Ein Reizthema, aus rumänischer Sicht

Zu Ioan-Aurel Pop, Ioan Bolovan: Geschichte Siebenbürgens

Deutsch von Werner Kremm, unter Mitarbeit von Sigrid Kuhn. Mit zahlreichen Abbildungen und Karten. Ludwigsburg: Pop-Verlag, Ludwigsburg 2020. 521 Seiten. ISBN 978-3-86356-293-9 Euro (D) 33,50; Euro (A) 34,50; Sfr (CH) 40,00

Das Thema dieses Buches ist reizvoll und anregend, denn Siebenbürgen war und ist im Herzen des inneren Karpatenbogens samt seiner Randregionen Kreischgebiet, Nordbanat und Maramuresch seit alters her ein geschichtsträchtiger und nicht konfliktfreier Boden. Beide Autoren sind namhafte, international geschätzte Historiker der „Babeș-Bólyai“-Universität in Klausenburg/Cluj-Napoca, Ioan-Aurel Pop seit 2018 Präsident der Rumänischen Akademie der Wissenschaften. Die Abhandlung beginnt mit der Präsentation der Urbevölkerung des Raumes, den Geto-Dakern, die dem Volk der im Nordbalkan siedelnden Thraker angehörten. Die ersten staatsbildenden Strukturen im Königreich des Burebista (82-44. v.Chr.) und des Decebal (87-106 n.Chr.) im Hatzeger Land mit der historischen Hauptstadt Sarmizegetusa Regia werden vorgestellt. Die Eroberung durch die Römer unter Kaiser Trajan in zwei dakisch-römischen Kriegen (I: 101-102 n. Chr. ; II: 105-106 n. Chr.) bereiteten dem Königreich der Daker ein Ende und fortan wurde die rund 200-jährige Herrschaft der Römer in der Provinz Dacia in drei Gebieten – Dacia Inferior, Dacia Superior und Dacia Porolissensis – verwaltet.

Der Leser erfährt Grundlegendes über die Entstehung des rumänischen Volkes im 7.-8. Jahrhundert durch die Verschmelzung mit der autochthonen Bevölkerung und die Entstehung seiner Sprache aus der von den ehemaligen römischen Beamten und niedergelassenen Veteranen gesprochenen „Latina vulgata“, auch als „Donaulatein“ in die Forschung eingegangen.

Die von der römischen Herrschaft hinterlassenen Spuren in Dakien widerspiegeln sich in der Kultur, in der Lebensweise und in der Sprache der bodenständigen Bevölkerung: Lediglich zirka 70 Wörter der Sprache der eingeborenen Geto-Daker gibt es noch im heutigen aktiven Rumänischwortschatz, 160 Ausdrücke bestehen noch allgemein wie z.B. „balaur“ (Drache) oder „brânză“ (Käse), „barză“ (Storch), „băiat“ (Junge, Knabe, Bube), „brazdă“ (Furche) u.a. Interessant erscheint die Feststellung, dass ungefähr 90 dieser Begriffe auch in der albanischen Sprache beheimatet sind… 

Die Autoren weisen auf die um 350 n. Chr. einsetzende Völkerwanderung hin, die zur weiteren Vermischung der bodenständigen Bevölkerung mit durchziehenden Völkern führen: Gepiden, Goten, Awaren, Hunnen u.a. waren für eine frühe Staatsgründung auf dem Gebiete Siebenbürgens wohl hinderlich.

Die  finno-ugrischen Ungarn, in der Schlacht auf dem Lechfeld (955) von König Otto I. (später Kaiser des Hl. Römischen Reiches) besiegt, zogen sich in den Pannonischen Raum zurück („Landnahme“) und weiteten ihren Einflussbereich auf Siebenbürgen aus, nachdem sie unter König István (Stefan) um das Jahr 1000 das Christentum angenommen hatten. 

Erwähnenswert sind die  Kleinstaatenbildungen – die des Menumorut im Bereich Partium/Kreischgebiet, sowie die der Herzöge Glad und Ahtum im Banat, die letztlich dann von Árpád besiegt und unterworfen wurden.
Um 1150 erfolgte im Partium die Ansiedlung der Szekler, einem Mischvolk asiatischer Herkunft und im 13. Jahrhundert die der Sachsen („Siebenbürger Sachsen“ – „Nennsachsen“, denn herkunftsmäßig stammen sie aus den linksrheinischen moselfränkisch – „letzeburgischen“ Gebieten.

Der Leser erfährt, dass im 14. Jahrhundert die Wojwodschaftsgründungen der Maramuresch und der Moldau erfolgten. Gleichsam werden wichtige bauliche Einrichtungen wie die Schwarze Kirche in Kronstadt, das Stammschloss der Hunyadis/Corvinus, die Festung Marienburg/Feldioara), die Festung Fogarasch/Făgăraș, die Bauernburg  Rosenau/Râșnov) erwähnt.

Die Zeit der Kreuzzüge gegen die ottomanische Expansion wird ebenso beleuchtet wie die Regierungszeit des Ioan de Hunedoara (Hunyadi János: 1441-1456) aus dem Hatzeger Land – auch als Johannes Olah oder Johann der Rumäne in die lateinische Literatur eingegangen.

In dieser Geschichte Siebenbürgens wird auch auf die wohl bekannteste Gestalt hingewiesen: nämlich auf Vlad III. Drăculea (den „Pfähler“), der als „Dracula“ in die Historie eingegangen und durch den irischen Schriftsteller Bram Stoker als Vampir auch in der Literatur bekannt wurde.

Tatsächlich war Vlad eigentlich „Beschützer“ des christlichen Mitteleuropa vor den Osmanen, die er, wie seine anderen Gegner, pfählen ließ. Der Fürst ist auch auf einem Bild in der Kirche Maria am Gestade, Wien – Innere Stadt – in der Kreuzigungsgruppe (neben dem gekreuzigten Jesus, unten rechts) in Ganzkörperdarstellung zu sehen. In der Darstellung in der Barock-Galerie des Wiener Schlosses Belvedere „Martyrium des hl. Andreas“ ist Vlad III.- Țepes ebenfalls abgebildet. Aus diesen Darstellungen kann gemutmaßt werden, dass der Fürst eine beachtete historische Persönlichkeit seiner Zeit war.

Auch auf ein weiteres Ereignis von historischer Tragweite wird eingegangen: auf den Bauernkrieg unter Georg-György Dózsa (1514), als nach einem gegen die Türken abgesagten Kreuzzug das Bauernheer sich gegen die Adligen und Kleriker erhoben hatte…

Man erfährt vom durch innere Kämpfe zerrütteten Siebenbürgen, und im 16. Jahrhundert forderten bedeutende Persönlichkeiten weitreichende konfessionelle Veränderungen nach den Lehren Martin Luthers, Jean Calvins u.a. In Siebenbürgen war der Kronstädter Humanist Johannes Honterus ein Vorreiter, sodass die Siebenbürger Sachsen und Teile des ungarischen Adels den neuen Glauben angenommen hatten. Als Antwort darauf ließ der katholische Fürst und 1575-1586 König von Polen, Stefan Báthory, im Zuge der Gegenreformation durch Jesuiten katholische Schulen wie z.B. das Kollegium Major, heute die Klausenburger Universität, gründen.

Von eminenter Bedeutung ist für die Geschichte Siebenbürgens die Gestalt des Fürsten der Walachei, Michael der Tapfere, der seinen Thron festigte und eine vom Papst und von den Habsburgern geförderte anti-türkische Allianz – die Heilige Liga –, zu der auch Spanien, Venedig und mehrere italienische Fürstentümer sowie die der Moldau und Transsylvaniens gehörten, unterstützte. 1600 glückte ihm die vorübergehende Vereinigung Transsylvaniens mit der Moldau und der Walachei, die jedoch vom ungarischen Adel torpediert wurde. In Transsylvanien zielten seine Maßnahmen auf die Gleichberechtigung der Rumänen mit den anderen Ethnien durch weitreichende Maßnahmen ab. So durften z.B. Herden der rumänischen Hirten auf dem Hattert der sächsischen und ungarischen Orte weiden und es erfolgte die Befreiung der rumänischen orthodoxen Priester von „Robot-Leistungen“ auf den Gütern der Adeligen.

Im Unterrichtswesen funktionierten im Kloster Peri Maramureșului, in Ieud und in Șcheii Brașovului die ersten, von städtischen Gemeinschaften organisierten rumänischen Schulen. Ferner wird auf die von besonderer Bedeutung erscheinenden Kopier- und Übersetzerschulen um den Diakon Coresi im Raum Kronstadt/Brașov hingewiesen, während im Hatzeger Land die Palia de la Orăștie / Das Alte Buch von Broos als äußerst wichtig hervorgehoben wird.
Mit Nachdruck wird darauf hingewiesen, dass die drei bevorzugten Ethnien in Siebenbürgen über Jahrhunderte Ungarn, Sachsen, Szekler waren. Obwohl die Rumänen 80 Prozent – also mehr als zwei Drittel der Landesbevölkerung – ausmachten, waren sie ständig Benachteiligungen und Unterdrückungen ausgesetzt.

Die Autoren weisen darauf hin, dass in Siebenbürgen die Zeit der frühen Moderne mit der Renaissance und deren Folgeerscheinungen eingeleitet wird, wie z.B. Reformen im Bildungswesen, die prägend für diese Epoche sind. Mit den bedeutendsten Vertretern der reformistisch-humanistischen Bewegung werden Nicolaus Olahus und Johannes Honterus  assoziiert.

Es wird auf die  Kriege und Tyrannei und deren Auswirkungen im Jahrhundert der Aufklärung aufmerksam gemacht, die weitreichende Umgestaltungen nach sich zogen. Bei der zweiten Türkenbelagerung Wiens (1683) wurden die christlichen Fürsten Siebenbürgens, der Moldau und der Walachei von den Türken zur passiven Mitwirkung gezwungen. Die anschließende Besetzung Ungarns, Sloweniens, Kroatiens und Siebenbürgens durch die vordringenden österreichischen Truppen bewirkte die Umorganisierung Siebenbürgens: Es entstand die kaiserliche Hofkammer, Cancelaria Caesareo-Regia Transilvania-Aulica, in der die drei Stände – Ungarn, Sachsen und Szekler – privilegiert blieben. Die Orthodoxen wurden als schismatische Rumänen betrachtet.

Die 1791 dem Kaiser Joseph II. in Wien vorgelegte Denkschrift „Supplex Libellus Valahorum“ wird als Höhepunkt des Kampfes der Zwei-Drittel-Bevölkerungsmehrheit Siebenbürgens betrachtet.

Wie ein roter Faden zieht sich verständlicherweise der Kampf der Rumänen um Gleichberechtigung durch diese Geschichte Siebenbürgens, ob es nun Auflehnungen unzufriedener Untertanen ungarischer, szeklerischer und/oder rumänischer Kreise waren, wie im Bauernkrieg von 1514, die Bauernaufstände unter Horia, Cloșca und Crișan (1784), die Memoranden nach mehreren Nationalen Konferenzen (1884, 1887, 1890, 1892), oder die Parteienforderungen Anfang der 20. Jahrhunderts, usw. Entweder wurden die von Wien erlassenen Erleichterungen unter Joseph II. und später unter Franz Joseph. I. von den ungarischen Behörden ignoriert, oder Franz Joseph. I. lehnte das rumänische Memorandum aus Siebenbürgen ab, oder er leitete es an die ungarische Regierung nach Budapest weiter… wo es einfach ignoriert wurde.

Es wird darauf hingewiesen, dass lediglich die Vereinigung Siebenbürgens mit dem Königreich Rumänien zur Lösung der anhaltenden Probleme der Rumänen Siebenbürgens führte, was ja auch in der Proklamation der etwa 100.000 am 1. Dezember 1918 in Karlsburg/Alba Iulia versammelten Rumänen Siebenbürgens, aus dem Kreischgebiet, dem Banat und der Maramuresch gefordert wurde. Die Angliederung Siebenbürgens an Rumänien wurde schlussendlich 1920 im Vertrag von Trianon festgeschrieben und am 4. Juni 1920 unterzeichnet. 

Nicht zu übersehen der „jüngste“ schicksalhafte Eingriff in die Geschichte Siebenbürgens in den Jahren des Zweiten Weltkriegs, als durch die Wiener Schiedsprüche – auch als „Wiener Diktat“ bekannt – von 1938 und 1940 unter der Regie des nationalsozialistischen Deutschlands das nördliche Siebenbürgen und das Szeklerland an Ungarn abgetreten werden mussten, was für Rumänien der Verlust von 43.500 Quadratkilometern und von 2,5 Millionen Einwohnern bedeutete. Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs wurden diese Maßnahmen wieder rückgängig gemacht…

Interessant erscheint mir die territoriale Zuordnung des Banats – nur des rumänischen Teils oder des gesamten Banats – an Siebenbürgen… 

Dieses Buch – sei es nun als Kompendium, Abhandlung, Nachschlagewerk zum Thema Siebenbürgen, im-mer aber mit akribischer Sorgfalt bis in kleinste historische Detail in exhaustive Nähe gerückt – kann als das anspruchsvollste aller bisher verfassten rumänischen Bücher über Siebenbürgen gewertet werden und ist nicht nur den einschlägigen Fachkreisen, sondern auch dem interessierten Laien wärmstens zu empfehlen.

Die Herausgabe der deutschen Veröffentlichung wurde vom Rumänischen Kulturinstitut Bukarest gefördert. Die von Werner Kremm unter Mitarbeit von Sigrid Kuhn nach dem rumänischen, mit einer gehörigen Datenfülle bespickten Original „Istoria Transilvaniei“ in flüssigem Deutsch realisierte Übersetzung erleichtert dem Leser den Textzugang und ist diesbezüglich besonders würdigend hervorzuheben.