Englische Musik beim diesjährigen Enescu-Festival

Kompositionen von Benjamin Britten, Edward Elgar und Ralph Vaughan Williams

In einer zu Beginn des diesjährigen Enescu-Festivals gegebenen Pressekonferenz sprach der berühmte Pianist und Dirigent Daniel Barenboim unter anderem auch über die englische Musik. Im Gegensatz zur italienischen, französischen und deutschen Nation habe die englische in den vergangenen Jahrhunderten nur wenige bedeutende Komponisten von kanonischer Relevanz hervorgebracht: im 17. Jahrhundert Henry Purcell, im 18. niemanden, im 19. Edward Elgar und im 20. Jahrhundert Benjamin Britten.

Barenboim selbst brachte beim Eröffnungskonzert des Enescu-Festivals zusammen mit der Staatskapelle Berlin die selten aufgeführte 2. Sinfonie (op. 63) von Edward Elgar zu Gehör, die durch ihren Klangreichtum, ihre immense Dynamik und die Vielfalt ihres Ausdrucks bestach. Das Orchester der Accademia Nazionale di Santa Cecilia und sein Dirigent Antonio Pappano beschenkten in der zweiten Festivalwoche, als Zugabe zu ihrem Konzert mit Werken von Ravel, Enescu und Dvorák, das Publikum mit einem weiteren Elgar-Stück: der neunten Variation „Nimrod“ aus dessen bekannten Enigma-Variationen (op. 36).

Sämtliche vierzehn Enigma-Variationen wurden dann in der dritten Festivalwoche von der Academy of Saint Martin in the Fields unter Neville Mariner im Bukarester Athenäum dargeboten, wobei das renommierte englische Orchester unter der Leitung seines mittlerweile 89 Jahre alten Gründers noch zwei weitere Werke von Edward Elgar aufführte: Introduktion und Allegro für Streichquartett und Streichorchester (op. 47) sowie das Konzert für Violoncello und Orchester (op. 85) mit dem brasilianischen Cellisten Antônio Meneses als Solisten. Das berühmte Londoner Ensemble begeisterte durch seinen satten Streicherklang, der sich insbesondere in den Unisono-Stellen von Elgars Opus 47 entfaltete, und durch das wunderbare Zusammenspiel mit dem hochvirtuosen Solisten Meneses in Elgars Cellokonzert. In den Enigma-Variationen (op. 36) beeindruckten außerdem die klangstarken Bläser und das reiche Schlagwerk, insbesondere bei den letzten ins Monumentale strebenden Variationen.

Von Benjamin Britten, der am 22. November 2013 hundert Jahre alt geworden wäre und dessen Zentenarjubiläum zu Unrecht im Schatten der Feierlichkeiten zum Verdi- und Wagner-Jahr steht, wurde im Rahmen des Enescu-Festivals das Konzert für Violine und Orchester (op. 15) aufgeführt, mit der norwegischen Solistin Vilde Frang und dem Orchestre de Paris unter der Leitung von Paavo Järvi. Ein Höhepunkt der Britten-Hommage war gewiss die Aufführung seines „War Requiem“ (op. 66) im Großen Saal des Palais mit dem Nationalen Rundfunkorchester Rumäniens sowie dem Rundfunk- und dem Rundfunkkinderchor unter der Gesamtleitung des britischen Dirigenten James Judd. Die Parts der drei Gesangssolisten wurden von der deutschen Sopranistin Michaela Kaune, dem britischen Tenor Kim Begley und dem ungarischen Bariton Adrian Eröd übernommen.

Brittens „War Requiem“ wurde am 30. Mai 1962 anlässlich der Einweihung der wiedererrichteten Kathedrale des Heiligen Michael in Coventry uraufgeführt. Der gleichnamige Vorgängerbau war bei der Bombardierung der Stadt Coventry im Zweiten Weltkrieg durch die deutsche Luftwaffe, durchgeführt unter dem zynischen Decknamen „Unternehmen Mondscheinsonate“, weitgehend zerstört worden. Wie bei der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche in Berlin, so wurde auch bei der Coventry Cathedral die Kriegsruine in den Neubau des Gotteshauses architektonisch integriert.

Brittens „War Requiem“ basiert auf dem lateinischen Text der Totenmesse „Missa pro Defunctis“ sowie auf englischen Texten des mit 25 Jahren im Ersten Weltkrieg gefallenen britischen Dichters Wilfried Owen. Die einzelnen Sequenzen der Totenmesse wurden dabei von der Solosopranistin und den drei Chören gesungen, während die poetischen Texte von den beiden solistischen Männerstimmen interpretiert werden. Erst im letzten Teil überlagern und vereinigen sich die geistliche und die weltliche Dimension des Werkes: in der musikalischen Engführung des „Let us sleep now“ von Tenor und Bariton mit dem „Requiescant in pace“ der übrigen Sänger.

Beeindruckend an diesem monumentalen Oratorium war der wiederkehrende Wechsel zwischen zarten und intimen Passagen einerseits, die hauptsächlich in den Soli der Männerstimmen zum Tragen kamen, und gewaltigen und bombastischen Partien des Werkes andererseits, die sich in den klangreichen Tutti der Chöre und des Orchesters entfalteten. Eindrucksvoll war die Dies irae-Sequenz mit ihren abgehackt wirkenden Chorpassagen, vor allem aber der Beginn des Sanctus: Wie sich die Stimme der Sopranistin in klangvollen Koloraturen erhob, wie der gemischte Chor mit mehrstimmigem Gemurmel einfiel, das sich zum vielkehligen Aufschrei steigerte, wie die folgende Generalpause absolute Stille schuf, die dann vom „Hosanna in excelsis“ strahlend übertönt wurde – das war reiner Genuss, der nicht zuletzt den beiden Chorleitern Dan Mihai Goia und Voicu Popescu zu verdanken war, wobei letzterer den Kinderchor, zwischen Harfen und Orgelspieltisch stehend, auch leibhaftig dirigierte.

Nach dem Verklingen der letzten Töne des „War Requiem“ wurde das Festivalpublikum außerdem eines besonderen Momentes teilhaftig, der in Bukarest leider Seltenheitswert besitzt. Es herrschte absolute Stille. Niemand klatschte in das Verklingen des Schlussakkords hinein, kein exaltierter Zuhörer brach in Bravorufe aus, erst nach langen Sekunden der Lautlosigkeit löste sich die Spannung in angemessenem Applaus, der auch dem Eingedenken, dem Brittens Werk huldigt, Rechnung trug.

Abgerundet wurde der Reigen der Aufführung von Werken englischer Komponisten in der letzten Festivalwoche mit dem 1914 begonnenen und 1920 vollendeten Stück für Violine und Orchester „The Lark Ascending“ (Die aufsteigende Lerche) von Ralph Vaughan Williams, das von der amerikanischen Geigerin Hilary Hahn, begleitet von der Camerata Salzburg unter Louis Langrée, im Rahmen eines Nachmittagskonzerts mit Werken von Mozart und Enescu im Bukarester Athenäum zu Gehör gebracht wurde. Die impressionistische Tondichtung von Ralph Vaughan Williams ist inspiriert durch das gleichnamige Poem des englischen Lyrikers George Meredith, das den morgendlichen Aufstieg der Lerche gen Himmel als ekstatisch-musikalisches Erlebnis feiert. Im geigerischen Solopart von „The Lark ascending“ wechseln elegische Passagen mit wildem Gezwitscher, gehauchte Töne mit flirrendem Getriller, bis die Töne der Lerche schließlich senza orchestra in höchsten Höhen verklingen.

Wunderbar, in der ätherischen Melodie das Reiben der Bogenhaare auf den Saiten mithören zu können, als trage der Wind die Lerche mit ihrem Gesang immer weiter nach oben! So wurde die violinistisch intonierte Stimme der Lerche unter Hilary Hahns Händen zum Symbol der Musik, dem Sinnbild reiner Freude und glühender Begeisterung, wie sie beim diesjährigen Enescu-Musikfestival oft genug erlebt und genossen werden konnte.