin Peter Netzer. Dabei wird diese Stellung des Kindes eben in der Schlussszene am deutlichsten: „Lass mich raus“ ist Barbus letzter Satz, den er an seine Mutter richtet. Er meint damit, dass ihm die Mutter die Zentralverriegelung ihres Autos deaktivieren soll, so dass er gehen kann. Doch er meint auch, dass sie ihn endlich los lassen soll. Ein lang durchkautes „Lass-Mich-Los“ war es – das vielleicht aber auch ein bisschen zu spät gekommen ist.