„Jeder ist ein Teilchen vom Ganzen“

Interview mit Prof. Dr. Mariana-Virginia Lăzărescu zum 30. Gründungstag der Österreich-Bibliothek in Bukarest

Prof. Dr. Mariana-Virginia Lăzărescu
Foto: Personalarchiv

2008 übernahm Prof. Dr. Mariana Lăzărescu die operative Leitung der damaligen Österreich-Bibliothek, die seit Kurzem den Namen „Hugo von Hofmannsthal“ trägt. Sie ist seither für das Organisieren und die Durchführung von kulturellen und wissenschaftlichen Veranstaltungen sowie für verwaltungsmäßige Aspekte zuständig. Was ihre ehrenamtliche Tätigkeit alles umfasst und ihr bedeutet, verriet sie gegenüber ADZ-Redakteurin Cristiana Scărlătescu.

Frau Dr. Lăzărescu, wie hat alles für Sie als ehrenamtliche Bibliotheksleiterin begonnen? Wie kamen Sie auf die Idee, die Leitung der Österreich-Bibliothek zu übernehmen?

1992 wurde die Bibliothek gegründet, damals war Ao. Prof. Dr. Hans Müller der Leiter des Germanistik-Lehrstuhls, und er hatte einfach gefragt, wer mitmachen, mithelfen möchte, d.h. Bücher ausleihen, damals war es möglich, Kopien machen usw. Das war der Anfang der ganzen Einrichtung und dann sind die Jahre vergangen.

2008 hat mich Prof. Dr. George Guțu, der damalige Lehrstuhlleiter, zur Bibliotheksleiterin seitens des Germanistik-Departements ernannt und so hat das Organisieren von verschiedenen Veranstaltungen begonnen.

Durch meine Power Point Präsentation (zum Festakt des 30. Jubiläums) wollte ich allerdings einen Überblick darüber schaffen, wie viele Leute zum heutigen Stand der Bibliothek beigetragen haben: Prof. Dr. Hans Müller, Prof. Dr. Doina Sandu und Prof. Dr. George Guțu, alle ehemalige Leiter des Germanistik-Lehrstuhls und der Österreich-Bibliothek, Prof. Dr. Horațiu Decuble, aktueller Leiter des Germanistik-Departements, Dr. Marianne Gruber, Schriftstellerin und ehemalige Präsidentin der Österreichischen Gesellschaft für Literatur, die damaligen Studentinnen und jetzigen Lehrkräfte, Prof. Dr. Doris Sava und Ao. Prof. Dr. Hermine Fierbințeanu, Prof. Dr. Ioan Lăzărescu u.a., nicht nur ich. Jeder ist ein Teilchen vom Ganzen, und die heutige Österreich-Bibliothek „Hugo von Hofmannsthal“ Bukarest ist das Ergebnis von Teamarbeit.

Wie schaffen Sie ein berufliches Gleichgewicht zwischen Ihrer Professur und der Verwaltungsarbeit an der Leitung der Österreich-Bibliothek?

Es ist ja nicht so schlimm (lächelt). Für die Inventarisierung und die Katalogisierung der Bücher sorgt Frau Mioara Lazăr, eine Fachbibliothekarin von der Zentralen Universitätsbibliothek „Karl I.“ (BCU) in Bukarest. Ich helfe ihr, denn Sie kann nicht so gut Deutsch. Wir beraten uns. Wenn ich mal in Wien bin, dann bringe ich immer Bücher mit, auch zum Verschenken an die Studentinnen und Studenten, wenn wir Workshops und andere Veranstaltungen organisieren.

In finanziellen Angelegenheiten erfreuen wir uns der großzügigen Unterstützung des Österreichischen Kulturforums in Bukarest. Es kommen natürlich viele Impulse und Initiativen auch seitens des Kulturforums, mit dem wir uns ständig beraten und sehr gut zusammenarbeiten. Die Förderer der Österreich-Bibliothek auf lokaler Ebene sind die Österreichische Botschaft und das Österreichische Kulturforum Bukarest, auf europäischer und internationaler Ebene das Bundesministerium für europäische und internationale Angelegenheiten (BMEIA) in Österreich. Darüber hinaus schicken uns die Hugo von Hofmannsthal-Gesellschaft in Frankfurt am Main und die Österreichische Gesellschaft für Literatur in Wien immer wieder Buchspenden für unseren Bestand.

Weswegen haben Sie den österreichischen Schriftsteller Hugo von Hofmannsthal zum Namensgeber der Österreich-Bibliothek gewählt?

Das Thema meiner Promotionsarbeit war über Hugo von Hofmannsthal. In diesen Autor habe ich mich schon während des Hochschulstudiums „verliebt“ und das hatte ein großes Gewicht, denn ich wurde als vorläufig einziges Mitglied der Hugo von Hofmannsthal-Gesellschaft in Rumänien stets auf Hofmannsthal-Tagungen eingeladen. Ich versuche immer wieder Leute, vor allem junge Leute, zu überreden, der Hofmannsthal-Gesellschaft beizutreten. Die Hofmannsthal-Tagungen sind ein wahres germanistisches Erlebnis. Dabei sprechen hochkarätige Germanistinnen und Germanisten über den Schriftsteller bzw. über die ganze Wiener und europäische Moderne. Es ist faszinierend! Die Beschäftigung mit Hofmannsthal und die Liebe für ihn blieben in meinem Fall immer aktuell.

Aufgrund dieser Beziehungen, und in Hofmannsthals Europabild passte die Bemühung Rumäniens um die Förderung der deutschen Kultur durch den Schriftsteller Victor Eftimiu sehr gut hinein. Hofmanns-thal hatte nämlich das Ideal vom westeuropäischen Geist der Kultur. Er verweilte im Ersten Weltkrieg in Böhmen und erwies viel Interesse für die Länder am Rande des Habsburgischen Reiches. Hofmannsthal hat sich auch für Rumänien interessiert, denn er meinte, dies sei ein Land mit Zukunft, es könne anderen dadurch zum Vorbild dienen, dass im Banat und in Siebenbürgen Deutschstämmige leben und Deutsch gesprochen wird. Er hat im Sinn der Europäischen Union von heute gedacht, könnte man fast sagen.

Dadurch, dass Hugo von Hofmannsthal als Librettist für Richard Strauss gewirkt hat, wurde er indirekt auch als solcher bekannt. Einige seiner Stücke wie „Der Schwierige“, „Der Unbestechliche“ und natürlich „Jedermann“ werden auch heutzutage in österreichischen Theatern in Wien und Salzburg gespielt. Er hat ein sehr vielschichtiges Werk im 20. Jahrhundert hinterlassen, etwa wie Goethe seinerzeit. Auch wurde er in der Forschungsliteratur mit Goethe verglichen, was ihn geehrt hat. Dadurch wirkt er sehr aktuell, denn er hat sich mit allen möglichen Sujets auseinandergesetzt und alle Ausdrucksformen probiert. Sogar Totentänze und Pantomimen! Vieles, was noch am Anfang des 20. Jahrhunderts als Thema tabu war, hat er angepackt.

Hugo von Hofmannsthal war doch ein Universalgeist! Völlig ambivalent, grüblerisch und ständig unzufrieden, genauso wie der Geist der Wiener Moderne.

Über diese Namensgebung habe ich nach Beratung mit meinen Kolleginnen und Kollegen am Departement, Mag. Thomas Kloiber, Direktor des Österreichischen Kulturforums Bukarest und Dr. Konrad Heumann, Leiter der Handschriften-Abteilung im Frankfurter Goethe-Haus (Freies Deutsches Hochstift) und Schatzmeister der Hugo von Hofmannsthal-Gesellschaft, informiert. Nach der Genehmigung durch die kulturpolitische Abteilung des österreichischen Außenministeriums erhielt die Österreich-Bibliothek Bukarest den Namen „Hugo von Hofmannsthal“.

Dr. Heumann fragte ich danach, ob unsere Österreich-Bibliothek die gesamte kritische Hofmannsthal-Ausgabe, die heuer im Februar beendet wurde, geschenkt bekommen könnte. Das ist allerdings eine sehr kostspielige Ausgabe, die viele Bibliotheken in Deutschland aus diesem Grund nicht besitzen. Wir bekommen bereits kostenfrei, auch durch mein Bemühen, das Jahrbuch der Hofmannsthal-Gesellschaft, das eine besonders wertvolle wissenschaftliche Publikation darstellt.

Vor Kurzem kam die erfreuliche Antwort von Dr. Heumann, dass uns die Gesellschaft 20 Bände und der S. Fischer Verlag in Frankfurt am Main die restlichen 20 Bände der kritischen Gesamtausgabe von Hugo von Hofmannsthal schenken werden. Dafür sind wir unendlich dankbar.

Nicht nur die Tatsache, dass es sich dabei um die erstmals herausgegebene kritische Gesamtausgabe handelt, ist wichtig, sondern die Art, wie man an einer solchen Edition arbeitet, wie man Anmerkungen und Fußnoten macht, wie man Material sammelt, die komplette Entstehungsgeschichte, die einzelnen Fassungen, das Ändern von Wörtern – Hofmannsthal hat Wörter oder gar Jahreszahlen durchgestrichen, darauf oder darunter geschrieben. Den ganzen schöpferischen Prozess zu verfolgen, ist faszinierend für einen Philologen, denn man denkt mit dem Autor mit. 

Was waren die größten Herausforderungen, die in dieser Zeit auf Sie zukamen?

Die größten Herausforderungen waren, dass die Bücher nicht verschwinden, denn der Bibliotheksaal fungierte lange Zeit auch als Klassenzimmer, sowie eine Bi-bliothek und einen Lesesaal einzurichten, wo man sich zurückzieht, liest, forscht, einen Computer hat, nachschlägt und sich sofort Informationen einholt.

Was wünschen Sie der Österreich Bibliothek zu ihrem 30. Gründungstag?

Eine echte Freude wäre, wenn wir eine größere Räumlichkeit bekommen könnten. Das Gebäude in der Str. Pitar Moș Nr. 7-13 wurde von der Universität Bukarest gekauft und im Innenhof gibt es Räumlichkeiten, die man herrichten kann. Ansonsten finden alle Veranstaltungen von größerem Umfang im unweit gelegenen Kulturhaus „Friedrich Schiller“ statt. In der Österreich-Bibliothek kann man nur Workshops und Lesungen mit geringer Beteiligung organisieren. Dies wäre mein Wunsch, und dass meine Nachfolgerin oder mein Nachfolger mindestens so viel seelisch und physisch investiert wie ich. Denn ich habe seit 2008 bis heute viel an Begeisterung und Engagement investiert.