„Einer, der Hans hieß“

Ein neuer Roman von Dietfried Zink

Der schmale Roman von 86 Seiten erschien 2021 als 117. Band der Reihe Epik des Ludwigsburger Pop Verlags. ISBN: 978-3-86356-319-6, Preis: 12,80 Euro.

Es sind vier Faktoren, die den Roman von Dietfried Zink mit dem Titel „Einer, der Hans hieß“ bestimmen: Die geraffte Handlung, die auktoriale Erzählsituation, das Dingsymbol „Hans im Glück“ und damit verbunden der Wandel der realistischen in eine märchenhafte – und gegen Ende des Romans erneut in eine realistische – Darstellung. Zum gleichen Sujet, nämlich Deportation in und Flucht aus einem sowjetischen Arbeitslager, veröffentlichte vor 63 Jahren Bernhard Ohsam den erfolgreichen Roman „Eine Handvoll Machorka“ im Adam-Kraft-Verlag in Augsburg, der allerdings eigenes Erleben literarisch transfiguriert. Dieser Roman erlebte 1970 im Adolf Meschendörfer Verlag, München, die dritte Auflage.

Dietfried Zinks Roman beginnt mit der bescheiden ausgestatteten Silvesterfeier der Familie Meinert, der die Verhaftung des Haupthelden Hans Meinert und seiner Einlieferung in ein Sammellager in Hermannstadt folgt. Es schließt sich der Transport im Viehwaggon nach Sibirien an und die Ablieferung der „Arbeitstiere“ im Arbeitslager. Die Handlung wird dabei gerafft – all das spielt sich auf nur 17 Seiten des 86 Seiten umfassenden Romans ab.

Bei der weiteren Lektüre erfährt man, dass bereits drei Jahre Lagerleben vergangen sind und der Fluchtentschluss sowie auch der Fluchtplan steht – und umgesetzt wird: Spätestens als Hans unentdeckt in Lagerkleidung auf dem Bahnhof ankommt, fällt auf, dass der Autor auf Seite 19 wieder das Dingsymbol „Hans im Glück“ einflicht. Es ist ein Grundelement seiner Narration, denn jetzt wird der historisch-politische Hintergrund von einer märchenhaft scheinenden Handlung verdrängt. Hans im Glück hat zwar alles verloren (wie im Grimmschen Märchen) und die Lagerjahre haben ihn seine Vergangenheit vergessen lassen, aber trotzdem befindet er sich auf einem Weg, dem Fluchtweg, der ihm am Ziel vielleicht alles wiedergeben kann. Zunächst fährt er im Güterwagen, dann per Anhalter mit einem LKW, danach auf einem Pferdeplanwagen, was selbstredend immer mit Überraschungen und Gefahren verbunden ist.

Aber auf diesen Stationen, Bahnhöfen und Landstraßen lotst das Glück Hans an allen sowjetisch-stalinistischen Ecken und Klippen wie ungesehen vorbei. Er steht schließlich in Omsk von Hunger gequält mit leeren Taschen da und fragt sich, ob er weitergehen oder „seinem Leben ein Ende setzen“ soll (S. 33).

Er entscheidet sich für das Weitergehen und trifft auf einen Zirkus und die Akrobatin Sonja, wird Tierpfleger und dann Akrobat. Zwischen ihm und Sonja entsteht zunächst eine sehr starke Freundschaft. Er fühlt sich hier aufgehoben und geschützt, was seine Vergangenheit wieder verdrängt. Als er und Sonja einander ihre Geheimnisse kundtun, löst sich aber ihre tiefe Verbundenheit. Es ist die psychologisch am überzeugendsten dargestellte Szene: Die Vergangenheit holt Hans wieder ein, und damit die Sehnsucht nach seiner Frau und seinem Sohn.

Er zieht weiter zur nächsten Zwischenstation und geschützten Unterkunft, die in Tscheljabinsk bei Sonjas Schwester Tanja liegt. Die Ähnlichkeit der Zwillingsschwestern Tanja und Sonja ist frappierend. Hans fasste Vertrauen und erlebte ein zweites Mal auf seiner Flucht eine ruhige Zeit und fühlt sich auch in Tanjas Haus aufgehoben. Die Erinnerung an seine Vergangenheit verflüchtigte sich wieder und er entschließt sich, für immer an diesem Ruhepol zu bleiben. Erst als Natascha, die einen Rollstuhl benutzende Tochter Sonjas, aus einem Ferienlager kommt, erkennt Hans, dass auch dieser Ort und dieses Versteck für ihn keine Zukunft bietet.

Auch holt ihn wieder seine Vergangenheit ein, als Natascha, der verunglückte „blonde Trapezengel“, auftauchte. Zwei weitere Ereignisse führen ihm plötzlich die sowjetisch-stalinistische Realität vor Augen: Ein Mann wird in einem Frisörladen verhaftet, und Tanja erhält Besuch von zwei KGB-Agenten. Spätestens jetzt geschieht der Wandel von der märchenhaft scheinenden in eine realistische Darstellungsweise. Hans beschafft sich einen gefälschten Pass und fährt sozusagen legal mit der Bahn nach Hermannstadt. Die letzte Zugstrecke: Ungheni-Bukarest-Sibiu.

Ob nun Hans im Glück alles wiedergewinnen wird, was er verloren hat? Hoffnungsvoll ist zumindest, dass er nach fünf Jahren wieder in Hermannstadt ankommt.
 

Dietfried Zink, geb. 1943 in Hermannstadt/Sibiu, studierte Germanistik und Rumänistik in Klausenburg/Cluj und war anschließend als Deutschlehrer in Hermannstadt tätig. Seit 1985 lebt er in der Bundesrepublik Deutschland, wo er ein Zweitstudium absolvierte und Evangelische Religion, Sport und Deutsch unterrichtete. Zink veröffentlichte Gedichte und Kurzgeschichten (u. a. in den Zeitschriften „Neue Literatur“ und „Volk und Kultur“) sowie den Roman „Für einen Fingerhut Freiheit“ (2008) und die Novelle „Schattenwolken“ (2017). (Quelle: Pop Verlag)