Eine rumänische Weihnachtsgeschichte aus Zypern

Spielfilmdebüt des orthodoxen Priesters Ciprian Mega in den rumänischen Kinos

Als der rumänisch-orthodoxe Priester Ciprian Mega im vergangenen Jahr beim Filmfestival im italienischen Terni gefragt wurde, ob er sich eher als Filmemacher oder eher als Geistlicher betrachte, antwortete er klipp und klar: „Ich bin kein Mann des Kinos. Ich bin nur Priester. Der Film ist für mich eine Fortsetzung der Predigt, eine Verkündigung jenseits der Kanzel.“ Und in der Tat lässt sich der Debütspielfilm von Ciprian Mega mit dem Titel „Dimineața care nu se va sfârși“ (Der Morgen, der nicht enden wird) als eine säkulare Predigt verstehen, die allerdings neben seelsorgerlicher Zuwendung und christlicher Verkündigung auch eklatante Missstände in Kirche, Staat und Gesellschaft in den Blickpunkt rückt.

Der Film spielt im griechischen Teil der zypriotischen Hauptstadt Nikosia, im Stadtteil Lakatamia, wo sich um die erste rumänisch-orthodoxe Kirche auf Zypern herum ein spirituelles Zentrum der rumänischen Diaspora formiert hat. Der Gründungsvater dieser Kirche, im Film dargestellt von dem aus der Republik Moldau stammenden Valeriu Andriuță, kann als Alter Ego des Regisseurs und Drehbuchautors Ciprian Mega betrachtet werden, der – 1985 in Rumänien geboren und seit 2009 auf Zypern lebend – im Jahre 2012 die erste rumänische Gemeinde auf Zypern gebildet und die erste rumänische Kirche auf Zypern gebaut hat.

Als Seelsorger der auf Zypern lebenden Rumänen kennt der priesterliche Filmemacher die gesellschaftliche Realität genau, von der sein Drehbuch spricht und sein Film handelt. In der Protagonistin des Films namens Eva, verkörpert von Ela Ionescu, wird ein für Rumänien international wenig erfreuliches Massenphänomen in den Blickpunkt gerückt: die Anwerbung junger weiblicher rumänischer Arbeitskräfte, denen gut bezahlte Jobs auf Zypern in Aussicht gestellt werden, die aber nach ihrer Ankunft auf der Mittelmeerinsel gefangen gehalten und zur Prostitution gezwungen werden.

Zu Beginn des Films wird Eva auf dem Höhepunkt ihrer ‚Karriere’ gezeigt. Sie ist als Edelprostituierte, die sich ihre Kunden selbst aussucht, zur Favoritin des rumänischen Botschafters auf Zypern avanciert und scheint ihre Selbstständigkeit und ihre Macht über die Männer zu genießen. Doch schnell wird deutlich, dass sie ihre eigene Leidensgeschichte auf Schritt und Tritt einholt, deren einzelne Stationen lauten: Missbrauch durch den Stiefvater in Rumänien, Flucht nach Zypern, Sexsklavin in Nikosia, Flucht in die dortige rumänische Botschaft und umgehende Wiederauslieferung der Entflohenen an die rumänische Sexmafia, Ehelichung durch einen sich ihrer erbarmenden Freier, dessen plötzlicher Drogentod, danach Wiederaufnahme des Prostituiertendaseins. Allerdings betreibt Eva das Geschäft der Prostitution nach dem Tod ihres Mannes freiwillig und unterstützt damit ihre in Rumänien lebende Mutter, die Evas Tochter alleine aufzieht, mit Geld und Geschenken.

Auf den rumänisch-orthodoxen Priester in Nikosia wird Eva dadurch aufmerksam, dass der rumänische Botschafter ihn als persönlichen Feind brandmarkt. Statt nämlich die gesellschaftlichen Missstände unter den Teppich zu kehren, wie Staat und Kirche dies im Film in trauter Allianz tun, spricht jener Priester die Not und das Leiden der Menschen mutig an. Nur aus diesem Grunde sucht die zur Atheistin gewordene Eva den Priester persönlich auf und erzählt ihm ihr schmerzensreiches Leben. Ihre tiefe Verwundung könne sie, so ihre Beichte, nur auf diese Weise bewältigen, dass sie ihr übergroßes Leiden auf die Unzahl von Männern verteile, an die sie sich verkaufe, worauf ihr der Priester antwortet: Leiden auszuteilen (împrăștia) sei nicht dasselbe wie Leiden zu teilen (împărți).

Der tiefe Sinn dieser Worte wird im Film erst viel später enthüllt, denn Eva ist, lange nach der Geburt ihrer Tochter und dem Tod ihres Mannes, unheilbar an AIDS erkrankt und rächt sich nun wahllos an ihren Kunden für ihr eigenes Leiden, sogar an unbeteiligten Menschen, man denke etwa an die Szene mit dem Zahnstocher, den sie mit ihrem eigenen Blut benetzt und anschließend wieder in die Zahnstocherbox auf dem Restauranttisch zurücksteckt.

Durch den Kontakt mit dem rumänischen Beichtvater findet Eva jedoch allmählich aus dem Verstricktsein in ihre eigene Leidensgeschichte heraus: Sie findet sich endlich selbst wieder, verliebt sich erstmals wirklich in ihrem Leben (in einen von Mihai Stănescu verkörperten rumänischen Emigranten) und schützt ihren Geliebten vor der Gefahr tödlicher Ansteckung. Der Film endet im Krankenhaus, in dem Eva in Gegenwart ihres Beichtvaters ihr kurzes Leben aushaucht, in Erwartung von Gästen, die, wenn sie denn gekommen wären, die Wahrheit über Eva und über sich selbst erfahren hätten können.

Der Film ist, zumal er in den Wochen vor dem Weihnachtsfest spielt, sich seiner symbolischen und legendenhaften Dimension voll bewusst. Ja, er inszeniert diese geradezu, indem er beispielsweise Eva zunächst in ‚Berufskleidung’ zeigt, dann in Alltagskleidern, dann in einer Traumsequenz im weißen Mädchenkleid der Unschuld, das sich später zum Büßerhemd und schließlich zum Totenhemd wandelt.

Das Legendenhafte dieses Films trägt ihn zudem über Abgründe hinweg: die vernichtende Kritik an der Kirche und die politisch inopportune Kritik an Staat und Gesellschaft. Der rumänische Botschafter, im Film verkörpert von Ovidiu Crișan, wird als skrupelloser und zynischer Vertreter der Staatsmacht gezeigt, dem es nur darum zu tun ist, Probleme zu bagatellisieren oder gar ganz zu vertuschen, und der sich dadurch zum Handlanger von Kriminellen machen lässt. Und der aus Rumänien angereiste Metropolit, dargestellt von Valer Dellakeza, stößt in dasselbe Horn, wenn er Evas Beichtvater einschüchtert und ihm die Entlassung aus dem Dienst der Kirche androht, falls dieser sich nicht mit dem mächtigen Botschafter sogleich aussöhnt. Ohne die Gloriole der Legende wäre die anklagende Fratze des Films wohl kaum zu goutieren.

Zur Wirkung dieses anrührenden Filmes trägt nicht nur die reiche und vielfältige Musik (von Arvo Pärt bis Paula Seling), nicht nur die Kamerakunst Liviu Marghidans, sondern vor allem auch die Schauspielkunst der Protagonisten bei: glänzend, wie Ovidiu Crișans Botschafter eine unangenehme Fragerin in einer Live-Radiosendung abwürgt oder wie er die Sternsinger, die ihn in Begleitung des Priesters in seiner Residenz aufsuchen, gnadenlos abfertigt; grandios, wie Valer Dellakeza als Metropolit seinen ihm unterstellten Geistlichen abwechselnd Zuckerbrot kosten oder die Peitsche spüren lässt; mitreißend, wie Valeriu Andriuță als Priester beständig die Contenance wahrt und in seinem Schweigen mehr zum Ausdruck bringt, als Worte sagen können.

Die große Entdeckung dieses Films ist aber die Hauptdarstellerin Ela Ionescu, die in ihrem Hauptrollendebüt alle Facetten ihres Könnens zum Leuchten und zum Irisieren bringt: von der barschen und rigiden Gebieterin, die ihren strengen Willen durchsetzt, bis zur fragilen und schwachen Frau, die völlig in ihrem Leiden versinkt; von der rücksichtslosen Männerhasserin bis zum Mutter und Tochter liebenden Familienmenschen; von der verlebten und am Boden zerstörten Hure zum jungfräulich aufblühenden Mädchen; von der seelenlosen Bettgenossin zur liebenden und mitfühlenden Partnerin. Unterstützt von Liviu Marghidans Kamera entfaltet Ela Ionescu einen Reichtum an Gesichtern und Gebärden, an dem man in künftigen Filmen gerne weiteren Anteil nähme.

Ciprian Megas Debütfilm, der am 21. Dezember vergangenen Jahres in Klausenburg/Cluj-Napoca seine rumänische Premiere hatte, ist erst vergangene Woche, mit englischen Untertiteln, in die rumänischen Kinos gekommen, als filmische Weihnachtsgeschichte passend zur Weihnachtszeit. Inzwischen ist auch Ciprian Megas zweiter Spielfilm abgedreht, der in der Dobrudscha spielt und ebenfalls kirchenkritische Töne vernehmen lässt: „21 de rubine“ (21 Rubine) lautet sein Titel und wir sind gespannt, wenn er im neuen Jahr in die rumänischen Kinos kommt.