Frieder Schullers Film „Im Süden meiner Seele“

Online-Veranstaltung des Rumänischen Kulturinstituts Berlin

Am Abend des 7. Mai konnte man per Live-Streaming einem Online-Event des Rumänischen Kulturinstituts Berlin beiwohnen, das dem kurz vor der Wende in Rumänien gedrehten Biopic Frieder Schullers mit dem Titel „Im Süden meiner Seele“ gewidmet war. Der Film, der die Bukarester Jahre des rumänisch-jüdischen Dichters deutscher Zunge Paul Celan zum Gegenstand hat, kann noch bis 5. Juni unter folgendem Link aufgerufen werden: https://vimeo.com/415103364


Wer neben dem 90-minütigen Film außerdem auch das Interview nachverfolgen möchte, das der Direktor des Rumänischen Kulturinstituts Berlin, Claudiu Florian, mit dem Regisseur des besagten Celan-Films am selben Abend des 7. Mai in einer Online-Videokonferenz geführt hat, kann dies unter Zuhilfenahme folgenden Links ebenfalls noch bis 5. Juni tun: www.icr.ro/berlin/prezentarea-online-a-filmului-in-sudul-sufletului-meu/de

Der Lyriker, Dramatiker, Journalist, Drehbuchautor, Filmemacher und Theatermann Frieder Schuller wurde 1942 im siebenbürgischen Katzendorf/Cața bei Reps/Rupea geboren und wanderte Ende der siebziger Jahre aus der Sozialistischen Republik Rumänien in die Bundesrepublik Deutschland aus, wo er in den achtziger Jahren mehrere Filme drehte: so 1983 den Dokumentarfilm über den österreichischen Raketenpionier Conrad Haas, der im 16. Jahrhundert, u. a. auch im siebenbürgischen Hermannstadt, lebte; oder 1984 den Spielfilm „Der Glockenkäufer“, der im Spannungsfeld zwischen siebenbürgischer Vergangenheit und bundesrepublikanischer Gegenwart angesiedelt ist.

Der vom Bayerischen Rundfunk im Jahre 1988 produzierte und hauptsächlich in Rumänien gedrehte Film „Im Süden meiner Seele“, bei dem Frieder Schuller Regie führte und für den er selbst das Drehbuch schrieb, widmet sich einem speziellen Abschnitt der Biografie des 1920 im damals rumänischen Czernowitz geborenen und 1970 in Paris durch Freitod aus dem Leben geschiedenen Dichters und Übersetzers Paul Celan: nämlich den Jahren 1945 bis 1947, während deren Paul Celan in Bukarest als Lektor im Verlag „Cartea Rusă“ (Das Russische Buch) tätig war.

In diese Zeit fällt auch die erstmalige Publikation von Paul Celans berühmtestem Gedicht „Todesfuge“. Es erschien im Jahre 1947 zunächst in rumänischer Übertragung von Petre Solomon unter dem Titel „Tangoul morții“ (Todestango), und zwar in der Nr. 32 der rumänischen Literaturzeitschrift „Contemporanul“ (Der Zeitgenosse) vom 2. Mai 1947. Man wird in Frieder Schullers Film Zeuge des Moments der Drucklegung dieses Celanschen Gedichts: Auf den aus der Druckerpresse herausgleitenden Druckfahnen kann man sogar die Illustration zur Erstveröffentlichung der „Todesfuge“ wieder erkennen. Erst ein Jahr später, 1948, erschien das Gedicht dann erstmals auch in deutscher Originalsprache.

In dem genannten Online-Gespräch mit Claudiu Florian berichtet Frieder Schuller, mit welchen Schwierigkeiten er bei den Dreharbeiten zu „Im Süden meiner Seele“ konfrontiert war. So durfte er damals beispielsweise kein eigenes Kamerateam nach Rumänien mitbringen, und außer ihm selbst war es nur zwei Schauspielern gestattet, zu den Filmarbeiten nach Rumänien zu reisen. Es handelte sich dabei um Michael Goldberg, der den Celan der Bukarester Jahre zur Darstellung brachte, und um die damals schon berühmte Gudrun Landgrebe („Die flambierte Frau“), die Paul Celans Freundin Ruth Kraft verkörperte, welche damals als Schauspielerin am Jiddischen Staatstheater in Bukarest wirkte.

Diese Einschränkungen taten dem Film aber keinen Abbruch, denn ein hervorragendes rumänisches Kamerateam begleitete die gesamten Dreharbeiten. Rumänische Darsteller, unter ihnen bekannte Namen wie Ion Besoiu, Emilia Dobrin oder Tania Filip, übernahmen die Rollen der Freunde und Zeitgenossen Paul Celans, die sie aufgrund ihres eigenen rumänischen Hintergrundes wahrscheinlich besser darboten, als dies Schauspieler aus der Bundesrepublik Deutschland jemals gekonnt hätten. Gleichwohl ist das kinematografische Endprodukt, der Film „Im Süden meiner Seele“, gänzlich in deutscher Sprache gehalten, abgesehen von diversen Liedeinlagen oder kurzen alltagssprachlichen Fragmenten auf Rumänisch.

Für einen Kenner des lyrischen Oeuvres und der  Biografie des Dichters Paul Celan ist es eine große Freude zu sehen, wie Frieder Schuller nicht nur das Frühwerk des Lyrikers in seinen Film mit aufnahm, sondern vor allem auch, wie der Regisseur Paul Celans Lebenswelt seiner Bukarester Zeit in diesem Film wiedererstehen ließ. Nicht von ungefähr erscheint im Abspann des Films folgende Mitteilung: „Unser Dank gilt den Freunden und Zeitgenossen, ohne deren Berichte und Erinnerungen dieser Film nie entstanden wäre.“

Edith Silbermann, Nina Cassian, Rose Ausländer, Petre Solomon, Immanuel Weissglas, die bereits erwähnte Ruth Kraft, alle kommen sie in Frieder Schullers Film zu Wort und zur Erscheinung, und natürlich wird auch der rumänischen Hauptstadt Bukarest die ihr gebührende Rolle zuteil, selbst wenn man dabei nicht alles dort Gezeigte dokumentarisch wörtlich nehmen darf. So erschoss sich beispielsweise der Deutsche Gesandte Manfred Freiherr von Killinger 1944 nicht im Gebäude des späteren Odeon-Theaters, um der Verhaftung durch die Rote Armee zu entgehen, sondern im damaligen Gebäude der Deutschen Gesandtschaft, das momentan einer umfassenden Renovierung unterzogen wird, anderthalb Kilometer weiter nördlich auf derselben Seite der Calea Victoriei.

Interessant ist, wie Frieder Schuller mit seinem Film auch zu Plagiatsvorwürfen Stellung bezieht, mit denen sich Paul Celan immer wieder konfrontiert sah, nicht nur im Rahmen der Goll-Affäre, sondern auch im Hinblick auf das Gedicht „Todesfuge“. In einer Schlüsselszene des Films rezitiert Immanuel Weissglas sein eigenes Gedicht „Er“, das zahlreiche sprachliche Elemente bereits enthielt, aus denen Celan dann später seine „Todesfuge“ komponierte. Der Film zeigt die Entstehung der „Todesfuge“ nach der Art gemeinschaftlichen romantischen oder surrealistischen Sympoetisierens, wobei Celan die Rolle des Meisters zukommt, der das Werkstück der Gesellen, wie in einer Malerwerkstatt der Renaissancezeit, schließlich selbst und eigenhändig zur Vollendung bringt.

Im Kontext dieser Szene bittet Celan auch Rose Ausländer um die Überlassung der beiden Anfangsworte seiner „Todesfuge“, der Zweiwortfügung „schwarze Milch“, die Ausländer mehrere Jahre zuvor in einem ihrer in Czernowitz publizierten Gedichte bereits einmal verwendet hatte. Rose Ausländers Antwort auf Celans Bitte fällt deutlich aus: „Ich bin sicher, Sie werden einen viel ausgereifteren und besseren Text aus diesen beiden Worten machen, als es mein Jugendgedicht von damals gewesen ist.“ Und dann folgt obendrein die poetische Absolution Paul Celans durch die um zwei Dekaden ältere Dichterkollegin: „Ich bin der Ansicht, jeder sollte sich das holen, was er vom Anderen brauchen kann.“

Frieder Schuller zeigt Paul Celan in seinem Film aber nicht nur als Dichter, sondern auch als Mensch, als Causeur und Charmeur, als Liebhaber und Frauenheld, als Unterhalter und Performer, der durch seine Lieder, Worte und Erzählungen ganze Gesellschaften mitreißen konnte – ein Aspekt der Persönlichkeit Paul Celans, der, wie der Regisseur in besagtem Interview zum Ausdruck bringt, von der bundesdeutschen Literaturkritik eher unter den Tisch gekehrt wurde, obwohl deutsche Dichterkollegen wie etwa Günter Grass solches aus eigener Erfahrung bestätigten.

Eine grandiose Szene ganz am Anfang des Films zeugt genau davon, obwohl Celan sich darin gerade nicht als Stimmungskanone, sondern ganz im Gegenteil als Stimmungskiller erweist. Denn mitten in die ausgelassene Festesfreude einer Party hinein rezitiert er, indem er den Rhythmus mit seinen Handflächen auf den Resonanzboden eines Kontrabasses trommelt, das Kriegs- und Fahrtenlied „Der Tod in Flandern“, quasi als Entsprechung zu jener altägyptischen Bankettsitte, von der Herodot berichtet, dergemäß mitten in einem Festmahl als Memento mori ein Skelett aufgetragen zu werden pflegte. Paul Celan, der dieses Fahrtenlied sehr schätzte, war besonders von dem darin wiederholten Vers „Gestorben, gestorben, gestorben muss sein“ fasziniert.

Frieder Schullers Film schildert nicht nur das Bu-karester Leben Paul Celans, sondern setzt auch Ferienaufenthalte am Schwarzen Meer und Gesellschaften in ländlichen Umgebungen mit typisch rumänischer Folklore in Szene. Und schließlich wird auch Celans Flucht aus dem Heimatland, gemeinsam mit einem siebenbürgischen Bauernsohn namens Hans, filmisch erzählt. Auf Schusters Rappen, als Tramps im Güterzug, als Mitfahrer auf der Ladefläche eines Militärlastwagens kommen die beiden Migranten im Nachkriegseuropa über Ungarn und die österreichische Grenze bis nach Wien, das Paul Celan schließlich am 17. Dezember 1947 erreicht, mit einem Empfehlungsschreiben von Alfred Margul-Sperber in der Tasche und voller Hoffnung auf ein Leben als anerkannter Dichter deutscher Sprache im westlichen Ausland.