Herrscher, Helden und ein Truthahn

Das Lebenswerk des deutsch-rumänischen Bildhauers Oscar Han

Die verschollene Statue des Königs Ferdinand aus Chișinău, Republik Moldau, Bronze (1939)

Der Truthahn im Bukarester König-Michael-I.-Park, Bronze (1960)

Eminescu-Kopf in Bronze

Die Gruppe der Vier: v.l.n.r. Oscar Han, Ștefan Dimitrescu, Nicolae Tonitza und Francisc Șirato
Fotos: Archiv von Dr. Cristian Scarlat

Von Büsten und Statuen historischer und zeitgenössischer Persönlichkeiten der rumänischen Politik und Kultur zu Reiterstatuen, Grabdenkmälern bis hin zur Truthahn-Skulptur  im Bukarester König-Michael-I.- Park  - dies hat alles der berühmte deutschstämmige Bildhauer Oscar Han geschaffen. Insgesamt 42 öffentliche Denkmäler und zwei Grabdenkmäler, an denen jeder von uns wissentlich oder auch nicht vorbeigegangen ist, hat dieser hinterlassen.

Zur Fortsetzung der Oscar Han gewidmeten Veranstaltungsreihe anlässlich seines 2021 begangenen 130. Geburtstages und 45. Gedenktages seines Todes hat Dr. Cristian Scarlat, Historiker, Geschichtsforscher und rumänischer Vertreter des Volksbundes Deutsche Kriegsgräberfürsorge (VDK), das Werk des Meisters im Rahmen der Vorlesung „Der Bildhauer Oscar Han. Seine öffentlichen Denkmäler heute“ im Kulturhaus „Friedrich Schiller“ in Bukarest  vorgestellt.

Wer war Oscar Han?

Der Bildhauer Oscar Han wurde am 3. Dezember 1891 in Bukarest als Sohn eines Vaters deutscher Herkunft und einer rumänischen Mutter aus Foc{ani geboren. Seine rumänische  Staatsbürgerschaft erhielt er erst im Juni 1919 unter Berufung auf seinen Geburtsort und seine Teilnahme am Feldzug von 1916-1918. Er starb am 17. Februar 1976.
Der 130. Jahrestag seiner Geburt, aber auch das Gedenken an den 45. Todestag des Meisters im vergangenen Jahr waren von ganz besonderen kulturellen Veranstaltungen in Konstanza und Bukarest geprägt. Bemerkenswert sind jedoch das posthume Erscheinen der von der verstorbenen Kunsthistorikerin, -kritikerin sowie Direktorin des Kunstmuseums  in Konstanza Dr. Doina P²uleanu signierten Monographie „Oscar Han – ein Künstler und seine Zeit“ und die retrospektive Ausstellung im Bu-karester Museum der Kunstsammlungen.

Kunst und Krieg

Dr. Scarlat erwähnte den Eintrag über Oscar Han in der rumänischen Enzyklopädie „Cugetarea“ (1940), wo er als „wichtiger Bildhauer“ aufscheint.  Der Meister führte eine langjährige, fruchtbare künstlerische Tätigkeit aus, welche die rumänische Bildhauerei des 20. Jahrhunderts nachdrücklich prägte. Oscar Han war Schüler des bedeutenden Bildhauers und Professors Dimitrie Paciurea und wurde allmählich sein Kollege. Han entwickelte seinen eigenen Stil, der sich in Linien und Formen von großer plastischer und symbolischer Kraft ausdrückt, sowohl in kleinen als auch in monumentalen Skulpturen.

Bereits Autor des Denkmals für die Helden 1877-1878 des 4. Linienregiments, war Oscar Han Teil der Gruppe von 30 Künstlern, die 1917 vom Generalkommando der Armee mobilisiert wurden, um „Werke zu schaffen, welche die wichtigsten Ereignisse des Krieges darstellen sollen, sowohl die Notzeiten als auch die Bemühungen, durch die wir hoffen, unser nationales Ideal zu verwirklichen“. Die damals erlebte Erfahrung findet sich in den Werken wieder, die der Künstler in der Zwischenkriegszeit geschaffen hat.

Oscar Han zeichnete sich in der Kunstszene der Zwischenkriegszeit durch zahlreiche Aufträge für öffentliche Plätze aus, aber auch durch die Ausstellungen, die er zusammen mit der Gruppe der Vier, welche aus den berühmten Malern Nicolae Tonitza, Francisc [irato, [tefan Dimitrescu und ihn bestand.

Eine beträchtliche Anzahl von Oscar Han signierten Büsten und Statuen schmücken noch heute den öffentlichen Raum, einige gut hervorgehoben, andere durch unerbittliche Vegetation oder aufgrund einer unglücklichen Lage verborgen. Museen und Privatsammlungen bewahren und stellen Werke des Meisters aus. Persönlichkeiten des kulturellen, wissenschaftlichen oder politischen Lebens können in den Büsten des produktiven und erfahrenen Bildhauers erkannt werden.

Feinde und Freunde

Nachdem ihn das kommunistische Regime vom Lehrstuhl der Kunstuniversität entfernt hatte, setzt man ihn allmählich als Professor wieder ein und gibt ihm erneut die Chance, unter anderem große öffentliche Denkmäler zu schaffen. Ohne die gleiche Brillanz wie früher zu haben, erhält er immer noch Aufträge. Als emeritierter Meister der Kunst werden Han  hohe Auszeichnungen der Republik wie der Stern Rumäniens verliehen, aber er erlangt die Würde eines Mitglieds der Rumänischen Akademie im Gegensatz zu anderen Künstlern nicht.

Von der Natur her war der Meister ein sehr kritischer Geist mit einer scharfen Persönlichkeit, der sich mehr Menschen zu Feinden als Freunde machte. Obwohl sein Freundeskreis geringer war als die Anzahl der Leute, die ihm feindlich gesinnt waren, pflegte er eine enge Freundschaft unter anderen mit dem Bildhauer Ion Irimescu, der ihn als Professor schätzte, mit dem Kunstkritiker Oskar Walter Czizek, der ihn stets unterstützte, mit dem Ästhetiker und Literaturkritiker Tudor Vianu, der ihn bewunderte und lobte, mit dem Philosophen und Schriftsteller Lucian Blaga, der ihn hochachtete, mit seiner Künstlergruppe und dem berühmten Maler Theo- dor Pallady, der die Beteiligung Hans an Ausstellungen in Paris bespricht und dabei zugibt, sich gewünscht zu haben, das fünfte Mitglied der Gruppe der Vier zu sein.

Denkmäler im ganzen Land

Die bekanntesten Werke seines Schaffens sind die Statuen des Herrschers Constantin Brâncoveanu, welche sich keiner öffentlichen Enthüllung erfreute, was den Bildhauer wohl nervte, und des Politikers Mihail Kog²l-niceanu in Bukarest, die Reiterstatue des Herrschers Michael des Tapferen in Karlsburg/Alba Iulia, die Siegesstatue in Tișița bei Mărășești und ihre Kopie in Giurgiu, die Büste des Bauingenieurs und Ministers Anghel Saligny in Konstanza und selbstverständlich die dem Nationaldichter Mihai Eminescu gewidmete Büste mit Musenstatue an der Strandpromenade des Casinos in Konstanza. Eine wiederkehrende Gestalt seines Werks ist Mihai Eminescu, über den Han sagte, dass selbst seine Figur eine Skulptur gewesen sei. Von Oscar Han signierte Eminescu-Büsten und -Statuen können noch in Boto{ani, Putna, Neumoldowa/Moldova Nou², Herkulesbad/B²ile Herculane, Klausenburg/Cluj-Napoca und Temeswar/Timișoara bewundert werden.

In Bukarest allein stehen noch über eine Dutzend seiner Denkmäler. Neben den bereits erwähnten, sind noch die Büsten des Malers Nicolae Tonitza im Hof des gleichnamigen Kunstlyzeums, das steinerne allegorische Denkmal zum Gedenken an die gefallenen rumänischen Soldaten des zweiten Balkankriegs vor dem Nationalen Militärmuseum, die im König-Michael-I.-Park errichtete Büste der Schriftsteller William Shakespeare und Alexandru Vlahuță sowie eine für Oscar Han völlig unerwartete, überraschende Statue, die einen... Truthahn darstellt.
Ein weiteres interessantes Detail ist die Tatsache, dass der Büste des Historikers Nicolae Iorga, ein Genie, das mehrere Tätigkeiten gleichzeitig ausführen konnte, der rechte Arm fehlt, weil dieser statt für den Bildhauer ruhig zu posieren, stets las und schrieb.

Drei seiner Denkmalenthüllungen fanden 1934 in der Anwesenheit des rumänischen Königs Carol II. statt und die Reiterstatue des Herrschers Michael des Tapferen wurde im Beisein des Diktators Nicolae Ceaușescu enthüllt.

Liebling des Königshauses, bekannt im Ausland

Der Verlust des Auftrags – möglicherweise des wichtigsten Auftrags seines Lebens – der Reiterstatuen der Könige Karl I. und Ferdinand, trotz eines gewonnenen Wettbewerbs,  hat ihn sein ganzes Leben verfolgt, obwohl ihm sein Ruf als Lieblingsbildhauer des Königshauses großzügige Aufträge im Laufe der Zeit bescherte, darunter eine Büste des Königs Karl I., die 1993 in Sinaia neu eingeweiht wurde, die verschollene Statue des Königs Ferdinand in Chișinău, Republik Moldau und die Büste der Königin Maria, die anfänglich in der im heutigen Bulgarien gelegenen Küstenstadt Baltschik/Balcic platziert und 2020 nach Konstanza verlegt und neu enthüllt wurde.

Oscar Han war nicht nur in Rumänien ein angesehener Bildhauer, sondern auch im Ausland und dies beweisen die auf Palma de Mallorca, Spanien, von ihm errichtete Statue des Naturforschers Emil Racovi]² und die Elegie, eine weinende Frauengestalt, im Friedhof der rumänischen Kriegshelden in Soultzmatt, Elsass.

Überraschende Entdeckungen

Im Laufe der Jahre sind auf dem Pfad des Geschichtsforschers Dr. Cristian Scarlat seit 1991 immer wieder Oscar Han-Werke aufgetaucht, die ihn neugierig machten. „Ich habe mich mit Oscar Hans Werk ein halbes Jahr, seit vorigen Sommer bis im Frühjahr,  intensiv auseinandergesetzt“, erzählt der ehemalige Direktor des Departements für Militärtraditionen am Nationalen Militärmusem in Bukarest, der 2004 das Nationalamt für Heldendenkmäler an der Regierung ins Leben gerufen hat und dieses bis 2010 leitete. Seit seinem Ruhestand ist er der Vertreter des Volksbundes Deutsche Kriegsgräberfürsorge (VDK) in Rumänien und beschäftigt sich mit dem Thema der Militärfriedhöfe und -denkmäler. „Das Werk von Oscar Han habe ich eher als Hobby und auf Anregung der Direktorin des Schillerhauses, Frau Mariana Duliu, und der Kulturprojektkoordinatorin Frau Aurora Fabritius anlässlich des 130. Geburtstages und 45. Todestages des deutschstämmigen Bildhauers erforscht“, erzählt er nach dem Vortrag im Schillerhaus.   

Dabei stieß er auch auf so manche Überraschung! „In Dragosloveni, Kreis Vrancea, wurde mir bei einem Besuch im Gedenkhaus des Schriftstellers Alexandru Vlahu]² gesagt, alle dortigen Skulpturen wurden von einem anderen Bildhauer geschaffen. Da mir die von Oscar Han kreierte Büste von Alexandru Vlahu]² schon bekannt war, begutachtete ich die Skulptur mit dem kritischen Auge, das Hans Werk kennt, und nachdem ich die Büste von allen Seiten genau betrachtete, bin ich auf die Unterschrift des Meisters und das Entstehungsjahr des Werks gestoßen. Die Mitarbeiter des Gedenkhauses hatten überhaupt keine Ahnung davon, dass sie seit Jahren ein Oscar Han-Werk unter ihrer Nase hatten!“

Ähnlich ist es ihm bei einem Besuch im Gedenkhaus des Schriftstellers Cezar Petrescu in Bu{teni, Kreis Prahova, passiert: „Dort habe ich eine von Oscar Han signierte Büste des Dichters  Mihai Eminescu unter denselben Bedingungen erkannt.“ Schmunzelnd gesteht der Forscher: „Wie ein Schatzsucher habe ich mich gefühlt!“