„Ich erhob meinen Blick zu den Bergen“

Buchvorstellung: Die Geschichte der Hohen Rinne der Jahre 1919-1930

Dr. Mircea Dragoteanu, „Ridicat-am ochii mei la munți. Istoria Păltinișului, cartea a II-a (1919-1930)”, Editura SALCO Sibiu 2020. 416 Seiten. Das Buch kann beim Autor über dragoteanu@yahoo.co.uk bestellt werden. Preis: 130 Lei plus Porto; in Deutschland 40 Euro inklusive Versand

Der Autor, Dr. mult. Mircea Dragoteanu, passionierter und vielfach international ausgezeichneter Filatelist, brachte den zweiten Band seiner überaus detaillierten, objektiven und allumfassenden Geschichte des von der Sektion Hermannstadt des Siebenbürgischen Karpatenvereins (SKV) in den Jahren 1894 bis 1904 errichteten Kurortes „Kurhaus auf der Hohen Rinne” heraus (angedacht sind fünf Bände).

Es ist der große Verdienst des Autors, die Geschichte dieser Siebenbürgisch-Sächsischen Stiftung, entstanden in einem multiethnischen Umfeld, charakterisiert durch Segregation und nicht immer frei von Spannungen und Reibereien, geprägt von der leider noch oft anzutreffenden nationalistischen Betrachtungsweise der Vergangenheit, zu präsentieren.

Zu Beginn des Buches werden die Personen, die zur Entstehung der Anlage maßgeblich beigetragen haben – vor allem k. u. k. Militärarzt Julius Pildner von Steinburg (1837-1917) und RA Dr. Carl Conradt (1840-1901), der 1888 sein Amt als Vorsitzender des SKV aufgegeben hatte, um sich voll dem „Kurhaus auf der Hohen Rinne” zu widmen  - würdigend erwähnt. Es wird der mit der Gemeinde Großau/Cristian geschlossene Vertrag – auf deren Grund die Anlage, bestehend aus mehreren Gebäuden, errichtet werden sollte – erörtert. Es wird der überaus großen Anstrengungen erinnert, deren es bedurfte, um nach zehn Jahren seit Aufkommen der Idee  am 10. 6. 1894 das „Kurhaus auf der Hohen Rinne” feierlich zu eröffnen. Es folgten weitere zehn fruchtbare Jahre, in denen das Touristenheim, der Monaco-Pavillon und das Steinhaus errichtet wurden, die Zufahrtsstraße gebaut und Wanderwege für die Kurgäste angelegt wurden. In den folgenden zehn Jahren genossen Gäste aller Nationalitäten  die Idylle in der Atmosphäre der Belle Epoque. 

Dann kam der Große Krieg. 1916 trat Rumänien in den Krieg ein, gegen Deutschland und Österreich-Ungarn, mit den Kämpfen um Hermannstadt/Sibiu. 1918 brach die Monarchie zusammen. Es grenzt an ein Wunder, dass die sämtlich aus Holz bestehenden Gebäude diese Jahre überlebt haben. Die kriegerischen Handlungen, aber vor allem der Vandalismus im September und Oktober 1916 sowie November 1919, hinterließen große Schäden an Ausstattung und Einrichtung, selbst Fenster und Türen fehlten. Es kam zu einer betonten Abkühlung der rumänisch-sächsischen Beziehungen. Doch nach der Erklärung am 8. Januar 1919 durch die Sächsische Nationalversammlung zum Anschluss des sächsischen Volkes an Großrumänien ließen die Spannungen bald nach, was den Autor zu folgender Feststellung veranlasst: „Die Rumänen und Sachsen aus dem südlichen Siebenbürgen haben im ersten Jahrzehnt Großrumäniens, nach der tragischen Erfahrung des Ersten Weltkrieges, den Weg des gemeinsamen Wiederaufbaues einer Welt, gegründet auf Gleichgewicht, Toleranz und dem Wunsch, es möge allen besser gehen, gefunden”, wenn-gleich „es nach 1918 für alle Licht- und Schattenseiten gab”. 

Der SKV war sich seiner Aufgaben zum Wiederaufbau des Zerstörten und der Etablierung einer normalen Zusammenarbeit mit den rumänischen Behörden bewusst. Am 25. 1. 1919 veröffentlichte die Sektion Hermannstadt im „Siebenb.- Deutschen Tageblatt”  einen Beitrag aus der Feder von RA Dr. Fritz Kasper, dem stellvertretenden Vorsitzenden der Sektion, in welchem die zu befolgenden Prinzipien in seiner organisatorischen und juridischen Tätigkeit im neuen Rahmen Großrumäniens dargelegt wurde.

 Die „unlöschbare Liebe seiner Mitglieder zu den Bergen” führte zu einer großen Spendenbereitschaft. Es wird hierzu auf die hervorragende Rolle des Hermannstädter Verlegers und Buchdruckers C. W. Krafft (1861-1929) hingewiesen, aber auch auf die großzügigen Spenden der Hermannstädter Allgemeinen Sparkasse, der Bodenkreditanstalt sowie der Hermannstädter Gewerke- und Handelsbank. Nicht vergessen werden sollten die Spenden rumänischer Bürger und der rumänischen Bank Albina.

Wir erfahren, dass die Anlage schon in der Saison 1919 trotz einiger Improvisationen recht gut besucht war, die Gäste jedoch „Waschschüssel, Vorhänge und Geschirr mitbringen müssen sowie für die Lebensmittel selbst aufkommen müssen”. Das Kurhaus blieb auch im Winter 1919/1920 geöffnet und es fand sogar ein einwöchiger Skikurs mit 60 Teilnehmern statt. „Es war die Zeit und es waren die Menschen, für die die Ehre, der Opfersinn, die Unterstützung der Gemeinschaft Werte waren, bei denen kein Rabatt erlaubt war”. Trotz großer Anstrengungen fehlten im Sommer 1920 noch immer Vorhänge, Spiegel, Handtuch und Wasserkanne in den Zimmern des Heimes. Erst im Sommer 1921 erreichte die Einrichtung mit kleinen Ausnahmen das Vorkriegsniveau. Zu diesem Zeitpunkt wurde auch der Kurierdienst unter Verwendung der eigenen Marken von 1910 wieder aufgenommen. Ab 1922 konnte erneut ein vollwertiger Kurbetrieb unter ärztlicher Aufsicht stattfinden. Die Eintragungen in dem im Juli 1922 neu angelegten „Fremdenbuch des Kurhauses auf der hohen Rinne” belegen, dass die Kurgäste weiterhin aus den drei Bevölkerungsgruppen Siebenbürgens – Deutsche, Rumänen und Ungarn – kamen. Es mangelte nicht an Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens, wie Prof. Ion I. Lapedatu (1876-1951), Direktor der Bank Albina, der zwei Silvester (1922/23 – „nach rumänischer Art”, also nach Julianischem Kalender, obwohl gerade der Gregorianische eingeführt war – und 1924/25 „nach sächsischer Art”) auf der Hohen Rinne/Paltiniș feierte und zusammen mit seiner Frau mehrere Sommer in diesem „irdischen Paradies” verbrachte, oder der Publizist Prof. Oskar Netoliczka (1897-1970), Rektor des Honterusgymnasiums in Kronstadt/Brașov, Verantwortlicher der deutschen Abteilung der in Klausenburg/Cluj-Napoca erscheinenden Zeitschrift „Cultura” u.a.

Mit großem finanziellem Aufwand tat die Sektion Hermannstadt des SKV alles, um den Aufenthalt der Gäste so angenehm wie nur möglich zu gestalten: die Innenwände der Pavillons  wurden verkleidet, die Fußböden erneuert, die Zufahrtsstraße instand gesetzt, die Einrichtung verbessert, die Wege neu markiert und der Durchstieg durch die Zibinsklamm sicherer gemacht, im Monaco-Pavillon wurden Musik- und Theaterabende geboten. Am 10. Juli 1924 wurde das 30. Jubiläum der Eröffnung der Anlage „Kurhaus auf der Hohen Rinne” gefeiert. Zu diesem Anlass wurde eine neue Botenpostmarke mit den Medaillon-Kopfbildern der Gründer Carl Conrad und Robert Gutt herausgebracht. Diesem philatelistischen Ereignis widmet der Autor ein ganzes Kapitel. Darin wird auch der „Aristokrat der Berge und der Marken” Géza von Jakóts vorgestellt, über ein halbes Jahrhundert bedeutender Philatelist Siebenbürgens. Und immer wieder wurden Verbesserungen zum Komfort der Gäste vorgenommen: neue Matrazen, Kachelöfen, neue Decken. 1926/27 fand die erste Ganz-Jahres-Saison (1927/28 mit Badekur auch im Winter) statt. Am 27. Juli 1927 erstrahlten die ersten elektrischen Birnen und lösten die Beleuchtung mit Petroleum- oder Öllampen und Kerzen ab. Ab diesem Jahr war die Anfahrt mit PKW zur Hohen Rinne erlaubt, 1930 erwarb die Sektion Karpaten dafür einen eigenen Omnibus. 

Der Leser macht Bekanntschaft mit dem berühmten deutschen Prof. der Philosophie an der Uni Berlin, dem Pädagogen, Philosophen und Psychologen Eduard Spranger. Auf einer Konferenz-Reise in Siebenbürgen verbrachte er ad hoc im August 1927 eine Woche im „Kurhaus auf der Hohen Rinne”. Seine Eindrücke über diesen Aufenthalt sind nicht voll des Lobes.

Ein großes Plus des Buches besteht darin, dass der Autor sich nicht nur auf die Hohe Rinne beschränkt, sondern auch auf kollaterale Ereignisse im Zusammenhang mit dem SKV und Hermannstadt eingeht. So wären zu erwähnen: die Bodenreform gemäß dem Gesetz vom 18. Juli 1919 durch die u.a. die Sächsische Nationsuniversität durch die Enteignung von 20.000 Hektar Grund in den Sieben-Richter-Waldungen (wenn auch schwach entschädigt), einen schweren Schlag erlitt; die Tatsache, dass nicht alle Versprechungen der Rumänen den anderen Ethnien gegenüber eingehalten wurden; die erweiterte Trinkwasserversorgung Hermannstadts aus Quellen im Gebiet der Hohen Rinne; der Wiederaufbau der Bulea-Wasserfall-Hütte im Fogarascher Gebirge nach den herben Verlusten an Schutzhütten im Krieg; die Gründung der Alpinen Rettungsstelle in Hermannstadt  1925 durch Heinrich Stephan Hann von Hannenheim (1895-1971),  der sie auch 14 Jahre lang führen sollte, wann und warum der traditionelle Karpatenball der Sektion Hermannstadt des SKV stattfand oder warum nicht, u.a.m.  

Der Autor listet eine Reihe von rumänischen Persönlichkeiten, die vom Reiz des „Kurhauses auf der Hohen Rinne“ und dessen Umgebung angetan waren und dies auch Kund getan haben: der rumänische siebenbürgische Dichter Octavian Goga (1881-1938) und seine Gemahlin Hortensia, geb. Cosma und deren ganze, einflussreiche, Familie; Ilarie Chendi (1871-1913), Philologe und Literaturkritiker; Dimitrie Comșa (1846-1931), politischer Streiter, Ethnograf, Professor der Agronomie u.a.m. Ausschlaggebend für ihr Wohlbefinden auf der Hohen Rinne war auch die Tatsache, dass „Die Sachsen …. durch ihre Erziehung einen offensichtlichen Respekt vor der Kultur und den Empfindlichkeiten der anderen Völker, mit denen sie zusammenlebten“ hatten, wie der Autor vermerkt. Die wiederholte Anwesenheit rumänischer Persönlichkeiten war „ein zusätzlicher Beweis für die sehr guten Verhältnisse zwischen Rumänen und Sachsen im Allgemeinen, insbesonders aber auf der Hohen Rinne“. 

Der Autor geht erläuternd und ausholend auf verschiedene sächsische Persönlichkeiten ein: den Hermannstädter Stadtpfarrer Adolf Schullerus, Gustav Kiszling, dessen Wirken eng mit der Hohen Rinne verbunden ist, die beiden Ausnahmephotographen Josef und Emil Fischer, bis 1918 Hoffotografen des Kaiserlichen österreichisch-ungarischen Hofes und ab 1920 des rumänischen Königshauses, den berühmten Hermannstädter Chirurgen Dr. Wilhelm Otto (1859-1932) und drei ihm folgende Generationen von Ärzten, Oberst Karl Ludwig Jüstel (1875-1927), Kommandant des Militärkurhauses, Dr. Karl Ungar (1869-1933), Botaniker, Vorsitzender der Medizinischen Sektion des Siebenbürgischen Vereins für Naturwissenschaften, als diese ihr Ärzteheim auf der Hohen Rinne, erbaut 1896-98, dem SKV schenkte, u.a.m. Desgleichen widmet sich der Autor auch Andreas Berger, der 1919 an den Folgen eines Jagdunfalls verschied, und August Roland von Spiess von Braccioforte (1864-1953).

Ein großes Kapitel wird der Errichtung eines kirchlichen Erholungsheimes durch den orthodoxen Erzbischof von Siebenbürgen (1920-1955), Nicolae Bălan (1882-1955), gewidmet, mit Mönchsunterkünften und einem Kirchlein auf der Hohen Rinne. 1926 begonnen, wurde die Planung und Bauleitung dem Architekten Fritz Buertmes anvertraut, während die Ausführung dem bekannten Baumeister Șerban Cruciat aus Rășinari oblag, der schon für den SKV die Bauten des Kurhauses errichtet hatte.  Die drei Glocken der Anlage wurden von der Hermannstädter Glockengießerei des Ing. Fritz Kauntz gegossen. Auf der größten findet man die von Erzbischof B˛lan ausgesuchte Inschrift „Ich hebe meine Augen auf zu den Bergen, Psalm 120,1“. Die Einweihung des Erholungsheimes fand am 6. August 1928 in Anwesenheit hoher ziviler und militärischer Würdenträger sowie des Prinzregenten Nicolae als Repräsentant des Königshauses statt. Bei dieser Gelegenheit stattete der Prinz dem „Kurhaus auf der Hohen Rinne“ einen Besuch ab, wo er von Dr. Fritz Kepp, dem Vorsitzenden des SKV, empfangen wurde. Die ihm angebotene Ehrenmitgliedschaft nahm der Prinz – ein begeisterter Wanderer und Skifahrer – freudig an.

Gegen Ende des Buches gedenkt der Autor sächsischen Persönlichkeiten, die in der Zeitspanne 1927 – 1929 verstarben: Dr. Julius Friedrich Bielz (1856-1927), Dr. Adolf Schullerus (1864-1928), Josef Drotleff (1839-1929), Carl Wilhelm Krafft (1861-1929), Dr. Carl Wolff (1849-1929). Ihre Lebensläufe und ihre Verdienste in der Siebenbürgisch-Sächsischen Gesellschaft werden ausführlich beschrieben. 

Einen besonderen Reiz stellen die wortgetreuen Berichte von Zeitzeugen dar, wie z.B. die „Touristischen Erinnerungen“ der Marie Klein (1858-1934), geboren Arz v. Straussenburg, verh. mit Stadtpfarrer Karl Klein († 1905), ein langer Bericht von August von Spiess „Mit Silvietta in den Bergen“ (seine älteste Tochter) über seine erste Nachkriegsjagd im Herbst 1920 im Zibinsgebirge, der Bericht des österreichischen Dichters und Novellisten, Dr. der Philosophie Franz Herold (1854-1943) „Ein Ausflug zu den Siebenbürger Sachsen“, eine Gelegenheit, bei welcher er einen Monat auf der Hohen Rinne verbrachte, der Beitrag von Gertrude Prischak aus dem „Siebb.-Deutsch. Tageblatt“ über die Einweihung des kirchlichen Erholungsheimes der orthodoxen Kirche auf der Hohen Rinne am 6. August 1928 u.a.m.

Nicht vergessen wurde das Militärkurhaus, erbaut 1896-1898, welches 1929 mit einem „Neubau aus Mauersteinen und Beton“ (das erste derartige Gebäude auf der Hohen Rinne) ergänzt wurde, der am 29. September 1929 in Anwesenheit des hohen Klerus, Kriegsminister General Henri Cihorski und anderer hoher Ofiziere sowie von Wilhelm Goritz, Bürgermeister von Hermannstadt, feierlich eröffnet wurde.

Die letzten 50 Seiten des Buches sind der Philatelie gewidmet, der lokalen Post von Bistra im Mühlbacher Gebirge, der Hohen Rinne und M˛gura (im Westgebirge). Es werden die Verdienste von Géza v. Jakóts und insbesondere von Ludwig Dengel (1902-1984), von Emanoil Munteanu sowie des Autors selbst in Rumänien sowie von Liviu N. Cristea, Prof. Dr. Leslie Stephen Ettre (1922-2010) und der Brüder Maurice und Leon Norman Williams (London) im Ausland würdigend erörtert.

Das Buch ist jedem an der wahren Geschichte der Hohen Rinne Interessierten zu empfehlen.