Grenzüberschreitende Geschichte des Banats

Monografie der Region, herausgegeben von Victor Neumann, in Bukarest präsentiert

Victor Neumann spricht über das vom ihm koordinierte Forscherteam, das an dem Buch über die Geschichte des Banats gearbeitet hat.
Foto: Aida Ivan

Das Banat – ein Schnittpunkt Mitteleuropas mit dem Balkan. Eine Region, wo europäische und rumänische Einflüsse verschmolzen sind. Doch: Wie tief haben sie gewirkt? Welche Rolle haben die vielfältigen Einflüsse der unterschiedlichen Herrschaften im Laufe der Zeit gespielt? Sind sie heute noch wahrnehmbar oder relevant? Und: Seit wann gibt es eigentlich ein Banat als solches?

Eine Gesellschaft habe eine Zukunft, solange sie eine Vergangenheit hat, die sie zurückfordern kann. Es gab eine Zeit, in der eine Verknüpfung zwischen Temeswar und Wien, zwischen dem Banat und Österreich möglich war. Dabei ging es um Nachbarschaften, die sich akzeptierten und einander beeinflussten. Wien war mit der Geografie, Geschichte und der Kultur des Banats verbunden. Dass die historischen Realitäten direkt mit den Zukunftsprojekten verbunden seien, erklärt der Geschichtsforscher Victor Neumann in einem seiner Beiträge.

Es gibt Menschen, die daran interessiert sind, die historisch-politischen Realitäten des Banats zu untersuchen, die Vergangenheit zu hinterfragen – und diese mit der Gegenwart und der Zukunft zu verbinden. Sie haben die Bedeutung der einzigartigen Position dieser gesamten Region entschlüsseln wollen.

„Wenn wir annehmen, dass das Banat eine reiche Geschichte hat, also eine geerbte Identität, dann sind wir berechtigt, auf eine Zukunft dieser Region zu hoffen“, meint derselbe Victor Neumann. Jetzt kommt die Frage: War das Banat eine wohlhabende Region, ist sie es noch oder wird sie es sein? Das fragte sich der Forscher im Rahmen einer internationalen Tagung in seiner Heimatstadt Lugosch vor zwei Jahren.
Victor Neumann hofft auf die Wiedergeburt des Banats. Er findet, dass die Lösungen des morgigen Lebens sich in den Vorbildern und in den Werten widerspiegeln, die von den Ahnen hinterlassen wurden. An diesem Ziel scheint er eifrig zu arbeiten, zum Beweis dafür steht seine bisherige Tätigkeit. Victor Neumann wurde 1953 in Lugosch/Lugoj in einer Intellektuellenfamilie geboren. Zusammen mit dem deutschen Professor Armin Heinen von der Universität Aachen hat er die Doktorandenschule für Begriffsgeschichte „Reinhart Koselleck“ gegründet. Dr. Victor Neumann, Professor an der Westuniversität Temeswar und Direktor des Kunstmuseums derselben Stadt, ist ein eifriger Forscher im Bereich der Multikulturalität. Kürzlich präsentierte er als Herausgeber das Buch „Istoria Banatului“ (Die Geschichte des Banats), in dem die Besonderheiten der grenzüberschreitenden Region Banat unter die Lupe genommen werden.

Die Forschungen von Neumann sind stark in der Realität verankert. Das Buch ist sehr aktuell und hat einen praktischen Zweck, wenn man die Absicht Temeswars bedenkt, 2021 europäische Kulturhauptstadt zu werden. Das sei ein echter Impulsgeber für das ganze Banat und die Banater können dann auf die Wiedergeburt der Region hoffen.

Der Band, an dem 15 Forscher gearbeitet haben, wurde aus mehreren Perspektiven geschrieben - rumänisch, serbisch, ungarisch und gleichzeitig europäisch. Im Saal des Rektorats der Bukarester Universität berichtete Akademiemitglied Răzvan Theodorescu Ende Juni von der Initiative seines einstigen Doktoranden Victor Neuman: der erste Band der Geschichte des Banats, an dem ein internationales Team von Historikern gearbeitet hat. Forscher wie Miodrag Milin, Vasile Dudaş, Teodor Octavian Gheorghiu, Grozdanka Gojkov, Slobodan Bjielica, Laszlo Marianucz, Drago Njegovan u. a. haben unterschiedliche Bereiche des Lebens vor Hunderten von Jahren analysiert.  Anvisiert wurde nicht nur der rumänische Raum, sondern auch der serbische und der ungarische.

Die Diskussion moderierte Romiţă Iucu. Es sprachen hochrangige Wissenschaftler, u. a. Ioan Păun Otiman, Bogdan Murgescu und Adrian Cioroianu und letztendlich Victor Neumann.

„Ich betrachte Victor Neumann als einen Fortsetzer dessen, was ich gemacht habe. Beeindruckt war ich nicht so sehr von dem wissenschaftlichen Horizont, sondern von der Art und Weise, wie er 15 Autoren mobilisieren konnte, die aus verschiedenen Bereichen kommen – Historiker, Kunsthistoriker, Soziologen, die in Richtung Serbien und Ungarn geblickt haben“, begann Răzvan Theodorescu, der die Entwicklung der verschiedenen historischen Regionen Rumäniens nicht als getrennt, sondern als spezifisch betrachtet. Dabei hat er die Wichtigkeit solcher Multikulti-Regionen in Europa hervorgehoben, die nicht gerade zahlreich sind. Eine Monografie über jede historische Region aus Rumänien – wie das Buchenland, die Moldau, die Maramuresch oder die Dobrudscha – würde das Land stark bereichern, sagte das Akademiemitglied.

Ioan P²un Otiman betrachtet das Banat als Raum des Gleichgewichts und des sozialen Friedens. Aus diesem Grund sei das Buch eine wichtige Fallstudie der Mehrsprachigkeit und Interethnizität. „Ich kenne nicht viele Regionen in Europa, wo es so große soziale Eintracht gibt“, sagte er anschließend und ergänzte, dass auch der wirtschaftliche Aspekt der Region interessant gewesen wäre. Zum Wert der Unterschiede äußert sich Adrian Cioroianu, er betrachtet Victor Neumann als einen der aktivsten Intellektuellen im Land in den letzten zwei Jahrzehnten.

Spontan entstand darauf eine Debatte zum Thema Regionalisierung. Argumentiert wurde, dass die Regionalisierung Rumäniens nach dem Kriterium des Kulturerbes jeder Region durchgeführt werden sollte, und nicht ausgehend von Spekulationen. Nur so könne man von einer einträchtigen Entwicklung der Wirtschaft sprechen. „Rumänien braucht mehrere Motoren, um sich wirtschaftlich, gesellschaftlich und kulturell entwickeln zu können. Wenn es je einen Motor in Temeswar/ Timişoara, Klausenburg/Cluj-Napoca, Jassy/Iaşi, Konstanza/Constanţa oder Craiova gibt, dann hat das ganze Land zu gewinnen“, meint Victor Neumann, der anschließend über das Buch sprach.

Die Problematik der Geschichte des Banats vor 1718, als es unter österreichische Herrschaft kam, die Entstehung der Identität und des kulturellen Gedächtnisses im 18. und 19. Jahrhundert, die Kolonisierungen – solche Themen und viele andere wurden behandelt. Das Vorhaben der Autoren war es, den bisherigen Forschungsstand zu berücksichtigen und die Geschichte des Banats in einer neuen Form zu analysieren, damit sie aus der Perspektive der Methode ein gutes Beispiel für die rumänische Historiografie, für die integrierte Regionalgeschichte sein kann“, so Neumann.

Die transkulturelle, transnationale Region des Banats ist so groß wie die Niederlande und erstreckt sich über Rumänien, Serbien und Ungarn. „Natürlich wollten wir alle diese kulturellen, sozialen, konfessionellen Facetten behandeln“, meint der Koordinator des Bandes. „Wir müssen die Sachen ohne Vorurteile betrachten, sodass wir die Identität und das kulturelle Gedächtnis einer Region definieren können. Mit diesem Ziel haben wir den Band entworfen, wo wir alle religiösen Bewegungen hervorgehoben haben, die es hier gibt“, ergänzt Neumann. Erwähnt hat er die Identität, bei der die Interferenzen von Kulturen das Sagen haben. Das einträchtige Zusammenleben der Minderheiten betrachtet er als europäisch und er gab das Beispiel von Dörfern, wo einfache Bauern drei oder vier Sprachen sprachen, ohne eine Schule besucht zu haben. „Von solchen Beispielen bin ich ausgegangen, um zu entdecken, was die Identität dieser Region bedeutete. Multikulturalität und Interkulturalität sind Realitäten dieser Region. Mit ihrer Hilfe können wir die kulturelle Dimension Rumäniens verstehen. Das ist eine Brücke zur europäischen Welt im Westen“, sagte Neumann.

Der Forscher bezog sich dann auf eine Periode, in der man über Temeswar dachte, dass die Stadt zu kosmopolitisch sei, denn man spreche zu viele Sprachen. Die Temeswarer sprachen tatsächlich Deutsch als Umgangssprache, egal ob sie Rumänen, Serben oder Juden waren. Neumann erwähnte eine Statistik aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, die zeigt, dass der größte Teil der Bevölkerung aus deutschen Muttersprachlern bestand – 32 Prozent. 30 Prozent waren damals ungarische und 26 Prozent rumänische Muttersprachler.

Veröffentlicht wurde „Istoria Banatului“ unter der Schirmherrschaft der Rumänischen Akademie. Das Buch wird in Temeswar nächste Woche im Bürgermeisteramt präsentiert und kann zurzeit in der Buchhandlung des Kunstmuseums Temeswar gekauft werden.