Feierlicher Auftakt zum Verdi-Jahr in Bukarest

„Aida“ im Opernhaus und „Don Carlo“ konzertant im Radiosaal

Szene aus „Aida“ an der Nationaloper Bukarest Foto: ONB

Betritt man die Nationaloper Bukarest, so wird man bereits im Foyer auf das Verdi-Jahr eingestimmt, das die Erinnerung an den 200. Geburtstag des italienischen Komponisten am 10. Oktober 1813 und an sein gewaltiges, über fünf Jahrzehnte sich erstreckendes Opernschaffen wachrufen soll.

Aufwendig gerahmte historische Fotos geben einen Eindruck von Bukarester Aufführungen Verdischer Opern, etwa „Rigoletto“, „Der Troubadour“, „La Traviata“ oder „Ein Maskenball“. Auch von „Aida“-Inszenierungen sind zwei Fotos zu sehen: Das eine zeigt Ludovic Spiess als Radames in kurzem Feldherrnrock, das andere Viorica Cortez als Aida mit Schlangendiadem.
Verdis äthiopisch-ägyptisches Liebespaar wurde am Opernabend des 24. Januar von Silvia Sorina Munteanu (Aida) und dem bulgarischen Gaststar Kamen Chanev (Radames) gesungen, die dem Publikum großartige Momente und exquisite Hörgenüsse bescherten. Großen Beifall ernteten auch Ştefan Ignat als Äthiopierkönig Amonasro sowie ein weiterer bulgarischer Gast, die Mezzosopranistin Andreana Nikolova, als ägyptische Prinzessin und Aida-Rivalin Amneris.

Beeindruckend waren die von Stelian Olariu einstudierten Chöre (und Fernchöre), die von Francisc Valkay choreografierten Ballettnummern und nicht zuletzt das Opernorchester unter der musikalischen Leitung von Iurie Florea, wobei man oftmals mit dem Dirigenten und den Instrumentalisten Mitleid hatte, wenn das Publikum den orchestralen Abschluss einer Gesangsnummer durch wildes Beklatschen der Sänger unhörbar machte.

Die Regie (Plamen Kartalov) wurde den monumentalen Ansprüchen, die durch die kulturelle Szenerie Altägyptens und das pharaonische Ambiente der Oper mitgesetzt sind, vollauf gerecht. Massenaufzüge wie etwa der berühmte Triumphmarsch wurden mit großem Geschick in Szene gesetzt, auch wenn die Sänften der ägyptischen Herrscher und die Sonnenbarke, auf der Radames als Sieger hergetragen wird, manchmal bedenklich schwankten.

Bühnenarchitektur und Kostüme waren der ägyptischen Kunst und Natur nachempfunden: Riesige Tempelpylone, monumentale Wandreliefs, Palmen, Barken und priesterliche Requisiten fügten sich zu einem stilechten Ensemble, das durch das Ballett der ägyptischen Tempeltänzerinnen zusätzlich belebt wurde. Störend wirkten hingegen die Architekturteile, die mit Kassettenreliefs verziert waren. Abgesehen davon, dass die ägyptische Kunst Wandschmuck in Kassettenform nicht kennt, wirkten sie wie überdimensionale Kachelöfen.

Textgrundlage für Verdis Oper „Aida“ ist das Libretto von Antonio Ghislanzoni, das seinerseits auf der Erzählung „La Fiancée du Nil“ des Ägyptologen Mariette basiert, der als Archäologe die Tempelanlagen in Abydos und Edfu freilegte und als Begründer der Denkmalpflege in Ägypten gilt. Verdi komponierte seine Oper „Aida“ im Jahre 1870, sie war also nicht, wie oft kolportiert, anlässlich der Eröffnung des Suezkanals oder der Inauguration des Kairoer Opernhauses entstanden, zumal diese beiden Ereignisse bereits ein Jahr zuvor stattgefunden hatten.

Die Uraufführung von „Aida“ fand am 24. Dezember 1871 im Kairoer Opernhaus statt, das seinerzeit ebenfalls mit einer Verdi-Oper, und zwar mit „Rigoletto“, feierlich eröffnet worden war. Die Premiere von „Aida“ hatte sich verzögert, weil die in Paris gefertigten Kostüme und Requisiten während des Deutsch-Französischen Krieges in der von den Preußen belagerten französischen Hauptstadt eingeschlossen waren und erst mit Verzögerung nach Kairo verschifft werden konnten.

Die Verdische Oper „Don Carlo“, die auf Schillers Trauerspiel „Don Carlos“ beruht, erlebte ihre beiden Uraufführungen vier Jahre zuvor: diejenige in französischer Sprache am 11. März 1867 in Paris und diejenige in italienischer Sprache am 27. Oktober 1867 in Bologna. Während das Uraufführungspublikum eine fünfaktige Version der Oper mit einer Aufführungsdauer von fast fünf Stunden zu hören bekam, dauerte die in drei Teilen dargebotene konzertante Aufführung im Bukarester „Mihail Jora“-Saal des Rumänischen Rundfunks lediglich dreieinhalb Stunden, was aber dennoch einen schleichenden Zuhörerschwund in den Pausen nicht verhindern konnte.

Bedauerlicherweise! Denn das Nationale Rundfunkorchester und der von Dan Mihai Goia exzellent einstudierte Akademische Rundfunkchor boten zusammen mit den hervorragenden elf Gesangssolisten unter der Leitung des italienischen Dirigenten David Crescenzi, der die ganze Oper auswendig dirigierte, eine „Don Carlo“-Aufführung der Extraklasse!

Die Bukarester Darbietung stellte zugleich unter Beweis, dass eine konzertante Opernaufführung durchaus ihre Berechtigung hat, wenn es ihr gelingt, das Fehlen eines Bühnenbildes und das Ausbleiben dramatischen Agierens durch einen Gewinn an musikalischer Präsenz und Intensität zu kompensieren.

Ein Orchester, das nicht in der Versenkung seines Grabens verschwindet, sondern musikalische Verläufe lebendig zeigt, ein Opernchor, der nicht hinter der Staffage seiner Kostüme verblasst, sondern als ganz auf den Gesang konzentriertes geschlossenes Ensemble in Erscheinung tritt, noch dazu malerisch unter dem Orgelprospekt des Radiosaales, Gesangssolisten, die ihre Stimmfülle ganz den Zuhörern schenken können, weil sie sich nicht dem Partner, sondern dem Publikum zuwenden, all dies machte die Bukarester „Don Carlo“-Aufführung zu einem musikalischen Gewinn, der auch für die konzertante Aufführung der Wagnerschen „Ring“-Tetralogie im Rahmen des diesjährigen Enescu-Festivals hoffen lässt!

Nachteilig war indes das Fehlen von Über- oder Seitentiteln, das die Mitverfolgung der dramatischen und emotionalen Abläufe erschwerte und wohl mit zur Abwanderung eines Teils der Zuhörer beitrug. Im Gedächtnis haften bleiben die kräftigen Bassstimmen des Königs Philipp (Sorin Drăniceanu) und des Großinquisitors (Horia Sandu), der klangvolle Bariton des Marquis von Posa (Ionu] Pascu), der helle Tenor des Titelhelden (Daniel Magdal), der feine Sopran der Königin Elisabeth (Carmen Gurban) und der ausdrucksstarke Mezzosopran der Prinzessin Eboli (Andrada Roşu), und nicht zuletzt die souveräne Leitung des musikalischen Gesamtgeschehens durch den Dirigenten David Crescenzi, der auch dem applaudierfreudigen Publikum sein Recht zugestand, wenn es der musikalisch-dramatische Spannungsbogen erlaubte.