Er stand symbolisch für eine ganze Epoche

Dem „Altmeister der Moderne“ Max Liebermann zum 175. Geburtstag

Max Liebermann, „Flachsscheuer in Laren“, 1887, Öl auf Leinwand © Staatliche Museen zu Berlin, Nationalgalerie
Foto: Andres Kilger

Max Liebermann, „Selbstbildnis mit Sportmütze an der Staffelei“, 1925, Öl auf Leinwand © Staatliche Museen zu Berlin, Nationalgalerie
Foto: Jörg P. Anders

Schon um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert wurde der gerade ins sechste Lebensjahrzehnt eingetretene Max Liebermann als größter lebender deutscher Maler bezeichnet. Von 1898 bis 1911 hatte er ununterbrochen die Präsidentschaft der Berliner Sezession inne. In seinem Palais am Pariser Platz, gleich am Nordflügel des Brandenburger Tores, versammelte er die geistige und künstlerische Elite des Landes, um die sich Wilhelm II. in seinem Schlüter-Schloss am anderen Ende Unter den Linden vergeblich bemühte. Nach dem Zusammenbruch des Kaiserreichs wurde er Präsident der Preußischen Akademie der Künste und erlangte damit eine leitende Funktion im deutschen Kunstleben.

Am 30. Januar 1933 marschierten die neuen Machthaber vor seinem Haus am Pariser Platz vorbei und er sprach in seiner Berliner Mundart die viel zitierten Worte: „Ick kann jar nich so ville fressen, wie ick kotzen möchte“. Als Repräsentant der Weimarer Republik und als Jude verließ er die Akademie – deren Präsidentschaft hatte er schon 1932 aufgegeben – und starb zwei Jahre später in verbitterter Zurückgezogenheit. Wie der Kunstschriftsteller Karl Scheffler in seiner Trauerrede ausführte, endete mit ihm eine Epoche, für die er symbolisch stand.
Für Liebermann waren Gegenstand und realistische Gesinnung wichtiger als das optische Verhalten der Dinge in der Flut von Licht und Atmosphäre. Dennoch brachte gerade er eine unerhörte Kultivierung der Maltechnik ein, die sowohl auf einer intimen Kenntnis der holländischen Malerei als auf einer „Abkürzung“ der Pinselhandschrift beruhte. Seine tonige Malerei hebt sich deutlich von der Maltechnik der französischen Impressionisten ab.

Liebermann wurde nicht einfach zum Repräsentanten der Moderne, sondern seine Position wandelte sich - vom erddunklen Naturalisten über den hellfarbigen Pleinairisten bis zum Gesellschaftsmaler der Weimarer Zeit. Hatte er sich zunächst mit dem Idealismus der gedankenschweren Akademiemalerei Anton von Werners auseinanderzusetzen, waren es mit dem Untergang des Kaiserreichs die Expressionisten, die nun Liebermann als altmodisch attackierten. Die Moderne schien den Wegbereiter der Moderne überholt zu haben. Ebenso waren die Beziehungen des Malers zur Königlichen Nationalgalerie unter dem Direktorat von Max Jordan zunächst von Feindschaft, dann unter Hugo von Tschudi von Freundschaft und schließlich unter Ludwig Justi, der die Expressionisten protegierte, durch erneute Entfremdung geprägt.

Seine schmutzig-dunkle Malerei als auch die „bildunwürdigen“ Motive - die Gänserupferinnen, Schuster, Ziegenhirten, Feldarbeiterinnen - brachten dem 30-jährigen Liebermann die Bezeichnung „Häßlichkeitsapostel“ ein. Doch 1888 erwarb die Nationalgalerie mit der „Flachsscheuer“ als erstes deutsches Museum ein Bild von ihm. Biergärten, Reiter am Meer und Badende gehörten dann zu den Motiven, die um 1900 Liebermanns Arbeits- und Gruppenbilder der Frühzeit ablösten. In vielen Werken waltet der lebendig hingestrichene Eindruck vor. Mit dem „kammermusikalischen“ Ton mischt sich ein „impressionistisches“ Element in seinem Schaffen. Der Künstler wandte sich dem Problem von Licht- und Sonneneinwirkung in der Landschaft zu: Die konkrete Form beginnt sich aufzulösen, das Skizzenhafte und das Spiel der Lichteffekte dominieren, die Fluktuation des Lichtes verlangt eine Leuchtkraft der Farbflecke.

Schon hier exerziert er seine „Kunst des Weglassens“ und des Vereinfachens. Es sind die Bilder, die Liebermann in seinem Palais am Brandenburger Tor gemalt hat: „Das Atelier des Künstlers“ (1902), in dem man den „kammermusikalischen“ Klang und die feine, intime Stimmung bewundern kann, der wiederholte Blick auf den Tiergarten, der von einer großen leeren Fläche geprägt ist, während in dem Monumentalwerk „Die Enthüllung des Richard Wagner-Denkmals“ (1908) seines Gegenspielers Anton von Werner die detailreiche Wiedergabe des Monuments und der Festgesellschaft dominieren.

Als halluzinatorisches Ereignis- und Sinnbild für eine archaische Schicksalsgemeinschaft ließ der Visionär Emil Nolde das biblische „Pfingsten“ (1909) entstehen. Nach Einspruch Liebermanns wurde das Bild von der Jury der Berliner Sezession abgelehnt und das veranlasste nun wieder die expressionistischen Künstler, in Berlin die „Neue Sezession“ zu gründen. Liebermann dagegen folgte in seinem „Barmherzigen Samariter“ (1911) weniger der biblischen Legende, sondern gab in nüchterner Malweise ein Beispiel mitmenschlicher Hilfsbereitschaft. In der Tat unterscheidet sich die Kompaktheit der Farbe bei Emil Nolde, etwa im „Blumengarten“ (1915), von der malerischen Delikatesse und dem sich verändernden Erscheinungsbild in Liebermanns Gartenbildern am Wannsee. Doch im farbigen Abglanz ihrer sensualistischen Gartenbilder trafen sich die beiden Antipoden. In Liebermanns Wannseegarten-Bildern brilliert zwar noch ein koloristisches Aufsprühen, aber eine ordnende Empfindungstiefe ist in die Naturfülle eingezogen. Der „Brücke“-Maler Otto Mueller malte die zeitlose Harmonie von Mensch und Natur am Tor zum Gefilde der Seligen („Sommertag“, 1921/2), Liebermann aber sowohl die modische Eleganz der Damen am „Strand von Noordwijk“ (1908) wie die verwehende, vergehende Stimmung.

Andererseits erinnern die Strandbilder Liebermanns in ihrer hellen Farbigkeit an die skandinavische Malerei und an Edvard Munch, der das Thema der Paare in ihrem Einssein und ihrer Entzweiung immer wieder gemalt hat. Oft genug sind die im hohen Alter entstandenen Werke Liebermanns wie die Porträts Albert Einsteins und Ferdinand Sauerbruchs als gesellschaftlicher Affront  angesehen worden und doch waren sie nicht anders gemeint als pure Wahrheit gegen die Fassadenwelt der lauten Worte und großen Gesten.

Etwas Besonderes hat sich die Alte Nationalgalerie zum Jubiläum einfallen lassen: 13 Schlüsselwerke aus ihrer bedeutenden Liebermann-Sammlung werden in den Blick genommen und in Videos multiperspektivisch erörtert: Vom Aufsichtspersonal, das ja tagtäglich mit den Arbeiten konfrontiert ist, bis zu einzelnen Künstlern, Schauspielern und Journalisten, vom Museumsdirektor bis zu Kindern und Jugendlichen, die uns ihre eigene Sicht vermitteln. So lässt uns diese originelle Schau im Austausch mit anderen viele neue Entdeckungen sammeln.