Ein kühner Romantiker, ein melancholischer Neorealist, ein Reisemaler und eine lächelnde alte Dame

Jubiläumsausgabe des Kunstfestivals Art Safari im Zeichen der Landschaftsmalerei

„Golf in Villefranche-sur-Mer“ (1924), Öl auf Leinwand von Ștefan Popescu | Fotos: die Verfasserin

„Bootsbau nahe Flatford Mill“, Öl auf Leinwand von John Constable

„Herbst“, Öl auf Leinwand von Mihai Mureșan

Anlässlich der Jubiläumsausgabe von Art Safari haben die Veranstalter des größten alljährlichen Kunstfestivals in Rumänien, nach einer gut besuchten neunten Auflage, die heuer von Mai bis August geöffnet war, erstmals auch eine zweite Ausgabe im selben Jahr organisiert. Das temporäre Kunstmuseum Art Safari, welches für das zweite Jahr in Folge im Dacia-România-Palast in der Bukarester Altstadt (Str. Lipscani Nr. 18-20) gastiert, hat Kunstliebhabern Ende September seine Tore zum zehnten Mal geöffnet und bietet als Neuigkeit eine Sonderausstellung mit 81 Werken aus dem vielfältigen Bestand des britischen Victoria & Albert Museums von London, die zum ersten Mal in Osteuropa gezeigt werden.

Ein kühner romantischer Landschaftsmaler

Der britische Landschaftsmaler und Vertreter der Romantik in der bildenden Kunst, John Constable (1776 – 1837), war schon immer „Auf der Suche nach der Wahrheit“, wie die ihm gewidmete Ausstellung im Rahmen von Art Safari betitelt ist. Er wurde in East Bergholt, Suffolk, als Sohn eines adligen Händlers und Mühlenbesitzers geboren. Mit 19 Jahren wuchs Constables Interesse für Landschaftsskizzen, worauf ihn der lokale Amateur-Künstler John Dunthorne auf die Bitte seiner Mutter in die Malerei einführte und mit der Unterstützung anderer Künstler wurde er 1799 von der Royal Academy of Art Schools in London aufgenommen.

John Constable unternahm Reisen zu den heute als Naturparks geltenden Lake District im Nord-Westen Englands an der Grenze zu Schottland und Peak District, Derbyshire, in der Mitte Englands, deren ungebändigte Landschaften er in Öl- und Wasserfarben malte, und kehrte immer wieder zu seinem geliebten Geburtsort, den er mehrmals auf Leinwand verewigte, zurück.

Infolge seines Sommeraufenthalts mit seiner Frau und Kindern in Salisbury sind über einhundert Skizzen und Aquarelle von dem Himmel für sein Himmel- und Wolkenstudium entstanden. Es ist kein Wunder, dass ihm die Zeitgenossen für seine atemberaubenden Himmelsdarstellungen den Spitznamen „Pate der Wolken“ gaben.

Als er 1819 für das 17. Jahr in Folge bei der Royal Academy of Arts in London ausstellte, wurde das erste seiner Serie fast zwei Meter großer Bilder „Weißes Pferd“ gut von der Kritik empfangen und gleich verkauft. Das Gemälde von beeindruckender Größe – was Anfang des 19. Jahrhunderts eher selten vorkam – fungierte als Aussage beziehungsweise Visitenkarte für den Künstler, bewies der Londoner Gesellschaft seine Begabung und künstlerische Geschicktheit und gewann ihm die lang ersehnte Mitgliedschaft in der Royal Academy of Arts.

Zwei andere seiner knapp zwei Meter großen Bilder „Bootsbau nahe Flatford Mill“ und „Das springende Pferd“ sind auch bei Art Safari zu sehen. Ersteres spiegelt seine Vertrautheit mit dem Gebiet wider, in dem er aufgewachsen ist, und die aufmerksame Beobachtung des Bootsbaus sowie sein Hauptinteresse für malerische ländliche Landschaften und Alltagsszenen. Zweiteres zählt aufgrund der un-ebenen Pinselstriche nicht zu seinen vollendeten Werken, sondern es stellt – wie es für ihn üblich war – eine aufwendige Vorarbeit, eine „Ölskizze“ in Vollgröße für das gleichnamige Werk dar.

Bei Art Safari sind viele andere seiner Zeichnungen, Aquarelle und Gemälde mit Landschaften, Brücken über ruhige Flüsse, Heuwagen, grasenden Kühen, bewölktem Himmel, malerischen ländlichen Alltagsszenen und Kirchenruinen ausgestellt, aber eines beeindruckt den Bobachter besonders durch die tief empfundene Melancholie, die es hervorruft. Das „Stonehenge“ nach dem dargestellten berühmten neolithischen Bauwerk in England betitelte Werk hat Constable kurz nach dem Tod seiner Frau gemalt und damit endet die Führung durch die von Dr. Emily Knight und Katharine Martin kuratierte Ausstellung.

Nicht nur die meterhohen „Ölskizzen“, anhand derer John Constable seine Kompositionen perfektionierte, sondern auch seine späteren Arbeiten, in denen er mit starken, dynamischen und freien Kompositionen, mutigen Oberflächeneffekten, kräftigen Pinselstrichen, ausdrucksvollen Farben und dramatischen Hell-Dunkel-Kontrasten experimentierte, brachten ihm den Weltruhm als einen der wichtigsten und innovativsten Landschaftsmaler.

Ein Leben lang inspirierten ihn Meister der Kunst und Grafik wie Albrecht Dürer und Rembrandt van Rijn, die durch drei Drucke in derselben Ausstellung vertreten sind. Der Künstler sammelte außerdem Werke vieler zeitgenössischer britischer und europäischer Künstler, die er bewunderte, darunter Aquarelle und Skizzen von J.M.W. Turner, Thomas Gainsborough und Thomas Girtin sowie Drucke von Claude Lorrain, Jacob van Ruisdael und Anthonie Waterloo. Einige ihrer Werke aus seiner persönlichen Sammlung sind auch hier ausgestellt, um durch Beispiele seines Interesses und seiner Inspirationsquellen das Porträt von John Constable als Sammler und Künstler, der die Wahrheit und Schönheit der Natur in seinen Werken wiedergab, zu vervollständigen.

Die Reisegeschichten von Ștefan Popescu

Im Mittelpunkt des rumänischen Pavillons steht diesmal der hierzulande weniger oder nur Fachleuten bekannte, zu seiner Zeit mehrfach ausgezeichnete Impressionist und Reisemaler Ștefan Popescu (1872-1948). Seine „Reisegeschichten“ – wie die von Dr. Elena Olariu kuratierte Ausstellung benannt wurde – hat er alle mit dem Pinsel im Freien niedergemalt.

Der rumänische Künstler reiste zuerst nach Deutschland, wo er Kunst an der Akademie der Bildenden Künste in München studierte, verweilte dann ab 1900 für 14 Jahre in Frankreich, wo er seine Technik verfeinerte, meist in der Bretagne und Paris schuf und sich mit dem berühmten rumänischen Bildhauer Constantin Brâncuși befreundete. Ștefan Popescu hat noch die meisten Länder Nordafrikas sowie die Schweiz, Italien, das ehemalige Jugoslawien und Griechenland bereist, wo er mit seinem Pinsel Landschaften beziehungsweise Alltagsszenen, die ihn beeindruckt hatten, verewigte.

Als Sujets haben ihm der Reihe nach ländliche Alltagsszenen aus der Provence, der Bretagne und aus Rumänien, Seelandschaften, die den Golf Villefranche-sur-Mer (Frankreich), die Häfen in Chioggia und Venedig (Italien), Schiffe, Mittelmeer-Pinien, Palmen oder Felsen darstellen, sowie alte Tore, Stadtmauern und die islamischen Gemeinschaften in Marokko, Algerien, Tunesien oder der Türkei gedient. Seine Eindrücke von diesen lichterfüllten Landschaften und Alltagsszenen gibt Popescu in einer sanften Chromatik mit warmen Erdtönen und einem harmonisch wirkenden Zusammenspiel von Gelb, Blau und Grün wieder, welche das milde Sonnenlicht hervorheben.

Der Landschaftsmaler debütierte 1901 mit einer persönlichen Ausstellung im Bukarester Athenäum und eröffnete eine 1904 in Paris.

Der Reisekünstler beteiligte sich im Laufe seiner Karriere an zahlreichen bedeutenden Ausstellungen, insbesondere im Ausland, erwähnenswert ist seine dreifache Teilnahme an der Kunstbiennale in Venedig 1924, 1938 und 1942.

In Fachkreisen wurde er geschätzt, was ihm ermöglichte, u.a. Mitglied der Künstlervereinigungen Münchener Secession und Künstlergenossenschaft sowie außerordentliches Mitglied des Salons der Nationalen Kunstgemeinschaft in Paris zu werden. Sogar Königin Maria von Rumänien gefielen seine Werke und sie kaufte einige für ihre private Sammlung.

Für seine Verdienste zur Förderung der Kunst wurde Ștefan Popescu 1923 in Rumänien zusammen mit den Künstlern Jean Alexandru Steriadi, Theodor Pallady und Gheorghe Petrașcu mit dem Orden „Krone von Rumänien“ im Grad eines Kommandeurs beziehungsweise 1925 von der Französischen Republik mit dem Orden der Ehrenlegion im Ritterrang ausgezeichnet.

Lilian Theil, eine lächelnde alte Dame

Ein anderes Highlight der Jubiläumsausgabe von Art Safari ist die Ausstellung „Lilian Theil. Eine lächelnde alte Dame“ der gleichnamigen siebenbürgischen Textilkünstlerin, welcher die Organisatoren nun zum ersten Mal eine eigene Ausstellung im Rahmen der rumänischen Galerie gewähren.

Die Künstlerin mit einzigartiger Stimme und kreativer Vision geht einen untypischen künstlerischen Weg. Das neuartige und originelle Schaffen der 1932 in Kronstadt/Brașov gebürtigen Textilkünstlerin deutsch-rumänischer Herkunft beginnt nach der Wende 1989, als sie mit 57 Jahren eine Form tiefer innerer kathartischer Befreiung erlebte und seither ununterbrochen im Bereich der Textilkunst wirkte. Die Werke, die infolge eines gründlichen Prozesses der Selbstbeobachtung und philosophischen Analyse entstehen, sind frei von Einflüssen jeglicher Ideologie, Mode oder Strömung in der zeitgenössischen Kunst.

Nachdenklich und zutiefst philosophisch erzählt Lilian Theils genähtes, bunt gesticktes Werk von Leben und Tod, lokaler und europäischer Geschichte, Zeitaltern und Unfällen, Jugend und Alter, Verfall und Hoffnung, Anständigkeit oder Deportation und Folter, Glauben und Ironie. Die ihr gewidmeten Ausstellungsräume sind thematisch eingerichtet. Die von der Kuratorin Raluca Ilaria Demetrescu entworfene Route führt zuerst an Werken zum Thema Ökologie, Verbrauch und Habgier, dann an sozialen Themen, zeitgenössischen Mythologien, Werken über das Verhältnis zwischen Konflikt und Harmonie, der Geschichte Schäßburgs/Sighișoaras und an genähten Bildern von Blumen aus dem eigenen Garten vorbei.

Als illustrative Kompositionen mit metaphorischen Bedeutungen fesseln Lilian Theils Werke den Betrachter sofort durch ihre spielerische Ästhetik und zutiefst ehrliche Seite. Jedes Detail, egal wie klein, hat eine Erklärung und Bedeutung in der Schöpfungswelt der Künstlerin. All dies deutete die Kuratorin, die selbst einige Werke für ihre private Sammlung gekauft hat, für die ADZ bei der Ausstellungseröffnung.

Umgeben von Tüchern, Fetzen und Fäden, an ihrem Nähtisch in Schäßburg sitzend, stickt Lilian Theil Geschichten, blickt in die Ferne des Selbst und ihrer Vorstellungskraft, während sie weise und nachsichtig über die vielfältigen Situationen des Lebens lächelt, beschrieb die Kuratorin den schöpferischen Vorgang der Künstlerin.

Mihai Mureșan, ein melancholischer Neorealist

Gegenüber auf der Altersachse befindet sich der 27-jährige Neorealist Mihai Mureșan, Absolvent der Kunsthochschule in Klausenburg/Cluj-Napoca, der von kleinen, scheinbar unbedeutenden Dingen fasziniert ist. Auch ihm bietet Art Safari seinen eigenen breiten Ausstellungsplatz im rumänischen Pavillon.

Mit stetiger Detailtreue, die beinahe an naiven Kunststil grenzt, präsentiert der Maler die lokale Landschaft und städtische Ausschnitte aus seinem Wohnviertel bis hin zu den kleinsten Bestandteilen des Lebenskreislaufes, die im Alltag oft unbemerkt bleiben. Kleine gewöhnliche Dinge wie Kastanien, Tannenzapfen, bunte Gesteine oder die Topfpflanzen vom Fensterbrett seiner Künstlerwerkstatt rücken ins Rampenlicht seiner Werke. Mureșans Schaffen kreist um die Intimität seiner Wohnung und die eigene Umgebung, die er gemäß Titeln der Werke mit echter, ungehemmter Heimatliebe darstellt.

Die liebevoll inszenierten Stillleben im Miniaturformat und aufmerksam ausgeschnittenen naturalistischen Stadtszenen stehen in einem deutlichen Kontrast zur melancholischen Stimmung und größtenteils etwas düsteren Farbpalette der Bilder. Deshalb wirken einige seiner Werke beunruhigend auf den Beobachter, wie jenes mit den Orchideen vom Fenster seiner Werkstatt, in dem der Künstler sich selbst widerspiegelt und unheimlicherweise wie ein unbekannter Verfolger mit ungesunder Hautfarbe am Fenster erscheint. Andere Bilder, wie die mit hellen Farben wiedergegebenen Sommerlandschaften und niedlichen Topfblumen rufen dagegen ein gemütliches Gefühl von Ruhe hervor. Die Ausstellung „Kleine Dinge“ des vielversprechenden komplexen jungen Künstlers Mihai Mure{an wird von Dr. Ioan Sbârciu kuratiert.

Koreanische Schönheit in der Plakatkunst

Das Gastland der zehnten Auflage von Art Safari ist Korea und wird in Zusammenarbeit mit der Botschaft der Republik Korea vom mehrfach ausgezeichneten koreanischen Grafikkünstler Prof. Byoung-il Sun durch seine Plakatkunst-Ausstellung „Korean Beauty in Poster Art“ (koreanische Schönheit in der Plakatkunst) vertreten. Anhand seines mal farbenfrohen, mal chromatisch minimalistischen, jedoch ausgeglichenen Posterentwurfs veranschaulicht der Künstler die Schönheit der koreanischen Kultur und Schrift „hangul“, die er damit in Kunst umsetzt. Durch seine innovative Kunsttechnik verschlüsselt er gegenwärtige Werte in den traditionellen koreanischen Motiven.

Die Ausstellungen können bis zum 11. Dezember täglich, donnerstags bis sonntags von 12 bis 21 Uhr, besucht werden. Freitags und samstags findet jeweils von 22 bis 1 Uhr eine nächtliche Führung bei angenehmer Musik und einem Glas Prosecco statt (letzter Eintritt um 22.15 Uhr). Eintrittskarten und eine Übersicht über die Ausstellungen sind unter www.artsafari.ro verfügbar. Kinder unter 12 Jahren besuchen Art Safari kostenlos.