Ida Jarcsek-Gaza: „Meine Berufung ist das Schauspiel“

Ein halbes Jahrhundert deutsche Bühne mit 111 Rollen in 45 Spielzeiten

Ida Gaza. Porträtfoto für ein 1971 veröffentlichtes Interview mit der „Neuer Weg“-Redakteurin Helga Höfer.
Foto: Neuer Weg

Ida Gaza als Medea im Monodrama „Und immer wieder Medea“ (1991) des ungarischen Schriftstellers und Übersetzers Árpád Göncz (1990-2000 Staatspräsident Ungarns). Spielleitung: Stefan Andreas Darida.

Ida Gaza (Gretchen) und Peter Schuch (Faust) in Goethes „Urfaust“ (1972) während des Weimarer Auftritts innerhalb einer Tournee des DSTT-Ensembles durch die DDR. Spielleitung: Otto Lang.

Ida Gaza (Fräulein Schneider) und Christian Bormann (Herr Schultz) im „Cabaret“. Choreografie und Spielleitung: Răzvan Mazilu.
Fotos (3): DSTT-Archiv

„Zuerst Schauspielerin, dann eine Schauspielerin, die sich entschließt, zu unterrichten, die danach eine Intendanz übernimmt und die letztendlich zum Schauspiel wieder zurückkehrt, weil ich das Schauspiel als meine Berufung betrachte“, so die Temeswarer Schauspielerin Ida Jarcsek-Gaza (68 Jahre) vom Deutschen Staatstheater Temeswar/Timişoara (DSTT) über die Etappen ihrer künstlerischen und Bildungstätigkeit.

Kurz vor 18 Uhr ein Treffen mit Ida Jarcsek-Gaza beim Eingang der Schauspieler der drei Temeswarer Bühnen und der Opernsolisten. Salopp gekleidet und ein Kopfmikrofon tragend kommt die Schauspielerin lächelnd die Treppe herunter. Die Generalprobe, eigentlich ein Durchlauf mit Unterbrechungen – klärt mich die Schauspielerin auf – von Joe Masterhoffs Musical „Cabaret“ in der Regie des Bukarester Choreografen und Spielleiters Răzvan Mazilu steht um 18 Uhr an. Ich erfahre gleich, dass sich Ida Jarcsek-Gaza schon einige Zeit davor im Theater eingefunden hat, um ihre Stimme aufzuwärmen. Wir steigen die Treppe hinauf in den ersten Stock, den Flur, die halbdunklen Kulissennebenräume entlang gehend gelangen wir in den Aufführungssaal des DSTT.

Georg Peetz sitzt auf der Bühne, um diese herum sind Tische und Stühle im Halbkreis aufgestellt. Das Bühnenbild mit dem Kit-Kat-Club bzw. der Pension des ältlichen Fräulein Schneider, das von Ida Gaza interpretiert wird, ist bereits für die Vorstellung vorbereitet. Dahinter, oben auf einer Plattform, das Orchester, am Dirigentenpult Peter Oschanitzky, der für die musikalische Spielleitung zuständig ist. Im Saal die Choreografie-Assistentin Helen Ganser, die bei Bedarf Anweisungen gibt, weiter oben hinter den Sitzplätzen die für den Soundcheck verantwortlichen Mitarbeiter. Alles muss stimmen, denn in den nächsten zwei Tagen sind zwei Vorstellungen angesagt.

Die Probe beginnt. Georg Peetz in der Rolle des Conférenciers kommt, das bekannte Lied „Willkommen“ singend, aus dem Publikum auf die Bühne. Die fünf Cabaret-Girls und dessen Star, Sally Bowles, werden vorgestellt, es wird gesungen und getanzt, wie in der amerikanischen Verfilmung von „Cabaret“ (1972). In der dritten Szene erscheint Fräulein Schneider/Ida Jarcsek-Gaza. Ihr Auftritt zeigt Können, Einfühlsamkeit, Humor. Die Szenen und Lieder werden zweimal gespielt bzw. gesungen, bis die Auftritte zufriedenstellend sind. Nach zwei Stunden wird eine Pause eingelegt. Ich verlasse den Saal. Für das eigentliche Interview treffe ich Ida Jarcsek-Gaza ein paar Tage nach den beiden „Cabaret“-Vorstellungen.

Eine große Künstlerfamilie

Sie war das Gretchen in Goethes „Urfaust“, Yvette in Brechts „Mutter Courage und ihre Kinder“, Bernarda Alba in Lorcas „Bernarda Alba Haus“, Winnie in Becketts „Glückliche Tage“, Irina Arkadina in Tschechows „Die Möwe“, Daja in Lessings „Nathan der Weise“ und Mary Tyrone in O´Neills „Eines langen Tages Reise in die Nacht“. Dies nur einige der 111 Rollen, die Ida Jarcsek-Gaza während der 45 Spielzeiten ihrer fast 50-jährigen Schauspielerlaufbahn gespielt hat.

Ida Jarcsek-Gaza ist gebürtige Temeswarerin. Sie besuchte die deutsche Abteilung des Lyzeums Nr. 10 in der Temeswarer Josefstadt, nicht die Lenauschule, sondern „die bessere Schule“. „Ich habe jede Vorstellung des DSTT gesehen, denn wir sind oft mit der Schule ins Theater gegangen“, erinnert sich Ida Jarcsek-Gaza. Sie sah namhafte Schauspieler der Temeswarer Deutschen Bühne spielen, wie Ottmar Strasser, Rudi Schati, Irmgard Schati, Margot Göttlinger, Peter Schuch und Otto Grassl. „Ich stand dann mit ihnen auf der Bühne“, mit einer Ausnahme: Ottmar Strasser, der bereits nach Deutschland umgesiedelt war.

Nach dem Abitur studierte sie zwischen 1966 und 1970 an der Deutschen Schauspielabteilung der Nationaluniversität für Theater- und Filmkunst „Ion Luca Caragiale“ in Bukarest, die einzige landesweit. „Weil meine ältere Schwester Ildikó Jarcsek-Zamfirescu Schauspiel studiert hat und ich für die Aufnahmeprüfung an jeder anderen Hochschule viel hätte lernen müssen“, begründet Ida Jarcsek-Gaza ihre Auswahl. „Die Atmosphäre im Theaterinstitut war sehr anspornend, interessant. Du siehst die Prüfungen der Kommilitonen und spielst auch, wenn diese Regie führen“, erzählt Jarcsek-Gaza. „Man fühlt sich wie in einer großen Künstlerfamilie.“

„In Bukarest gab es ein sehr reges kulturelles Leben. Es war schon immer so: eine Zeit der großen Spielleiter - Radu Penciulescu, Liviu Ciulei, Lucian Pintilie“, schwärmt die Schauspielerin von den Theaterinszenierungen der Regisseure, die sie während ihrer Studentenzeit gesehen hatte. Stücke wie Mrozeks „Tango“ in Penciulescus Spielleitung, Caragiales „D´ale Carnavalului“ (Faschingstreiben) in der Regie von Pintilie oder Ionescus „Ucigaş fără simbrie“ (Mörder ohne Bezahlung) mit Radu Beligan in der Hauptrolle.

Eine Schauspielerin, die unterrichten kann

Wenn ein Vorbild überhaupt, dann ist das für Ida Jarcsek-Gaza die Bukarester rumänische Schauspielerin Olga Tudorache; ihre Lieblingsrolle ist die, die sie gerade spielt oder an der sie gerade arbeitet. Eine Rolle, die sie gern gespielt hätte, für die sich jedoch nie die Gelegenheit geboten hatte: Elisabeth aus Schillers „Maria Stuart“, eine Rolle, für die man ein bestimmtes Alter haben muss, „zwischen 40 und 45 Jahren, nicht jünger und nicht älter“, präzisiert Jarcsek-Gaza.

1992 hatten der Dramaturg Hans Legelfelder und die damalige Intendantin des DSTT, Ildikó Jarcsek-Zamfirescu, „die Ambition, eine deutsche Schauspielklasse an der Musikhochschule in Temeswar zu gründen“, so Ida Jarcsek-Gaza. Die Begründung: um Nachwuchs für die Temeswarer Deutsche Bühne zu sichern. „In meiner Überheblichkeit, denkend, sie würden mit Windmühlen kämpfen, meinte ich, falls sie es durchsetzen könnten, würde ich mich der Schauspielklasse annehmen.“ Und sie hielt Wort, als die Gründer auf ihr Angebot zurückkamen. Somit war die Deutsche Schauspielabteilung ein „Vorreiter“, denn die rumänische Schauspielklasse sollte erst zwei Jahre danach ins Leben gerufen werden.

Ihre Lehrtätigkeit an der Musik- und Theaterhochschule dauerte elf Jahre. Beim Schauspielunterricht ging es um das Rollenstudium aus den großen Theaterepochen: die griechische Tragödie, Molière, Shakespeare, die deutschen Klassiker und die Moderne des 19. Jahrhunderts. „Darunter verstehe ich das englische und amerikanische Theater, das sind die Grundsteine. Wenn du als Student diese Sachen durchackerst, dann bist du vorbereitet“, betont Ida Jarcsek-Gaza.

Der erteilte Schauspielunterricht sollte sich auch für den Werdegang der Schauspielerin als vorteilhaft erweisen: „Durch die Distanzierung, nicht spielend, sondern erklärend, bin ich viel bewusster als Schauspielerin geworden.“ Denn, „wenn man lehrt, geht man die Dinge viel ernsthafter an“. „Die Verantwortung den jungen Leuten gegenüber bereichert dich“, so die Schauspielerin dazu, die „viel Freude an der Arbeit mit den Studenten hatte“.

Sieben Jahre lang war die Deutsche Schauspielabteilung assoziiertes Mitglied der Ständigen Konferenz Schauspielausbildung (SKS), einer Arbeitsgemeinschaft der deutschsprachigen staatlichen oder städtischen Ausbildungsinstitute für Berufsschauspieler – eine Leistung, „auf die ich sehr stolz bin, denn ich habe es durchgesetzt“, unterstreicht Ida Jarcsek-Gaza. Eine Zeit mit vielen Schauspieltreffen, mit „sehr viel Emulation, eine sehr ersprießliche Zeit“. Zu den Lehrkräften der Deutschen Schauspielabteilung gehörten auch Gastdozenten aus Deutschland, die innerhalb von sechswöchigen Projekten in Temeswar unterrichteten. Sie brachten ihr Können und das „für die deutsche Schauspielschule Spezifische“ ein.

Vier Jahre DSTT-Intendanz

Als ihre größte Herausforderung bezeichnet die Schauspielerin ihre vierjährige Intendanz am DSTT (2003-2007) in einer Zeit, in der sich die Temeswarer deutsche Bühne in einer „hilflosen Lage“ befand. „Die erste Spielzeit haben wir durchgestottert“, aber sie genutzt, um die nächsten drei Spielzeiten vorzubereiten.

„Für mich war sehr wichtig, das DSTT vor allem dem rumänischen Publikum zu öffnen, schmackhaft zu machen“, äußert sich die ehemalige Intendantin zu ihrer Strategie. Erstrangige rumänische Spielleiter wie Alexandru Dabija, Alexandru Hausvater und Victor Ioan Frunză wurden eingeladen, sie waren „der Publikumsmagnet, aber auch wunderbare Pädagogen für die junge Truppe“. Eine Premiere überhaupt für das Temeswarer Publikum war Alexandru Hausvaters Inszenierung von Shakespeares „Cymbeline“, der zum ersten Mal Regie an einer Bühne in der Stadt an der Bega führte. Victor Ioan Frunză inszenierte am DSTT „Die Stühle“ von Eugen Ionescu, eine Vorstellung, mit dem das DSTT eingeladen wurde, sich am Nationalen Theaterfestival (FNT) zu beteiligen. „Wir haben damit überregionale Aufmerksamkeit erreicht.“

Während ihrer Intendanz war Ida Jarcsek-Gaza auch bemüht, den Kontakt zum deutschen Sprachraum zu bewahren und deutsche Spielleiter einzuladen, die hier inszeniert haben und die auch von der deutschen Seite finanziell unterstützt wurden. „So konnten deutsche Spielleiter und Schauspieler am DSTT mitwirken sowie deutsche Dozenten mit unseren Studenten arbeiten“.

„Die Truppe hat sich heute in eine ganz spezielle Richtung entwickelt, eben weil sie von zwei Seiten beeinflusst wurde, von der deutschen und der rumänischen Theaterschule“, sagt die ehemalige Intendantin. „Das Schauspiel der Truppe ist geprägt sowohl von den rumänischen, als auch von den deutschen Spielleitern. Viele Leute meinen, dass diese Truppe etwas Besonders hat und ich glaube, eben das ist das Besondere“, schließt Ida-Jarcsek Gaza.