Haydns „Morgen“, Tschaikowskys „Pathétique“ und ein Doppelkonzert von Mozart

Das Symphonieorchester der Philharmonie „George Enescu“ im Bukarester Athenäum

Der aus China gebürtige Dirigent Jin Wang, der des Öfteren schon in Bukarest zu Gast war und das rumänische Konzertpublikum jedes Mal mit seiner Sensibilität und Hingabe als Dirigent begeisterte, führte am Donnerstag vergangener Woche gemeinsam mit dem Symphonieorchester der Philharmonie „George Enescu“ zwei Werke der Wiener Klassik und eine spätromantische Symphonie auf. Das Konzert im vollbesetzten Bukarester Athenäum begann mit der sechsten Symphonie von Joseph Haydn, die den Beinamen „Der Morgen“ trägt, dann folgte das Doppelkonzert für Flöte, Harfe und Orchester von Wolfgang Amadeus Mozart, und nach der Pause wurde Tschaikowskys sechste Symphonie, die auch unter dem Namen „Pathétique“ bekannt ist, zu Gehör gebracht.

Haydns sechste Symphonie in D-Dur wurde in jenem Zeitraum komponiert, als der aufstrebende Komponist im Alter von noch unter dreißig Jahren sich bei Fürst Paul II. Anton Esterházy de Galantha um eine Anstellung als Dirigent bewarb, die er 1761 dann auch erhielt und fast fünfzig Jahre lang bei dieser wohlhabenden Familie des ungarischen Hochadels, die zudem über ein hervorragendes Orchester verfügte, bis zu seinem Tod im Jahre 1809 auch behielt. Die sechste Symphonie eröffnet den einzigen zusammenhängenden Zyklus in Haydns symphonischem Schaffen, den Zyklus der Tageszeiten, der sich in der siebten Symphonie („Der Mittag“) fortsetzt und in der achten Symphonie („Der Abend“) zum Abschluss kommt. Ob ein viertes symphonisches Werk („Die Nacht“) je existierte, ist unter den Musikwissenschaftlern umstritten.

Jin Wang ließ den ersten Satz dieser vier Sätze umfassenden Symphonie im Bukarester Athenäum mit wunderbaren Streicherklängen im Pianissimo beginnen, das dann in einem wachsenden Crescendo auch die Bläser in dieses musikalische Geschehen, welches man programmmusikalisch als Sonnenaufgang interpretieren könnte, mit einbezog. Dass Haydns „Morgen“ noch ein Entwicklungsstadium auf dem Weg von der alten Suitenform hin zur neuen symphonischen Sonatenhauptsatzform darstellt, konnte man beim Allegro-Einsatz der Flöte im selben Satz spüren, die an dieser Stelle, wie weitere Blas- und Streichinstrumente an anderen Stellen in dieser Symphonie auch (Oboe, Fagott, Horn, Violine, Viola, Cello, Kontrabass), solistisch zu vernehmen war. Im Adagio-Eröffnungsteil des zweiten Satzes ließ Jin Wang die Zuhörer nochmals den ätherischen Genuss reiner Streicherklänge im Pianissimo erleben, bevor das Menuett des dritten Satzes und das Allegro des Finalsatzes die anspruchsvolle und fein gearbeitete frühe Symphonie Haydns lebhaft ausklingen ließ.

Wolfgang Amadeus Mozarts Konzert für Flöte, Harfe und Orchester in C-Dur (KV 299) ist eines von vier Doppelkonzerten – neben dem Concertone für zwei Soloviolinen (KV 190), dem Konzert für zwei Klaviere (KV 365) und dem Fragment gebliebenen Konzert für Klavier, Violine und Orchester (KV Anh. 56) – des großen Komponisten der Wiener Klassik und außerdem das einzige Werk Mozarts, in dem eine Harfe besetzt ist, wenn man von der optionalen Harfenfassung der sechs Violinsonaten (KV 26-31) einmal absieht. Die Solisten dieses Doppelkonzertes waren der Flötist Ion Bogdan Ştefănescu und der Harfenist Ion Ivan Roncea, und das Orchester der Philharmonie „George Enescu“ kann sich glücklich schätzen, solche Meister ihrer Instrumente zu seinen Ensemblemitgliedern zählen zu können.

Ion Bogdan Ştefănescu und Ion Ivan Roncea stellten denn auch ihr stupendes Können nicht nur in den vom Orchester begleiteten solistischen Passagen dieses Doppelkonzertes unter Beweis, sondern vor allem auch in den Kadenzen und in einem lyrischen Duett als Zugabe, das den begeisterten Applaus des Publikums, welches seine Bukarester Solisten doppelt feierte, nur kurz unterbrach. Besonders interessant war auch das Seh- und Hörerlebnis, das die Harfe als Instrument den Zuhörern an diesem Abend bescherte. Während die Harfe sonst immer am hinteren Bühnenrand ein Schattendasein fristet, erstrahlte sie nun an der Rampe und füllte den Kuppelraum des Bukarester Athenäums auf besondere Weise: strömten die höheren Harfentöne unmittelbar in den Zuhörerraum hinein, so schienen die tieferen Töne von der Rundwand und aus der Kuppel zu den Ohren der Zuhörer herüber und herab zu kommen. So schuf die Harfe als Soloinstrument einen ganz besonderen Raumklang, wie ihn insbesondere auch die Orgel im Athenäum zu erzeugen in der Lage ist.

Nach der Pause stand dann Pjotr Iljitsch Tschaikowskys letztes Werk, die neun Tage vor seinem Tode im Oktober 1893 unter eigener Leitung von ihm selbst in Sankt Petersburg uraufgeführte sechste Symphonie in h-Moll (op. 74), auf dem Programm. Tschaikowsky war sich des Charakters dieser Symphonie als eines Requiems und eines Vermächtnisses wohl bewusst. So akzeptierte er auch am Tage nach ihrer Uraufführung den Vorschlag seines Bruders Modest, ihr den Beinamen „Pathétique“ zu verleihen, mit Begeisterung. Die Gefühlstiefe und Schicksalsschwere dieses Werks wurde an diesem Konzertabend im Bukarester Athenäum dann auch auf eine ganz besondere Weise Wirklichkeit, weil der Dirigent Jin Wang, noch bevor er die düstere Adagio-Einleitung des ersten Satzes erklingen ließ, sich mit bewegten und bewegenden Worten an das Publikum wandte. Er betonte dabei die Fähigkeit dieser Symphonie, stärkste Emotionen und persönlichste Geheimnisse musikalisch zu transportieren und diese klangvoll und zugleich verschwiegen zu teilen.

Er, Jin Wang, selbst habe vor fünfzehn Jahren einen schweren Schicksalsschlag hinnehmen müssen und habe deshalb in seiner Dirigentenlaufbahn Tschaikowskys „Pathétique“ wegen ihrer emotionalen Kraft und Tiefe seitdem immer gemieden, aber an diesem Abend öffne er sich diesem Werk von Neuem und widme die Aufführung dieses Konzertabends seinem zwei Tage zuvor verstorbenen ersten Lehrer in der Kunst des Dirigierens. Nach dieser spürbar emotionalen Ansprache, deren Intensität sich nicht nur auf die Musiker, sondern auch auf die Zuhörer übertrug, wurde die Aufführung der vier gewaltigen Sätze dieser Symphonie zu einem überwältigenden Genuss, den nicht einmal das in Bukarest leider übliche Hineinklatschen in die Pause zwischen dem kraftvollen dritten Satz Allegro molto vivace und dem Adagio lamentoso des Finalsatzes der „Pathétique“ trüben konnte. Am Ende von den Emotionen ergriffen und zugleich befreit, feierte das im Bukarester Athenäum versammelte Publikum den chinesischen Meisterdirigenten mit anhaltendem, begeisterten und Anteil nehmendem Beifall.