Ein japanischer Hund im rumänischen Dorf

Kinopremiere von Tudor Cristian Jurgius erstem Spielfilm

Victor Rebengiuc und Şerban Pavlu in Tudor Cristian Jurgius Film „Der japanische Hund“

Der nicht einmal 30 Jahre alte Tudor Cristian Jurgiu, der bisher nur mit Kurzfilmen an die Öffentlichkeit getreten war, hat nun seinen ersten Spielfilm dem cineastisch interessierten Publikum vorgestellt, der am vergangenen Freitag seine rumänische Kinopremiere hatte. „Câinele japonez“, der japanische Hund, lautet der Titel des Streifens, der sich thematisch durchaus in das herkömmliche Bild der derzeitigen rumänischen Kinolandschaft einfügt.

Das Thema der Dorfwelt klingt an, Landflucht und Armut der Dorfbevölkerung werden sichtbar, Schicksalsschläge wie die Donauüberschwemmungen im Süden des Landes, hier in der Gegend um Giurgiu, runden das Bild des rumänischen Landlebens ab, bei dem die einen, die Alten und Mittellosen, verlieren und die anderen, die Profiteure und Amtsträger, gewinnen.

Ein weiteres Thema des anderthalbstündigen Spielfilms ist die Arbeitsmigration. Der Protagonist Costache, exzellent verkörpert von Victor Rebengiuc, hat einen Sohn, ebenso gelungen gespielt von Şerban Pavlu, der seit sechs Jahren in Japan lebt und dort als Ingenieur arbeitet. Seit dessen überstürzter Abreise aus Rumänien ist die Kommunikation zwischen Vater und Sohn nahezu völlig abgebrochen. Ticu, der Sohn, weiß nicht einmal, dass inzwischen seine Mutter gestorben ist, und Costache erfährt erst aus dem letzten Brief Ticus an ihn, dass jener eine Japanerin geheiratet und einen Sohn mit ihr hat.

Weitere Akteure dieses Kammerspiels, wenn man diesen Begriff auch einmal auf eine Bauernstube anwenden kann, sind die ehemalige Geliebte Ticus, die Postbotin Gabi (Ioana Abur), die dem ins fernöstliche Ausland verschwundenen Freund inzwischen verziehen hat und ihn nach wie vor bewundert; ferner Costaches Nachbarin Leanca (Alexandrina Halic), die den rüstigen Witwer nicht ganz ohne Hintergedanken umsorgt; außerdem der Bürgermeister des Dorfes (Lauren]iu Laz²r), der Costache zum Verkauf seines Grundstücks zu einem Schleuderpreis bewegen möchte; und natürlich die japanische Ehefrau Hiroku (Kana Hashimoto) und ihr rumänisch-japanischer Sohn Paul Koji (Toma Hashimoto), die beide das Japanische wie das Rumänische gleichermaßen beherrschen und mit erstaunlicher Selbstverständlichkeit die einfachen Lebensverhältnisse im Haus des Schwieger- und Großvaters während ihrer dortigen Urlaubstage akzeptieren.

Tudor Cristian Jurgius Film lässt sich Zeit, viel Zeit. Langsam und gemächlich folgt die Kamera den bedächtig-schwerfälligen Wegen Costaches durch das Dorf, von dem durch Überschwemmungen zerstörten Haus der Familie über die Notunterkunft im Schulgebäude bis zur neuen Bleibe, einem Bauernhaus ohne Strom, in das es zudem ständig hineinregnet. Der Zuschauer begleitet Costache beim Wasserholen (mit Handkarren und Plastikkanistern), beim Stöbern im verschlammten Hausrat, bei den Reparaturen in Haus und Garten.

Geredet wird in diesem Film zunächst überhaupt nicht und danach auch eher selten. Die Kommunikationsprobleme zwischen dem Vater und seinem Sohn, der ebenfalls die Tendenz hat, ins Schweigen zu verfallen, haben in dieser familiengeschichtlichen Situation ihren Ursprung. Erst der Enkel, der junge Paul Koji, bringt den Großvater zum Sprechen und löst die Verkrampfungen des Alten, der entweder gar nichts sagt oder offene Fragen, die ausführliche Antworten nötig machten, durch cholerische Anfälle vom Tisch wischt.

Langsamkeit und Schweigen sind nicht gerade Merkmale von Erfolgsfilmen, von Ausnahmen, die die Regel bestätigen, einmal abgesehen. Doch Tudor Cristian Jurgiu ersetzt in „Der japanische Hund“, was der Zuschauer an Action und Talk vermissen mag, durch den Ton und die Kraft seiner Bilder. Die für die Akustik verantwortlichen Vlad Voinescu und Filip Mure{an haben einen Soundtrack geschaffen, der durch Klarheit, Deutlichkeit und Prononciertheit besticht und Naturlaute (Wind, Regen, Vögel etc.) und Alltagsgeräusche (Essen, Trinken, Hämmern etc.) gleichsam unters Mikroskop legt. Ja, manchmal nimmt der Gesang der Natur sogar überhand und die Unterhaltung der Menschen ertrinkt im Summen der Bienen, im Gezwitscher der Vögel und im Wehen des Windes.

Fast noch stärker wirkt die Ästhetik der Bilder, die von Tudor Cristian Jurgiu bewusst filmisch erzeugt und in Szene gesetzt wird. Gegenstände des ländlichen Alltags werden, wie in einem Dorfmuseum, zu Kunstwerken, ein Weizenfeld unter einem Gewitterhimmel wandelt sich gleichsam zu einem Gemälde à la Edward Hopper, und das Abblätternde und sich Auflösende der Farben verwandelt sich in der hier zelebrierten Ästhetik des Verfalls zu einem Geheimnis, das man zu ergründen sucht wie Ticu im von den Fluten zerstörten Elternhaus seine verschwundene Kindheit. Der Garten des Bauernhauses wird im Kameraauge des Films zu einem Paradies, das mit seiner überbordenden Vegetation gleichermaßen japanisch, tropisch und überirdisch wirkt.

Der japanische Hund, das Titelsymbol des Films, ist dabei nicht, wie man vielleicht erwarten könnte, ein lebender Akita, sondern ein mechanischer Roboterhund, der sich mit elektronischer Stimme als neues Familienmitglied vorstellt, außerdem bellen, amerikanische Lieder singen und sogar einige Schritte gehen kann. Dieses Tamagotchi-Haustier wird zum Symbol der auseinandergebrochenen und nun wieder vereinigten Familie, denn Paul Koji überreicht sein Lieblingsspielzeug dem gerührten Großvater als Abschiedsgeschenk.

Danach ist es nur noch eine Frage der Zeit, bis Costache seinen Koffer packt und zur ‚Heim’-Reise nach Japan aufbricht, begleitet von Klängen aus Mozarts Variationen zu „Ah! vous dirai-je, Maman“, einer Melodie, die dem Lied „Morgen kommt der Weihnachtsmann“ oder auch dem Song „Twinkle, twinkle, little star“ (den auch der japanische Hund im Repertoire hat) zugrunde liegt. Dem geschlossenen Anfang des Films steht damit ein offenes Ende entgegen, dem verstockten Schweigen zu Beginn ein gelöstes am Schluss! In welche Richtung Costaches Lebensweg fortan geht, davon wissen die Bilder und Klänge des Films selbst am besten zu sagen.