„Ich mache aus Buchstaben Musik“

ADZ-Gespräch mit Stimmkünstlerin Angelika Meyer

Deutsche Stimmkünstlerin Angelika Meyer in Bukarest
Foto: Aida Ivan

Brabbeln, flüstern, heulen, fauchen. Das und viel mehr kann die deutsche Stimmkünstlerin Angelika Meyer. Unlängst hat sie an einem internationalen Poesiefestival teilgenommen, das in Bukarest organisiert wurde. Die deutsche Künstlerin ist Mitglied der Gruppe ExVoCO (Expanded Voice Company) und ist sowohl als Solo-Performerin als auch zusammen mit Claudiu Komartin und Joel Hubaut (Frankreich) aufgetreten. Meyer wurde in Ulm geboren und studierte an der staatlichen Hochschule für Musik und Theater Stuttgart. Die Diplomsprecherin unterrichtet an der Universität in Schwäbisch-Gmünd Stimmkunst und Rhetorik und betätigt sich als Stimmkünstlerin, insbesondere für experimentelle Literatur, Lautpoesie, Improvisationskunst und neue Vokalmusik. Das Gespräch mit ihr führte ADZ-Redakteurin Aida Ivan.

Frau Meyer, Sie sind Stimmkünstlerin. Wie sind Sie dazu gekommen? Wie haben Sie entdeckt, dass Sie eine bestimmte Begabung haben?

Bei uns zu Hause wurde immer Musik gemacht und ich habe auch lange im Chor gesungen. Ich wollte eigentlich Gesang studieren - Operngesang. Das hat nicht geklappt, aber ich habe den Studiengang Sprechkunst in Stuttgart entdeckt. Man kann dort studieren – Sprecherziehung und Sprechkunst.

Was haben Sie genau studiert?

In Stuttgart lernt man, wie man Literatur spricht, aber man hat auch Gesangunterricht und experimentelle Kunst. Ich habe das immer gern gemacht: Mit der Stimme experimentieren, sehr extreme Laute machen. Man braucht eine gute Stimme, aber es muss nicht Operngesang sein.

Und Kreativität braucht man nicht?

Auf jeden Fall. Wir haben nur Worte und Texte, ohne Sinn. Wir müssen uns selber überlegen, wie wir das sprechen.

Wie arbeiten Sie mit den Texten? Wie gestalten Sie Ihre Performance?

Zum Beispiel Dada - es sind sehr verschiedene Sachen, manche Dada-Künstler haben aus der Zeitung verschiedene Buchstaben ausgeschnitten und zusammengeklebt. Das ist ein Hinweis für mich zu sagen, dicke Buchstaben sind laut und expressiv und die kleinen Buchstaben sind leise. Ich versuche immer, das Musikalische herauszufinden. Für mich ist Sprache auch Musik, ich kann laut und leise, ich kann sehr schnell oder langsam sprechen, oder mit verschiedenen Klängen. Die Stimme ist ja sehr variabel und ich muss musikalisch eigentlich überlegen. Der Text soll abwechslungsreich sein und einen Rhythmus haben. Ein Sprechkünstler ist wie ein Musiker ohne Noten. Noten haben auch keinen Sinn, Noten sind Töne. Wenn man Noten sieht, spielt man Geige oder Klavier, dann macht man Musik daraus. Und das mache ich mit der Stimme. Ich mache aus Buchstaben Musik.

Sie haben sich vielseitig entfaltet: Sie arbeiten als Künstlerin und als Dozentin an der Universität.

Ich unterrichte, wie man gut spricht. Unsere Studenten werden Lehrer. Für Lehrer ist das Sprechen manchmal sehr anstrengend, für die Stimme auch.

Nicht weil sie vor einem Publikum stehen müssen und vielleicht Lampenfieber haben?

Doch, alles. Die Stimme kann auch krank werden. Zum einen müssen die Studenten lernen, mit ihrer Stimme so umzugehen, dass sie gesund bleibt. Dann müssen sie auch lernen, vor dem Publikum zu stehen - kein Lampenfieber haben, gute Ausstrahlung, deutlich sprechen. Rhetorik zählt auch dazu. Es ist ein großes Gebiet der Sprecherziehung.

Was sind die Probleme, die bei Ihren Studenten auftauchen? Was muss ihnen beigebracht werden?

Das Wichtigste finde ich, dass sie ganz präsent vor der Klasse stehen und ganz langsam sprechen. Die meisten gehen zu schnell. Sie müssen auch engagiert sprechen und ich finde es super, ihnen das beizubringen.

Welche Projekte haben Sie als Künstlerin? Woran haben Sie gearbeitet? Was fanden Sie am interessantesten?

Ich mache kleine Projekte mit experimentellen Texten - Dada, neue Vokalmusik, alleine, aber vor allem mit dem Ensemble in Stuttgart – ExVoCO, seit 2008 bin ich Mitglied. Mit Ex VoCo sind wir zu dritt meistens und wir haben einen Chef sozusagen. Der hat das Ensemble 1973 gegründet. Aber ich arbeite auch mit anderen zusammen. Zum Beispiel habe ich einen Auftritt mit einem Musiker in Bochum und da haben wir uns zusammen überlegt, welche Stücke wir auswählen. Wir entscheiden  gemeinsam, wie der Programmablauf ist.

Ist diese Kunstform in Deutschland verbreitet?

Es gibt auch bekannte Komponisten, die das machen, aber es ist nicht verbreitet. Es ist sozusagen keine Unterhaltungskunst. Ich finde es unterhaltsam, aber es ist keine Show oder keine Comedy. Es ist ernste Kunst, das schauen sehr wenig Leute an, es ist sehr speziell. Viele kennen das nicht, auch in Deutschland nicht. Wenn ich meine Studenten zum Beispiel frage, wer von ihnen Dada kennt, kaum einer kennt das. Es ist nicht sehr verbreitet. Es ist eine kleine Nische.

Muss Ihre Stimme trainiert werden, damit sie gesund und fit bleibt für alle Experimente, die Sie machen?

Als ich studiert habe, habe ich viel geübt. Ich muss meine Stimme nicht mehr trainieren, aber ich muss sie sehr pflegen, ich muss auf sie achten. Gerade wenn es einen Auftritt gibt, dann pass ich auf, dass ich keinen kalten Hals bekomme, dass ich viel schlafe, nicht zu viel spreche. Und ich übe die Texte natürlich, aber ich kann die Techniken und muss nicht mehr jeden Tag üben.

Wie haben Sie die Texte für dieses Festival ausgewählt?

Da es ein abwechslungsreiches Programm ist, werden viele Sachen aus verschiedenen Ländern gezeigt. Ich habe deutsche, italienische, russische, rumänische Dada-Texte ausgewählt.

Würden Sie sich auch als Performance-Künstlerin betrachten oder eher Stimmkünstlerin?

Es ist schwierig. Natürlich mache ich auch eine Performance, ich trete auf, aber ich mache keine eigenen Sachen. Das sind alles Texte oder Kompositionen von anderen. Ich interpretiere nur.

Vielen Dank für das Gespräch!