Ein Rumäne in deutscher Kriegsgefangenschaft

Erinnerungen an die Jahre 1916/1917 von Constantin Ionescu bei Humanitas erschienen

Constantin Ionescu, ein Offizier in der Armee des Königreichs Rumänien während des Ersten Weltkriegs, geriet am 27. November 1916, exakt drei Monate nach der Kriegserklärung Rumäniens unter König Ferdinand I. an Österreich-Ungarn, als Artilleriehauptmann in der Nähe des rund 40 Kilometer von Ploiești entfernten Dorfes Bărăitaru in deutsche Kriegsgefangenschaft. Sein Enkel, der bekannte Kunsthistoriker und Kunstkritiker Adrian-Silvan Ionescu, hat dieses Tagebuch der Kriegsgefangenschaft seines Großvaters nun, über hundert Jahre danach, im Humanitas-Verlag in Gänze veröffentlicht. 

Constantin Ionescus Lebenserinnerungen, deren Manuskript sich im Archiv der Familie Ionescu befindet, nehmen selbst nur knapp die Hälfte des Umfangs dieses schmalen Buches ein. Sie werden ergänzt und illustriert durch einen fünfundvierzig Seiten umfassenden Bildteil mit Faksimiles einzelner Seiten des Tagebuchmanuskripts, mit Familienfotos, mit Porträts des Autors als Rechtsanwalt, Jäger, Offizier und Kriegsgefangener und schließlich mit zahlreichen Bildern vom Leben in den deutschen Kriegsgefangenenlagern auf der Ostseeinsel Dänholm und in Krefeld.

Ein ausführliches Vorwort von Adrian-Silvan Ionescu informiert den Leser über die Familienverhältnisse im Allgemeinen und über die Biographie seines Großvaters mütter-licherseits im Besonderen, über dessen  berufliche und militärische Karriere, seine Heirat mit der griechischstämmigen Atena Zaharula „Zaha“ Kindilide, die Zeit des Krieges und schließlich über das Tagebuch selbst, mit dessen Niederschrift Constantin Ionescu am 1. April 1917 auf Dänholm begann, wenngleich darin auch zurückliegende Lebensereignisse oder Kriegserlebnisse wie die eingangs erwähnte Szene der Gefangennahme durch deutsche Soldaten erzählt werden. Kommentierende Deutungen der zahlreichen Fotografien in Verbindung mit persönlichen Erinnerungen des Enkels an seinen Großvater Constantin, genannt „Titi“, beschließen das lesenswerte und schön geschriebene Vorwort.

Die Erinnerungen Constantin Ionescus, die den Titel „Din viața mea“ (Aus meinem Leben) tragen, setzen ein mit der Beschreibung des Kriegsgefangenenlagers Dänholm nahe Stralsund, wo rund eintausend englische, französische, russische und rumänische Soldaten gefangen gehalten wurden, wobei die Offiziere unter ihnen, zu denen auch Constantin Ionescu gehörte, generell eine Vorzugsbehandlung genossen. Sie konnten nicht, wie die einfachen Soldaten, zur Arbeit verpflichtet werden, sie durften sportlichen und kulturellen Aktivitäten nachgehen, Sprachen lernen, musizieren, Theater spielen, fischen, gärtnern, Billard, Karten oder Schach spielen, weswegen Constantin Ionescu sich im Hinblick auf sein Gefangenendasein auch nur über das schlechte Essen, die Ferne der Heimat und das Getrenntsein von seiner Familie beklagt, und ein ganz klein bisschen auch damit hadert, dass die englischen, französischen und russischen Offiziere komfortabler untergebracht waren als er und seine Landsleute.

Das Tagebuch fährt dann fort mit einer Autobiographie en miniature: Schulzeit, Studium, Militärdienst, Berufsleben als Rechts- und Staatsanwalt, Eheschließung, erste Kriegserfahrungen im Zweiten Balkankrieg, Rückkehr zum Leben als Familienvater bis zum Eintritt Rumäniens in den Ersten Weltkrieg. Danach folgen dann der Abschied von seiner Gemahlin und seinen beiden Töchtern, die Arbeit an Schützengräben, die Beschreibung von Truppenbewegungen und ersten Kampfhandlungen bis hin zum Moment der Gefangennahme, bei der Constantin Ionescu den beiden deutschen Soldaten seine Pistole und seinen Feldstecher übergeben musste, und zum Augenblick der Wiederbegegnung mit den gleichfalls gefangen genommenen Soldaten seiner Kompanie („bateria“), die dem Tode ebenfalls entronnen waren.

Die Odyssee der Kriegsgefangenen führt diese dann über Ploiești und Târgoviște zunächst nach Slatina, wo Constantin Ionescu am 7. Februar 1917 sogar den Besuch seiner Gattin Zaha empfangen darf, die aus dem 50 Kilometer entfernten Craiova mit dem Schlitten angereist ist. Am 20. Februar bricht dann der Gefangenentross mit dem Zug in Richtung Deutschland auf und erreicht über Hermannstadt/Sibiu, Budapest und Oppeln/Opole schließlich Stralsund, von wo aus die Gefangenen nach Dänholm verbracht werden. Dort ist Constantin Ionescu in Holzbaracken zusammen mit anderen Hauptleuten in Achtmannzimmern untergebracht.

Die Erinnerungsprosa wird an dieser Stelle von sechzehn Seiten mit poetischen Versen verschiedener Mitgefangener unterbrochen. Die einzelnen Gedichte tragen Überschriften wie „În lagăr“ (Im Lager), „Sonetul pâinii“ (Das Sonett des Brotes), „Cantina“ (Die Kantine) oder „Viața de prizonier“ (Das Leben als Kriegsgefangener), wobei in die rumänischen lyrischen Texte mitunter auch Fragmente in deutscher Sprache eingestreut sind, etwa um die Verständigungsversuche des dichtenden Offiziers mit einem deutschen Krämer zu beschreiben: „ – Bitte, mein herr, / Ich bitte ein… ăsta, / Cum, cum se zice… / Pentru… pentru…“ (S. 91).

Constantin Ionescus Dasein als Kriegsgefangener nimmt dann eine radikale Wendung mit dem Besuch von Oberst Alexandru D. Sturdza am 14. April 1917 auf Dänholm. Oberst Sturdza war zuvor am 6. Februar 1917 aus der rumänischen Armee desertiert und zu den deutschen Truppen übergelaufen. Als in Abwesenheit zum Tode verurteilter Fahnenflüchtiger versuchte Sturdza nun, rumänische Offiziere für eine Kollaboration mit den Deutschen zu gewinnen, wofür ihnen im Gegenzug in näherer Zukunft die Rückkehr in ihre Heimat in Aussicht gestellt wurde und in nächster Zukunft eine Verlegung nach Krefeld mit weitaus komfortableren Haftbedingungen. Nur 60 von 360 rumänischen Offizieren verweigerten sich diesem verlockenden Angebot. Auch Constantin Ionescu entschied sich für diese Option und bereits am 11. Mai 1917 konnte er zusammen mit seinem Offizierskameraden Grigorescu ein komfortables Zimmer mit Parkett und Tapete im Lager Krefeld beziehen. Aber der Hunger bleibt sein ständiger Begleiter, er hat stark an Körpergewicht verloren und wiegt nur noch 66 Kilogramm.

Doch die Briefe, die er von seiner Gattin empfängt und die er an sie schreiben darf, richten ihn immer wieder auf und trösten ihn über die Zeit seiner Gefangenschaft hinweg. Er lässt sich in verschiedenen Ateliers in Krefeld fotografieren und schickt die Bilder an seine Familie nach Rumänien. Die Ungeduld wächst, jeden Tag erwartet er die Ankunft von Oberst Sturdza aus Berlin mit der ersehnten Nachricht vom Marschbefehl in Richtung Heimat. Am 18. Juli 1917 trägt er in sein Tagebuch ein: „Ich schreibe nichts mehr. Ich will, ich will, dass wir endlich abfahren, ah! wann wird dieser Tag sein!“ (vgl. S. 103). Am 28. August brechen die Aufzeichnungen aus Krefeld endgültig ab. Es folgen im Anschluss daran nur noch die Daten der Zugreise vom 1. bis 11. November 1917, die ihn, über Oppeln und Hermannstadt, endgültig wieder nach Hause führt, wo er im Jahr darauf das Ende des Ersten Weltkriegs mit dem Frieden von Bukarest vom 7. Mai 1918 bzw. dem Waffenstillstand von Compiègne vom 11. Mai 1918 erleben darf.


Constantin Ionescu, Prizonier în Germania. Însemnările unui căpitan de artilerie 1916-1917. Ediție îngrijită de Adrian-Silvan Ionescu, Humanitas: București 2021, 156 S., ISBN 978-973-50-6379-5, 24 Lei.