In Cetate atmet man Kunst ein

Reger Ort des künstlerischen Schaffens am Ufer der Donau

Das Bojarenhaus, in dem die Künstler drei Wochen untergebracht werden.

Der Hermannstädter Künstler Stefan Radu Creţu beim Löten in der ehemaligen Scheune.

Cristian Răduţă arbeitet an der Plattform. Im Hintergrund die alte Mühle der Familie Druga
Fotos: Aida Ivan

Langsam streckt sich der Sonnenschein über das von alten Gebäuden umrahmte Lavendelfeld an einem Samstagmorgen. Es wimmelt von Feuerwanzen, die Landschaft ist menschenleer. Auf der linken Seite befindet sich die ehemalige Scheune einer Bojarenfamilie aus dem 19. Jahrhundert mit einem modernen Logo an der weißen Wand, auf dem „Cetate Arts Danube“ steht. Die dunkelroten Türen lehnen an der Wand. Geht man die Holztreppen hinauf, so entdeckt man das Innere des Gebäudes: Der erste Raum ist voller Nashörner aus Glasfaser, verschiedener Größen und Farben – manche kleiner als ein Buch, andere zwei Meter groß. Der Oberteil eines schwarzen Nashorns versteckt sich unter einer Hülle inmitten des Zimmers und scheint vom Boden verschluckt zu sein. Auf ehemaligen Anwesen der Bojarenfamilie Druga im Kreis Dolj wird jetzt Kunst gepflegt. Im Kornspeicher wird kein Getreide gelagert, sondern Kunstwerke. Entwürfe liegen auf einer alten Holzkiste neben kleineren Skulpturen. Ein grüner Strandschirm lehnt einsam an der Wand.

Zeitgenössische Bildhauerei und Malerei

Im nächsten Raum brummt es. Zu sehen ist ein anderes Leitmotiv: Insekten und Meerestiere, Hybriden zwischen Maschinen und Tieren. Hier arbeitet am Schraubstock ein Mann mit Schurz. Auf seinem rothaarigen Kopf trägt er einen grauen Hut und Kopfhörer. Vertieft in seine Arbeit, nimmt er einen Winkelschleifer, lötet und betrachtet das Resultat für ein paar Sekunden. Dann lötet er noch mehr. Umgeben ist er von seinen Werken, die er heute eher als Skizzen für größere Projekte betrachtet. An den Wänden hängen ein paar seiner kinetischen Skulpturen – kleinere oder größere Installationen, die mit einem Knopfdruck in Bewegung gebracht werden. Manche haben einen Bewegungsdetektor – auf diese Weise kommunizieren die Skulpturen mit ihren Betrachtern. Seine Inspirationsquelle ist die Tierwelt: Er ist fasziniert von Kerbtieren und seltenen Meerestieren oder denen, die vor Kurzem entdeckt wurden.

Der Bildhauer Stefan Radu Creţu aus Hermannstadt/Sibiu bewegt sich in dem Bereich der kinetischen Kunst und schreibt eine Doktorarbeit darüber.Dabei geht der Künstler in Richtung seiner Kindheit – eine Periode, in der er Spielzeug zerlegte. Der technisch begabte Künstler arbeitet mit allerlei Mechanismen, die mit Hilfe von Fahrradketten, Blech und Muttern hergestellt werden. Creţu beschäftigt sich mit dem Konzept von Mobilität – alle Werke haben Räder, Laufketten oder Beine. Die Mechanismen der Werke stellen mal eine sehr schnelle, mal eine sehr langsame Bewegung dar. In der Ecke sitzt eine vogelartige Figur mit einem langen Hals aus einem Plastikmüllsack. Die schwarze Plastiktüte wird von einem Föhnmotor aufgeblasen. Die Installation sieht wie eine Mutter aus, die ihr Nest aus Ästen schützen muss. Die anderen zur Schau gestellten Werke wie „Moon Fish“, „Exupery“ oder „Abralia Cineata“ sind aus Metall, Blech oder Glasfaser angefertigt.

Der Bildhauer stellt fest, dass ihm die Schrauben ausgegangen sind. „Ich muss ins Dorf fahren und welche kaufen“, sagt er und verschwindet hinter der Tür. Auf dem Weg trifft er einen Mann mit einer Plastikflasche in der Hand, der zu seiner Arbeit hinter der Scheune zurückkehrt. Sie unterhalten sich kurz. Cristian Răduţă widmet sich demselben Medium – der Bildhauerei, er hat sich in der letzten Zeit intensiv mit dem Nashorn-Motiv beschäftigt und arbeitet gerade an einem Zementquadrat aus Polystyren. Er holt sich für seine Plattform Verdünnungsmittel. Sein Werk, das von Holzbrettern umrahmt ist, liegt inmitten des Grases.

Zu sehen ist das Modell eines Blattes mit kräftigen Adern. „Es wird eine Plattform sein, die ich mir genau für diesen Ort ausgedacht habe“, meint der in Bukarest lebende und arbeitende Künstler. Sie wurde so positioniert, damit man sie von den Scheunentoren aus erblicken kann. Das im Zement gefestigte Polystyren löst der Künstler mit dem Verdünnungsmittel auf. „Haben Sie die Schmetterlingssäule im Park gesehen? Das habe ich vor Kurzem gemacht“, erklärt er.

Kunst liegt in der Luft

Stefan Radu Creţu und Cristian Răduţă befinden sich in Cetate (Kreis Dolj) am Ufer der Donau. Zusammen mit den Malern Petrică Ştefan aus Temeswar, Anca Bodea aus Klausenburg und  Raphaelle Boutie aus Frankreich verbringen sie drei Wochen auf dem Land, wo sie frei schaffen und sich miteinander austauschen können. Zusammengebracht wurden sie von der Stiftung Joana Grevers. Die Kunsthistorikerin ist engagiert in der rumänischen zeitgenössischen Kunst und leitet eine Galerie in der Hauptstadt, wo die Werke, die während des ‚artists in residence‘-Programms in Cetate geschaffen wurden, ausgestellt werden. Grundlage des workshops ist die Freiheit der Künstler: Hier gibt es keine festen Regeln für sie und auch keine Arbeitszeiten. Neben dem Raum, wo Creţu arbeitet, malt Anca Bodea gerade an Studien der Vegetation. Petrică Ştefan hat sich das ehemalige Verwaltungshaus der Bojarenfamilie ausgesucht. Hier hört er sanfte Musik und überlegt sich reichlich jede Bewegung, die er mit dem Pinsel auf der Leinwand ausführt.

Das ‚artists in residence‘-Programm für Künstler wird schon zum siebenten Mal organisiert, inzwischen lässt sich Kunst hier überall spüren. Ständig werden Veränderungen am Ort durchgeführt. Das Anwesen wird völlig für dieses Projekt im Namen der Kunst umfunktioniert: Die fünf Gäste werden in dem von Efeu verhüllten Herrenhaus untergebracht. Es gehört der Galeristin Joana Grevers, Nachfahrin der Bojarenfamilie Druga. Natürlich steht jedem Künstler ein eigenes Zimmer zur Verfügung, die Gäste bevorzugen aber, auf der Terrasse unter freiem Himmel zu schlafen, wo abends Filme projiziert werden. Die ehemalige Scheune und das Verwaltungshaus fungieren zurzeit als Studios für die Kunstschaffenden, später soll hier ein Museum für abstrakte Kunst entstehen. Bis die Pferdeställe saniert und als Studios benutzt werden können, macht ein großzügiges Lavendelfeld die Landschaft angenehmer. Die Schmiede aus dem 19. Jahrhundert wurde schon in eine weiße Kapelle umfunktioniert.

Die Künstlerresidenz ändert sich in einem ununterbrochenen, pulsierendem Ablauf. Dazu tragen auch die Künstler selbst bei, die hier ihre Spuren hinterlassen. Jeder arbeitet, wo er sich besser fühlt – im Studio, im Park, auf der Terrasse, im Haus oder im Freien. Hinter dem Herrenhaus ist ein wilder Park, der ursprünglich im italienischen Stil konzipiert wurde. Hier kann man eine ganz neue Schmetterlingssäule sehen. Andere solche Spuren sind im Wohnzimmer des Hauses zu sehen – ein zarter blaugrüner Baum in der Ecke, die Skizzen und Gemälde der Künstler, die sich hier im Laufe der Jahre aufgehalten haben, sind im Flur zu sehen. Romul Nutius Schatten wurde auf dem Boden der Scheune mit Weiß umrissen: Die Spitze seines Pinsels hat man mit Gelb und den oberen Teil des Kopfes, also das Gehirn, mit Rot gemalt.

Unlängst wurden die Künstler, die an dem ‚artists in residence‘ -Programm teilnehmen, von der mobilen Biennale in der Walachei besucht. Kunstschaffende und -sammler oder Interessenten kommen ständig vorbei. Gegen Abend versammeln sich alle Anwesenden: Eine Messe wurde von zwei örtlichen Pfarrern gehalten. Nachdem für die geistlichen Bedürfnisse gesorgt war, kam das leibliche Wohl. Der Tisch war im Freien gedeckt, darum kümmert sich eine sizilianische Köchin. Die Gespräche dauern bis um Mitternacht. Morgens erwachen die Gäste mit Tautröpfchen auf der Stirn, stehen auf und jeder vertieft sich wieder in seine Arbeit.