Freude, Glück, Leben im Moment

Coldplay im Berliner Olympiastadion

Coldplay-Sänger Chris Martin auf der Bühne | Foto: Andreas Arnold/dpa

Seit Jahren dem Tag entgegengefiebert, seit Wochen und Monaten in Erwartung auf das, was am 10. Juli endlich wahr werden sollte: An einem eher kühlen Sommerabend in Berlin traten Coldplay im großen Rund des Berliner Olympiastadions auf – ein absolutes Highlight für jene, für die der Sound der britischen Band Inspiration und Energiequelle ist. Mal laut, mal leise, mal bunt und schrill, mal intim und verhalten– ihre Show ist wie ihre Musik: ein Abbild des Lebens in all seinen Facetten. Die Music of the Spheres Welttournee bringt einiges aus dem neuen Album, doch vor allem die großen Hits, die sie zu dem gemacht haben, was sie heute sind, nämlich eine, wenn nicht die Band unserer Zeit, deren Shows zu dem Spektakulärsten und Beeindruckendsten gehören, was man heute erleben kann. 

Und tatsächlich: Zu John Williams‘ legendärer Musik zum Film E.T. treten die Coldplay-Jungs auf die Bühne und lassen es zu den Rhythmen von „Higher Power“ und Lichtfontänen richtig krachen. Sofort brodelt das Stadion, das Warten hat sich gelohnt, man ist von 0 auf 100 und die Stimmung grandios. Mit „Adventure of a Lifetime“ und „Paradise“ folgen gleich zwei weitere große Hits, riesige Luftballons werden in die Menge gereicht –  man freut sich wie ein Kind über das bunte Treiben, 70.000 Menschen stehen, tanzen, singen sich heiser.

Und dann, je dunkler die Berliner Sommernacht, desto heller leuchten die Armbänder, die jeder Besucher beim Eingang ins Stadion ausgehändigt bekommt. Das Olympiastadion ein beeindruckendes Lichtermeer: mal einfarbig, dann bunt, zuweilen werden rote Herzen in verschiedenen Bereichen des Stadions gezeichnet. Zu „Yellow“, sofern die Augen noch trocken, leuchtet die Arena in gelb. 

Zu verdanken ist die energiegeladene Stimmung der einnehmenden Persönlichkeit von Chris Martin, der singt, tanzt, Klavier und Gitarre spielt und über die weit ins Publikum hinein reichende Bühne rennt. Gleich vier Bühnen gibt es, die zu verschiedenen Momenten des Konzerts bespielt werden: eine große Hauptbühne und drei kleinere, an verschiedenen Stellen eines Stegs, der den gesamten Stehplatzbereich durchquert. So steht die Band bei „Viva la vida“ in der Mitte des Runds und der Klang der für diesen Song typischen Glocken erfüllt den Raum. 

Für „Something Just Like This“ wird ein ukrainischer Kinderchor auf die Bühne eingeladen und singt gemeinsam mit Chris Martin an der Gitarre unter dem tosenden Beifall des Publikums. Eine wunderbare Geste der Solidarität und für die Jugendlichen ein unvergesslicher Moment. 

Überhaupt gehört Humanität und Respekt für den Anderen (Everyone is an alien somewhere – „Jeder von uns ist irgendwo ein Fremder“ ist eines der Mottos der Tour) und für unsere Welt zur DNA dieser Band, verkörpert durch ihren Leadsänger, der sich ebenfalls für Natur- und Klimaschutz stark macht. 

„Midnight“ bereitet den absoluten Höhepunkt des Abends vor: „A Sky Full of Stars“ lässt die Herzen höher schlagen. Martin fordert das Publikum auf, die alles aufzeichnenden Handys wegzulegen und den einzigartigen, nie mehr wiederkehrenden Moment zu leben. Wie mit einer Stimme singen alle mit und auf dem Berliner Nachthimmel sind die ersten Sterne zu sehen. Im Herzen hat wohl jeder seinen eigenen Stern, der scheint. Der typische Coldplay-Sound, der sich symphonisch in einem rauschhaften Crescendo steigert, trägt das Publikum wie auf Händen. Freude, Glück, Leben im Moment. Einzigartig.

Mit „Sparks“ und „Magic“ kommen dann leisere Töne zum Einsatz. Träumerisch, melancholisch, voller Hoffnung auf das Gute. Wie das gesamte Universum von Coldplay. Wie das gesamte Universum der Coldplay-Fans. So erklärt sich auch die ungebrochene und legendäre Popularität von „Fix you“, das volle Stadien überall auf der ganzen Welt mitsingen, in einem Wunsch, die Welt zu einem besseren und lebenswerten Ort zu machen. 

„Everglow“ (ewiges Scheinen) spielen Coldplay an diesem Abend nicht. Doch der Abend selbst scheint durch die Musik, die Künstler und die 70.000, die Teil dieser Erfahrung waren. 

Was bleibt, ist die einzigartige Atmosphäre, eine Stimmung wie ein Rausch, die Gemeinschaft, die durch die Musik für einen Moment erschaffen wurde, und vor allem die Liebe, die in der Luft liegt, die Gefühle, die durch die Musik erweckt werden, die Schönheit, die wir in den Menschen an unserer Seite entdecken, die uns Inspiration und Quelle des Glücks ist. Es ist eben jenes Everglow, das man beim Verlassen des Stadions mit und in sich trägt, für Stunden, Tage, wahrscheinlich für immer, als Erinnerung an das, was das Leben lebenswert macht.