Ein Sachse auf den Spuren der Mongolen

Interview mit dem Historiker Rüdiger von Kraus aus Boston, Massachusetts, USA

Rüdiger von Kraus

So manchem wird der Name Rüdiger von Kraus noch in den Ohren nachklingen. Denn vor knapp drei Jahren haben wir in der ADZ seine spannende, über 300-jährige Familiengeschichte vorgestellt (ADZ-Online, 12. Mai 2019: Der Gerber an der Seite von Prinz Eugen), beginnend mit dem Thomas Kraus, der in Fogarasch/F˛g˛r˛{ 1633 das Licht der Welt erblickte. 1702 wird dieser von König Leopold I. geadelt und darf sich und seine Nachkommen fortan „von Kraus” nennen: Als Lohn dafür, dass er an der Seite von Prinz Eugen von Savoyen in der Schlacht von Zenta gekämpft hat, bei der die Osmanen vernichtend geschlagen wurden. Die Familienchronik aus Siebenbürgen, die als Buch unter dem Titel „Handwerker und Adlige“ inzwischen auch auf Deutsch erschienen ist, war die Masterarbeit von Rüdiger von Kraus an der renommierten Harvard Universität in Boston (USA) und brachte ihm den „Harvard Preis der Familie Klein für die beste Geschichtsarbeit“ ein. Doch das Geschichtsfieber hat den ehemaligen Unternehmer, der im Rentenalter aus Leidenschaft wieder Student wurde, bis heute nicht mehr losgelassen, wie er ADZ-Chefredakteurin Nina May verrät. Ebensowenig die alte Heimat... So geht es auch in seiner neuen wissenschaftlichen Arbeit, die ab heute in fünf Folgen jeden Freitag vorgestellt wird, um fremde Reitervölker, die Siebenbürgen belagerten: die Mongolen. 

Herr von Kraus, was hat Sie bewogen, sich diesmal mit den Mongoleneinfällen auseinanderzusetzen? 

Eigentlich ist das eine kurze Geschichte in sich selbst: Ich bin unter uns fünf Geschwistern der Dunkelhaarigste - und so versuchte ich herauszufinden, woher dieser Einschlag kommt. Schon vor vielen Jahren, als ich das erste Mal vom Mongolenüberfall hörte, kam mir die Idee, dass wahrscheinlich ein weibliches Mitglied meiner Vorfahren willig oder unwillig mit einem Mongolen zusammenkam. Ich begann auch eine Story darüber zu schreiben, in der sie gegen den Willen ihrer Eltern den von ihr gepflegten verwundeten Mongolen heiratete. Und so kam es, dass die Mongolen die Nummer Eins auf meiner Liste waren, als mein Professor, der mir das Mittelalter nahebrachte, uns, seine Studenten, aufforderte, eine Studie über ein mittelalterliches Thema zu schreiben. Auch, weil ich dazu noch von diesem Professor erfuhr, dass das Mongolenreich bis heute das ausgedehnteste kontinentale Reich der Welt geblieben ist. 

Was finden Sie faszinierend am Volk von Dschinghis Khan?

Alles! Das Wenige, was ich schon wusste und alles, was ich durch meine Forschung erfuhr, erstaunte mich. Zum Beispiel etwas, das in der Studie keinen Platz fand, weil es mit Siebenbürgen nicht viel zu tun hatte: Dass man in wenigen Wochen von einem Ende des Reiches zum anderen gelangen konnte, dank der aufgestellten Stationen mit frischen Pferden alle paar Meilen. 

Interessant! Ich hatte mich beim Lesen des Manuskripts schon gefragt, wie die Kunde von Großkhan Ögedeis Tod so schnell nach Siebenbürgen gelangt ist.

Die Osmanen haben auf ihren Europafeldzügen den Kaffee hinterlassen, man sagt, die Wiener Kaffeehauskultur sei eine Spätfolge davon. Gibt es etwas, was wir heute hierzulande selbstverständlich verwenden, das den Mongolen zu verdanken wäre?

Ha! Da kam ich Ihnen mit der vorigen Antwort schon zuvor: FEDEX, UPS, DHL, die Post...

Die grausamen Todesarten, die Sie beschreiben –  flüssiges Silber in Augen und Ohren gegossen, Häuser und Kirchen mitsamt den darin Zufluchtsuchenden angezündet… Sind die typisch mongolisch oder waren sie üblich in dieser Zeit? Warum haben die Mongolen so viele Menschen getötet, anstatt einfach das Land zu unterwerfen?

Hier kann ich Ihnen keine ganz befriedigende Antwort geben. Wir wissen aber, dass das Leben zu den Zeiten billig war - also Töten war nicht das, was es heute ist, obwohl wir ja auch jetzt noch Massenmorde in der Welt erleben, sie aber als Grausamkeit und Verbrechen gegen die Menschlichkeit verurteilen. Das gab es damals nicht. Und die Mongolen merkten schnell, dass sie, um die von ihnen auferlegten enormen Gewohnheitsänderungen in den eroberten Gebieten durchzusetzen, so wenig Widerstand wie möglich dulden konnten und so viele zukünftige Gegner wie möglich aus der Welt schaffen mussten. Als ein Zeichen der Zeiten: Ich glaube, es war in Regensburg, wo ich eine mittelalterliche Folterkammer zu sehen bekam – oh Gott! Die Geräte und Methoden, die man damals gebrauchte, waren sehr grausam und einige endeten mit dem Tod. 

Sie erwähnen in einer Folge neben den Tötungen auch Krankheiten, die offenbar von den Mongolen mitgebracht wurden und den überfallenen Gemeinschaften arg zugesetzt haben. Weiß man dazu mehr?

Als Antwort zitiere ich aus G. D. Teutsch‘s Sachsengeschichte: „Der jammernde Zustand, in welchen die Mongolen das Land gestürzt hatten, endete mit ihrem Abzug nicht. Pest, Heuschrecken, Hungersnot brachen herein, so dass, wie Zeitbücher erzählen, in jenen Tagen Menschenfleisch öffentlich zu Markte gebracht wurde.“  Also sieht es aus, als ob die Seuchen nur eine indirekte Folge des Mongolenüberfalls waren. Ich nehme an, die Mongolen waren gesunde und rüstige Kämpfer, keine Virusträger.

Kann man die Entwicklung der Mongolen und der Siebenbürger Sachsen oder Ungarn hinsichtlich Bauwesen, Verwaltung, Kultur, Landwirtschaft im genannten Zeitraum vergleichen? Wer war wem überlegen – oder waren die Kulturen einfach zu verschieden für einen Vergleich?

Im Bauwesen waren es bei den Mongolen anfangs nur Jurten, während die Sachsen Häuser aus Holz, Stein und Ziegel hatten. In den Rus-Gebieten nutzten die Khans auch Fürstenpaläste neben den Jurten. So auch war, wie im Text erwähnt, der Himmel die Kathedrale für Dschingis Khan, bis seine Nachkommen, 1313 glaube ich, zum Islam übertraten, was dann wiederum den Anfang der immer größer werdenden Kluft zwischen ihnen und den orthodoxen Rus-Untertanen bereitete. Was die Verwaltung betrifft, müssen wir wieder über die Rus-Gebiete sprechen, wo sie so lange weilten. Dort war sie der Türkenverwaltung ähnlich, und zwar „laissez faire“, also den lokalen Fürsten überlassen, solange sie den Tribut zahlten und von Zeit zu Zeit, in diesem Fall nach Sarai statt Istanbul, pilgerten, um ihre Rechte zu behalten. Die Kulturen waren sehr verschieden - und ob eine der andern überlegen war? Da greife ich zu einem Beispiel: In vielen Fällen kann man beobachten, dass das, was lange Zeit als überlegen angesehen wurde, sich später als unterlegen herausstellt, oder umgekehrt - etwa die Eintracht unserer Indianer mit der Natur, die heute für den Rest von uns wegen der Klimaveränderung stark an Bedeutung gewinnt.

Sie erwähnen an einer Stelle, dass Mongolen oft als Tataren bezeichnet wurden, letztere aber nur eine Untergruppe der Mongolen sind. Gab es dann tatsächlich auch Tatarenüberfälle auf Siebenbürgen? Oder sollte man besser Mongolen sagen?

Mongolen, für den beschriebenen Überfall.  Tataren waren ein mongolischer Stamm, der von Dschingis Khan vernichtet wurde. Jahre später aber wurde dann ein Mischvolk von Mongolen, anderen Turkvölkern und Ethnien im heutigen Russland, der Ukraine inklusiv der Halbinsel Krim, Tataren genannt. Der Begriff Mongolen, verwässert wie er dann war, traf nicht mehr richtig zu und wurde durch Tataren ersetzt.

Die Mongolen haben vor ihrem Europafeldzug verschiedene andere Reiche unterworfen. Gelang es ihnen, diese langfristig zu halten und zu verwalten?

Ja, ich erwähne im Text die „Pax Mongolica“, die zirka 200 Jahre, beginnend vom 13. Jahrhundert bis gut ins 15. Jahrhundert, ein relativ friedliches Zusammenleben sicherte, mit nur kurzfristigen Aufständen, die immer heftig niedergeschlagen wurden. Die russischen Fürsten mussten als Untertanen außer dem Tribut auch Truppen für Kriege stellen. Interessant ist - und für die Siebenbürger Sachsen für ihren Anteil am Handel bedeutend -, dass die Mongolen den Genovesen freien Handel erlaubten. So weit ging das Verhältnis, dass die Genovesen in der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts ihre Kolonie Gothia auf der Halbinsel Krim gründeten. Und wir wissen ja, dass die Sachsen viel von diesem Überlandhandel profitierten, der den Genovesen erlaubte, mit dem Seehandel der Venezianer zu konkurrieren. Dies dauerte, bis die Osmanen kamen, die dann die Handelsrechte anderen Ethnien übergaben.     

Wie nahm der Eroberungswahn ein Ende?

Kurzgefasst: Die am Ende zahlreichen Khans standen häufig im Widerstreit zueinander, und zwar sowohl unter sich, den Untergebenen gegenüber und dann die Untergebenen gegenüber dem Großen Khan. Dazu trugen auch die in der Zwischenzeit gewachsenen Unterschiede bei, zwischen denen, die ihre nomadischen Traditionen wie Jurten behielten und denen, die sich für das städtische Leben, zum Beispiel im hochziviliserten China, entschieden. Und die eroberten Völker hatten dann auch genug von dem allen. In China zum Beispiel, wo die Mongolen zirka ein Jahrhundert herrschten, waren die Kultur und die Gewohnheiten so stark, dass die Khans bis zuletzt ihre Macht den Lokalen überließen.

Woran forschen Sie in nächster Zeit - und haben Sie sich wieder vorgenommen, ein Thema für die ADZ aufzubereiten?

Derzeit arbeite ich an Nicolae Malaxa in Amerika aus dem Blickwinkel der CIA, des FBI, des Kongress und der Medien. Material für die ADZ gibt es genug - ob wir es gemeinsam aufbereiten, hängt jetzt von Ihnen und Ihren Lesern ab.

Vielen Dank für das interessante Gespräch.